HOMO DEUS auf der Bühne: Eine (90-minütige) Geschichte der Menschheit

 

Das Spiel HOMO DEUS in der Zimmerbühne Potsdam (Foto: Eva Skal, Theater Poetenpack).

HOMO DEUS – das nach dem Spiegelbestseller interpretierte Theaterstück des Poetenpacks erzählt von drei Figuren aus der Zukunft, die in fünf Lektionen versuchen, ihren Urahnen, den Homo Sapiens, zu ergründen. Dabei wird nicht nur der heilige Algorithmus gepriesen, auch über die Seele, den Glauben und die sogenannte ,Liebe’ wird gerätselt. Wer war der Mensch? Warum ist er ausgestorben? Von Mara Demir und Milena Ziefle. Ein Zwiegespräch.

Lektion 1, Mara: Unvoreingenommenheit und posthumanistisches Schauspiel

Warst du schon einmal in einem Theaterstück, ohne zu wissen, worum es darin gehen wird? Dir ist einzig der Titel bekannt und der Spielort: Potsdam, ganz in der Nähe der Einkaufsmeile der Brandenburger Straße und dem Luisenplatz. Bis hier hin vielleicht kein seltener Fall, womöglich ist das sogar ein Ding, von dem ich nichts weiß, Blind-Dates mit Theaterprogrammen zu haben. Aber ich hatte bisher noch nie ein Treffen mit einer Geschichte, bei dem mir metaphorisch die Augen verbunden waren, bis sie mir dann zärtlich und schroff zugleich von drei liebenswürdigen Wesen, vermutlich KI (Künstlichen Intelligenzen) geöffnet wurden; und von meiner Begleitung Milena Ziefle natürlich, die ich – ganz nebenbei bemerkt – auch erst kurz vor Start des Stücks kennenlernen durfte.

Als Philosophiestudentin interessiere ich mich vor allem für die Themen, auf die es wohl nie eine befriedigende Antwort geben wird wie den unendlichen Fragen nach der ewigen (?) Seele, dem Leben nach unserem eigenen oder dem „Das“, was danach kommen mag. Aber zu greifen, was mit der Welt passieren könnte oder wird, wenn es mich, uns, diese jetzt lebende Menschheit, nicht mehr gibt, ist so zähneknirschend wie aufregend. Glücklicherweise wird uns das darüber Schreiben und intensive damit Auseinandersetzen von einigen sehr ambitionierten Philosoph:innen und anderen kreativen Köpfen abgenommen und in langen Prozessen zu Papier und später dann, zum Vergnügen der kulturbegeisterten Gesellschaft, zu öffentlichen Spielboden gebracht. 

„HOMO DEUS oder Der letzte Mensch“, angelehnt an den Spiegelbestseller des Autoren Yuval Noah Harari, sollte das Stück werden, auf das wir uns blindlings einließen, nachdem Milena nach einer interessierten Begleitung für die Aufführung desselben suchte und mich fand. Bei wunderschönem Sonnenuntergangswetter und mit großer Vorfreude fuhr ich von Berlin nach Potsdam und stellte mir vorab die Fragen, die auch das Poetenpack (Instagram: @theater_poetenpack) an die digitale Öffentlichkeit stellt: 

„Wie sieht die Welt aus, auf die wir uns zubewegen? Wird es dort noch Menschen geben, wie wir sie kennen? Wie wirken technologischer Fortschritt und ökologischer Rückschritt in den kommenden Jahrhunderten zusammen?“

Angekommen, nach einer herzlichen Begrüßung, kurzem Austausch unter nun nicht mehr allzu Fremden und verlockend leckerem Glühwein werden Milena und ich auch schon in eine ganz eigene, skurril-schöne Welt des Theaters entführt.

Lektion 2, Milena: Die Bühnenkunst des HOMO DEUS

Die Spielenden (v. l.): Pia Seiferth, Peter Wagner und Felix Isenbügel (Foto: Eva Skal, Theater Poetenpack).

