Kommentar zur Europawahl: Abseits der Statistiken

Die Europawahl zeigt auf, was wir eigenlich schon längst wissen. (Foto: pixabay.com)

Seit wir die Ergebnisse der Europawahl kennen, ist uns einmal mehr vor Augen geführt worden: Wir sind geteilt. In alt und jung, in Stadt und Land, in Osten und Westen. Für viele findet diese Teilung nur auf Karten oder in Statistiken statt. Manche erleben sie aber tagtäglich. Ein Kommentar.

Wir sind geteilt

Eigentlich hätte mich doch nichts an den Ergebnissen der Europawahl überraschen müssen. Dass die Grünen im Aufwind sind, ist längst kein Geheimnis mehr. Dass die großen Volksparteien längst nicht mehr so groß sind und längst nicht mehr so viel Volk repräsentieren auch. Dass die AfD in unserem Bundesland Brandenburg die stärkste Kraft wird? Ich wünschte, es würde mich schockieren, aber leider zeigen die Umfragewerte doch seit Jahren, dass es da hingeht, wo es jetzt ist.

Warum machen mich die Ergebnisse der Europawahl also so betroffen – und zugegebenermaßen auch so traurig? Wahrscheinlich, weil sie mir zeigen, dass wir geteilt sind. Geteilt nicht nur im Sinne von irgendwelchen abstrakten Landesgrenzen oder Altersgruppen. Geteilt sind wir nicht von den fremden „Anderen“, sondern von unseren Nachbar_innen, unseren Verwandten, vielleicht sogar ein paar unserer Freund_innen.

Kommentare am Essenstisch unerwünscht

Politik ist selbstverständlich nicht alles. Jede_r, der_die nicht zufällig in Berlin-Friedrichshain aufgewachsen ist, weiß, dass man es manchmal mit politisch Andersdenkenden zu tun hat. Gerade diejenigen unter uns, die aus einer ländlichen Gegend kommen, vielleicht nicht in einem Akademiker_innenhaushalt aufgewachsen sind, können und wollen nicht plötzlich zu circa 20 Prozent der heimatlichen Bekanntschaft den Kontakt abbrechen.

Stattdessen umgehen wir lieber jedes politische Gespräch am Essenstisch, verkneifen uns beim Grillabend mit den Nachbar_innen einige Kommentare, um nicht die Stimmung zu ruinieren und finden uns damit ab, dass das hier nun mal so ist. Über Politik reden kann man in der Großstadt unter Gleichgesinnten. In der Heimat setzt man ein nettes Gesicht auf und spricht eben über etwas anderes. Manchmal bin ich wütend darüber, dass viele meiner Freund_innen und auch ich in dieses Verhaltensmuster fallen.

Lösungsvorschlag: Kontakt abbrechen?

Versteht mich nicht falsch: Es gibt natürlich auch diejenigen, die sich in jede Diskussion stürzen und ihre Werte verteidigen. Davor habe ich großen Respekt. Es gibt aber eben auch diejenigen unter uns, wie mich, die es irgendwann aufgeben mussten. Weil es Kräfte zehrt, an einem nagt und man sich nicht noch mehr vor Augen führen will, wie sehr man sich von den geliebten Menschen entfernt hat.

Manchmal erzählen mir Freund_innen, dass sie das alles nicht könnten. Dass sie gewisse Freundschaften beenden, den Kontakt zu manchen Familienmitgliedern abbrechen und sich eben damit abfinden würden. Meistens sind das Freund_innen, die aus Elternhäusern oder Gegenden kommen, in denen man sich nicht über das Erstarken der hellblauen Partei freut. Schlaue Tipps geben meistens nur die, die sich nicht hinein versetzen können in den Zwiespalt.

Was also können wir tun?

Gibt es denn zumindest irgendetwas Positives, das Menschen wie ich aus unserer Bredouille ziehen können? Ich glaube, es ist nicht einfach, aber wir sollten es versuchen. Der Kontakt zu Menschen, die sehr unterschiedlich denken, kann anstrengend, aber auch aufschlussreich sein.

Vielleicht sollten wir versuchen, uns zu öffnen und aufhören unser Leben zu verschließen, nur um die um uns herum zu schonen. Vielleicht sollten wir zeigen, dass nicht alles der Vorstellung  der Anderen entsprechen muss, nur um richtig zu sein. Dass es vollkommen in Ordnung ist, von der „Norm“ abzuweichen, zu sein wer man ist, zu leben wie man es für richtig hält. Und dass jede Ablehnung gegen das „Anderssein“ auch eine Ablehnung gegen die eigene Tochter, den eigenen Freund, den lieben Nachbarn ist, den man doch eigentlich von klein auf kennt und immer nett fand. Vielleicht sollten wir versuchen, den Horizont für diejenigen zu öffnen, bei denen es noch nie jemand versucht hat.

Denkt aber daran: Niemand muss sich dafür aufopfern, einen Menschen zum Umdenken zu bringen. Nur weil man Personen mit fragwürdigen Ansichten kennt, ist man nicht verpflichtet, sich diesen anzunehmen und ihnen die eigene Zeit und Kraft zu schenken. Vor allem muss man nicht Verständnis zeigen und alle Sorgen ernst nehmen, die rassistisch, homophob, sexistisch oder in einer anderen Form menschenverachtend sind. Nicht jeder Mensch kann und möchte umgestimmt werden.

Am Ende bleibt es leider schwierig.

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