Wahlbeteiligung im Keller – Nur 5% gehen wählen

Warum machen an der Uni Potsdam so wenige ihr Kreuz? (Foto: ulleo)

Die Wahlbeteiligung an der Uni Potsdam zu den Wahlen des Studierendenparlaments ist außerordentlich niedrig. Einige Akteur:innen in der Hochschulpolitik kämpfen für eine Trendwende. Worin liegen die Gründe für die geringe Wahlbeteiligung und wie kann man wieder mehr Studierende an die Wahlurnen kriegen? Von Pierre Harder.

 

Die Wahlbeteiligung an den Wahlen für das Studierendenparlament an der Uni Potsdam ist grauenhaft. Über die letzten Jahre fiel die Wahlbeteiligung langsam von über 11 % auf mittlerweile circa 5 %. Für das Absinken trägt sicherlich auch die Pandemie eine Mitverantwortung. Vor der Corona-Zeit lag die Wahlbeteiligung jedoch auch schon bei nur 8%. Geringe Wahlbeteiligung ist weder für Wahlen an der Uni Potsdam, noch im Vergleich mit anderen Hochschulen eine große Besonderheit. Die Zahl der Wählenden erreicht jedoch langsam einen alarmierenden Zustand. Auf eine:n Kandidat:in kamen bei den letzten beiden Wahlen nur noch sieben Wählende. Das Studierendenparlament hat 27 Sitze. Um in das Parlament einzuziehen, das fast 20.000 Studierende vertritt, reichen bei der aktuellen Wahlbeteiligung weniger als 40 Stimmen pro Person. Das Problem: das Studierendenparlament und andere Organe der Uni Potsdam verlieren mit jeder fehlenden Stimme an Legitimation.
Das Studierendenparlament verfügt über ein Budget von circa acht Millionen Euro im Jahr, das sich aus den Beiträgen der Studierenden ergibt. Allein aus dieser finanziellen Möglichkeit sollte man denken, dass es ein großes Interesse an den Wahlen zum Studierendenparlament gibt. Die oben genannten Zahlen legen jedoch eher nahe, dass die politische Vertretung der Studierenden von Personen ausgeübt wird, die sich für ihr Verhalten kaum vor den Wählenden rechtfertigen müssen.
Einen Lichtblick für die Beteiligung am politischen Schicksal der Studierendenschaft stellte im vergangenen Jahr die Urabstimmung über das Semesterticket dar. Mit einer Wahlbeteiligung von fast 12 % wurde in der Abstimmung das Vor-Pandemie-Niveau der StuPa-Wahlen wieder deutlich übertroffen. Vielleicht können die studentischen Vertreter:innen aus dieser Abstimmung lernen. Warum konnten im Dezember 2021, als die meisten Studierenden keine Präsenzlehre mehr hatten, so viele Studierende an die (Brief-)Urnen bewegt werden?