Das Poetenpack inszeniert für HOMO DEUS ein Bühnenbild, das auch mein Kulturwissenschaftlerinnen-Herz höher schlagen lässt. Das Ensemble schafft es im Stück eine Symphonie aus Text, Bild, Ton und Räumlichkeit zu erzeugen und so auf multimodale Art Diskrepanzen hervorzurufen. So wirkt schon die Bühne außergewöhnlich: Sie imitiert eher eine schmale Brücke, ist dafür aber umso länger. Dieser Umstand hält die drei Protagonist:innen (Pia Seiferth, Peter Wagner und Felix Isenbügel) jedoch keinesfalls davon ab, darauf immer wieder die Plätze zu tauschen, an der Lichtanlage hochzuklettern oder sich auf die Fensterbänke über ihnen zu schwingen. Den Rest der Zeit sitzen sie, wie drapiert, auf sockelähnlichen Hockern und wirken wie lebende Exponate. Einem fiktiven Publikum der Zukunft berichten sie von einer längst vergangenen Ära, in der der ominöse ,Homo Sapiens‘ noch die Erdkugel bevölkerte, bevor er ersetzt wurde.

Es ist ein Bericht der Kontraste, gehalten von drei nicht menschlichen oder übermenschlichen Wesen, womöglich KI. Bereits bei den Kostümen stolpert das Publikum über erste (komische) Widersprüche:

Während die Figuren auf der Bühne ihren scheinbar primitiven Vorfahren verspotten, scheinen sie ihre eigene Erscheinung kaum wahrzunehmen: dasitzend in Superman-Outfit, einem Überrock wie im 15. Jahrhundert und im Jogginganzug. Hinzu kommen die Strumpfmasken, die sie sich über den Kopf gezogen haben und die ihre Gesichter roboterhaft wirken lassen. Nichtsdestotrotz erwacht auch in ihnen ab und zu einen Augenblick lang die Menschlichkeit. So „fühlt“ eine der Figuren nach einem rezitierten Gedicht von Goethe plötzlich etwas – und wird daraufhin kurzerhand von den anderen beiden „neu gestartet“.

Auch Konzepte wie „Liebe“, „Seele“ oder „Religion“ verlachen die drei Wesen auf der Bühne und besingen dabei doch immer wieder den mysteriösen, heiligen HOMO DEUS in sakralem Tenor, musikalisch angeleitet von Arne Assmann vom Poetenpack von der rechten Seite der Bühne aus. Assmann fungiert gleichzeitig als DJ am Laptop und als Priester auf seiner Kanzel, hinter die  immer wieder Bewegtbilder an die Wand projiziert werden.  In einem dichten Dialog zwischen Text, Bild und Ton werden metallisch anmutende Klänge, untermalt von Aufnahmen von Autos und Industrie, jäh ersetzt durch meditative Klänge und dazu Michelangelos Erschaffung Adams.

Den Zuschauenden wird mittels Bühne, Kostümen, Musik und visuellen Reizen über das gesamte Stück hinweg ein Cocktail aus Komik und Befremdung serviert, dessen bittersüßer Geschmack von Diskrepanz die Zunge der Zuschauenden benetzt und das Publikum dabei sichtlich  auf den Geschmack bringt.

Lektion 3, Mara:  Das Thema mit Seele

„Was ist denn los mit ihr?“

„Ich glaube, sie hat Seele.“

„Sollen wir sie resetten?“

(aus: HOMO DEUS oder Der letzte Mensch)

Wenn das so einfach wäre, denke ich mir während dieses Dialoges zwischen den Protagonisten:innen vor mir auf den drei weißen Würfeln, auf denen sie sitzen und fange an, zu schmunzeln. Ja, wenn das nur so einfach wäre, hätten wir uns die elendige Suche ersparen können, die uns laut unserer von ihnen dort oben vorgelesenen Geschichte nie eine befriedigende Lösung des Problems gegeben hat. In einem wort- und wahnwitzigen Austausch sezieren die Künstlichen Intelligenzen den tristen Verlauf der Menschheit. Große Fragezeichen sind ihnen ins Gesicht gemalt, die danach fragen, was das Ding namens Seele für die Menschen nur gewesen sein könnte und warum sie selbst nichts dergleichen Beschriebenes in sich spüren. 