„Ob 5 % oder 8 % Wahlbeteiligung – beides is grauenhaft“

Silvan Verhoeven war von 2020 bis zuletzt Mitglied im Studentischen Wahlausschuss (StWA), der die Wahlen an unserer Universität organisiert. Die Ursache für die inzwischen auf 5 % abgesunkene Wahlbeteiligung sieht er auch in der Pandemie. In den letzten beiden Jahren fanden die Wahlen jeweils zu einem Zeitpunkt statt, an dem kaum Präsenzlehre angeboten wurde. Silvan erkennt jedoch auch an, dass die Wahlbeteiligung vor der Pandemie auch nicht wünschenswert war. „Ob 5 % oder 8 % Wahlbeteiligung – beides ist grauenvoll. Die Leute kennen das StuPa meist nicht und gehen deswegen nicht zur Wahl. Es interessiert sie nicht.“ Auch für die kommende Wahl im Juni zeigt sich Silvan skeptisch.
Trotz der wiedereingeführten Präsenzlehre glaubt er nicht an ein plötzliches Hochschnellen der Wahlbeteiligung: „Es wird im Sommersemester immer noch zu wenig Campusleben und wenige Strukturen geben, die sich positiv auf die Wahlbeteiligung auswirken.“ Viele Studierende fühlen sich nicht an die Hochschulpolitik gebunden oder auch nur von ihr informiert. Umso mehr ist die neueste Umfrage des AStA zu begrüßen, die an alle Studierenden gemailt wurde. Vielleicht stellt die Umfrage eine Trendwende in dem Umgang der Verantwortlichen in der Hochschulpolitik mit dem Problem der sinkenden Wahlbeteiligung dar.
Der StWA hat insbesondere vor einem Jahr viel Aufwand betrieben, um mehr Menschen an die Urne zu kriegen: „Wir haben für die Wahl plakatiert, Social-Media Plattformen genutzt und in Wohnheim-Chatgruppen informiert. Wir haben sogar einen Vote-O-Mat angelegt, der fast 1500 Mal genutzt wurde.“ Am Ende lag die Wahlbeteiligung trotz dieses Aufwandes nur bei 5 % – wobei diese vielleicht auch gerade wegen des Aufwandes überhaupt erreicht wurden.
Am Ende sind es die politischen Akteur:innen, die mehr und mehr ihre Legitimation verlieren. Dabei wäre dies laut Silvan gar nicht nötig: „Der AStA bietet den Studierenden eine Vielzahl von Angeboten. Das müsste viel besser kommuniziert werden, die Verbindung zwischen StuPa und AStA ist den meisten Studierenden unbekannt.“ Für Silvan hat auch genau das den Unterschied zwischen den letzten Wahlen zum StuPa und der Urabstimmung zum Semesterticket ausgemacht. Die hohe Wahlbeteiligung bei dieser Abstimmung habe ihn zwar überrascht, aber beim Semesterticket „wissen die Studierenden eben ganz genau, worum es geht.“

Lediglich der RCDS, der der CDU nahesteht, stand bei der Interpretation seiner eigenen Rolle und dem Erfolg der Semesterticket-Abstimmung auf dem Schlauch. Anstatt sich über die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung zu freuen, bezeichnete man diese als „unterirdisch“ und meinte, dass „11 % aller Studenten (sic!) unmöglich für über 20.000 Studenten (sic!) sprechen können.“ Dabei wurde der RCDS selbst von wohl weniger als 70 Studierenden in das Studierendenparlament gewählt und vertritt mit zwei Sitzen damit auch wohl kaum eine kritische Masse der Studierendenschaft.
Silvan Verhoeven findet die Kritik an der niedrigen Wahlbeteiligung durchaus berechtigt, entgegnet aber auch: „Eine repräsentativere Wahl als die Befragung aller Studierenden per Brief- und Urnenwahl, bei der mehr als doppelt so viele teilnehmen als an den Wahlen zum Studierendenparlament, gibt es nicht.“ Der Legitimität der Abstimmung pflichtet Johanna

Der AStA will mit einer Umfrage mehr über die Hintergründe der niedrigen Wahlbeteiligung erfahren. (Foto: antibreit)

Lagemann (Juso-Hochschulgruppe) bei. Das ehemalige Mitglied des StuPa-Präsidiums erhebt gleichzeitig schwere Vorwürfe: „Der RCDS nimmt seine Protestmöglichkeiten im StuPa gar nicht war. In den letzten vier Sitzungen war keine Vertreter:in des RCDS im Studierendenparlament anwesend. Ich weiß nicht, wie man über Legitimation reden will, wenn man es nicht einmal hinkriegt, zu den Gremien zu erscheinen, in die man gewählt wurde und zu denen man sich verpflichtet hat.“

AStA-Umfrage

Andere Hochschulgruppen hingegen versuchen etwas zu verändern und die Wahlbeteiligung zu steigern. Jüngst gab der AStA eine Umfrage an alle Studierenden heraus, welche die Gründe für die niedrige Beteiligung näher erforschen sollte. Die Umfrage stammt aus einem Arbeitskreis zwischen Mitgliedern verschiedener Gremien, zu denen auch Johanna Lagemann und Marina Savvides (Linke/SDS) gehören. Marina meint, dass die niedrige Wahlbeteiligung vor allem darauf zurückzuführen ist, dass „die meisten Studis nicht genug über Hochschulpolitik wissen und sich deswegen nicht bewusst sind, wie viel Mitspracherecht und Einflussmöglichkeiten sie haben.“

Als Ziel für die kommende Wahl zeigt sich Johanna optimistischer als Wahlauschuss-Mitglied Silvan: „Das Ziel ist eindeutig, über 5 % zu erreichen. Dadurch, dass die Leute zurück an den Campus kommen, wird es eine bessere Wahlbeteiligung geben. Freuen können wir uns aber erst, wenn wir bald wieder über 10 % liegen.“ Im Vorlauf zur kommenden Wahl im Juni sollen hierfür Plakate aufgehängt werden, die zur allgemeinen Mitarbeit in studentischen Gremien aufrufen. Marinas Plan ist, dass die Studierenden über den Zugang zu Informationen offengelegt bekommen, wie sie sich einbringen können – auch wenn dies am Ende ‚lediglich‘ über den Gang zu Wahlurne geschieht.
Die Umfrage, so Marina, ist vor allem dazu da, die Grundthese des Arbeitskreises zu bestätigen,

Könnte die allgemeine Briefwahl viele Probleme lösen? (Foto: webandi)

dass es bei den meisten Studierenden um Wissen über die Hochschulpolitik mangelt. Bestätigt sich dies, könne es auch mit der „Bildungsoffensive“ losgehen, die Marina vor Augen hat. Wobei es damit laut dem StuPa-Mitglied auch nicht getan sein dürfte: „Es wäre außerdem wichtig, Freiräume auf dem Campus zu schaffen, wo sich Studis austauschen und politisieren können.“

Allgemeine Briefwahl als Lösung?

Am Ende wird es nötig sein, viele kleinere Dinge an der Uni Potsdam zu verändern, damit wieder mehr Studierende ihr Stimmrecht nutzen. Eine etwas größere Maßnahme könnte die diskutierte allgemeine Briefwahl sein. Bereits jetzt können die Studierenden sowohl an allen drei Standorten ihre Stimmen in Präsenz abgeben, als auch Briefwahlunterlagen beantragen. Anstatt jedoch nur den Studierenden Wahlunterlagen per Brief zuzusenden, die explizit darum gebeten haben, könnte der Wahlausschuss allen Studierenden unaufgefordert Wahlzettel zukommen lassen. Silvan vom StWA hält davon wenig. Er bevorzugt den ‚Wahlkampf‘ vor der Mensa und befürchtet, die ungefragte Versendung von über 20.000 Briefen könnte Geldverschwendung sein. Wobei Silvan hier auch ein Dilemma anklagt: „Wir können 20.000 Briefe verschicken, die zu großen Teilen weggeschmissen oder mitunter uninfomiert ausgefüllt werden, oder wir lassen Studierende ihre Kommiliton:innen zur Wahlkabine schleifen, die dann dort teils eine uninformierte Entscheidung treffen.“
Andere Stimmen hingegen befürworten die Idee. Johanna meint, die Briefwahl sei zwar neu für den studentischen Kontext, aber keinesfalls ein unerprobtes Mittel für demokratische Systeme: „Die allgemeine Briefwahl würde die Wahlbeteiligung auf jeden Fall anheben. In anderen Fällen hat sie 15 – 20 % mehr Beteiligung gebracht. Wir wissen nicht, was an der Universität passieren würde, aber es könnte sogar noch besser sein.“ Auf den Einwurf, ob dies nicht eine sehr teure Maßnahme wäre, reagierte Johanna gelassen: „Die Universität hat in der Vergangenheit die Kosten für die Briefwahl immer übernommen. Es liegt ja auch im Interesse der Universität eine gut legitimierte Studierendenschaft zu haben.“ Auch Marina hält die finanziellen Kosten für tragbar: „das sollte demokratische Beteiligung uns schon wert sein“.

Fest steht, dass im Juni eine Trendwende bei der Wahlbeteiligung hermuss. Dabei ist die Wahlbeteiligung von vor einigen Jahren und von der Urabstimmung gar kein schlechtes Ziel. 12% der Studierenden klingt zwar immer noch nach relativem Desinteresse, würde sich aber dem Bundesdurchschnitt für Wahlbeteiligung gut annähern. Diese liegt laut Correctiv bei 14% – vor der Pandemie. Die Uni Potsdam steht auch nicht allein da. Auch andere große Universitäten, nicht zuletzt die Nachbaruniversität HU in Berlin, kämpfen mit einstelligen Prozenten und auch an diesen Standorten überlebt die Studentische Selbstverwaltung. Die Spielregeln in der Hochschulpolitik würden sich jedoch grundsätzlich ändern, wenn unsere Vertreter:innen nicht nur von 5%, sondern von 50% legitimiert wären. Ein starkes Mandat für das Parlament würde den Interessen der Studierenden guttun.

 

 

 

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