Vielleicht ist dir Goethes Gedicht „Über allen Gipfeln ist Ruh“ ein Begriff, bei dem unsere Seelen himmelhoch zu jauchzen haben, denn Seelen scheinen zu fühlen, wenn sie Gedichte hören, so im, auf der Bühne vorgelesenen, Text über die Menschheit beschrieben. Die drei Protagonist:innen mutmaßen und kritisieren, sind verwundert und irgendwie auch am Ausprobieren, indem sie selbst in sich suchend zweifelnd und auch selbst ganz verzweifelt, wie es scheint, nach einer sogenannten Seele Aus- und Inschau halten. Für alle Philosophieinteressierten hier ein kleines Leckerli oder ein Grund für angeregte Diskussionen, ein kleines Lieblingsthema von mir: Renè Descartes und sein Körper-Geist-Dualismus ist auch Inhalt der Suche nach dieser einen Seele, die die KI zum Verzweifeln bringt: 

„Ich werde verrückt!“

„Totaler Programmabsturz. Ich drücke reset.“

„Besser?“

„Bitte warten. Ich muss mich erneut mit dem Datenstrom verbinden.“

(aus: HOMO DEUS oder Der letzte Mensch)

Lektion 4, Milena: L(i)ebst du noch oder algorithmierst du schon?

Musiker Arne Assmann begleitet das Stück (Foto: Eva Skal, Theater Poetenpack).

Am Ende der fünf Lektionen fordern die drei Figuren gemäß dem heiligen Dataismus, den sie neben dem Homo Deus unermüdlich besingen: „Gebt eure Daten frei!“ Der Mensch sei lediglich Teil des riesigen Informationsflusses gewesen, in den er sich hineinbegab und sein gesamtes Leben im Netz und auf Social Media teilte – bevor er zuletzt ausstarb. 

Für uns, die Zuschauenden, wird zum Abschluss noch ein letzter Appell gesendet; abermals in musikalischer Form und von der Kanzel des futuristischen Klerikers Arne Assmann. Mit der Akustikgitarre stimmt er leise ein Lied an und singt: „I feel your love“ hallt es sanft durch den Saal, während hinter ihm an die Wand ein wachsames Webcam-Auge eingeblendet wird. Big Brother is watching. Doch am Ende des Songs klappt er den Laptop zu. Licht aus. Ende.

Lektion 5, Mara und Milena: „Ein kurzer Moment der Auszeit“

Milena: Dies ist schon das zweite Stück, das ich mir dieses Jahr in der Zimmerbühne anschauen durfte und bei welchem das Theater-Ensemble Poetenpack erneut eine herausragende Performance bewies. Bis Ende des Jahres 2021 treten sie (unter 2G-Regelungen) weiterhin in der Zimmerstraße 12b in Potsdam auf. Meine Kollegin Mara, die mich begleitete, die Motivation der Darstellenden und eine Tasse Glühwein machten die Vorstellung zu einem herrlichen und wunderbar vorweihnachtlichen Abend.

Mara: Anders als für Milena war das mein erstes Mal in der Zimmerbühne, dennoch kann ich mit großer Begeisterung meine Empfehlung für dieses kleine Theater aussprechen. Das Poetenpack hat ein Schauspiel auf ihre Bühne gebracht, welches ich in dieser Form so noch nie vorher gesehen habe. Mit großem Einfallsreichtum und gemalten Gedankenbildern hinterließ es einen Eindruck, der auch noch nach Applaus und Verbeugung nachhallte. Sodass wir uns auf dem gemeinsamen Heimweg angeregt über alles im Großen und Ganzen und jedes Detail ganz genau unterhalten und alles interpretiert, philosophiert, bestaunt und kritisiert haben, was uns an diesem Novemberabend präsentiert wurde. Ich freue mich schon jetzt auf den nächsten, hoffentlich gemeinsamen Besuch in der Zimmerbühne. 

Unabhängig unseres Eindruckes zu dem Stück HOMO DEUS oder Der letzte Mensch,  empfehlen wir dir nun abschließend einen eigenen Besuch, um dich selbst einmal in eine hypothetische (?) posthumanistische Zeit entführen zu lassen, allein, zu zweit oder blindlings, wie wir beide es getan haben. Jetzt weiß ich, dass es manchmal wichtig ist, die eigene Voreingenommenheit abzulegen, sich auf den Weg in eine andere Stadt zu machen und fremd und gemocht gemeinsam Kunst zu bestaunen. 

Nun frage ich dich nicht zuletzt, der:/die: das hier gerade liest: 

Bist du bereit, deinen Laptop zu schließen, das Handy auszuschalten und dich analog zu machen? Oder fehlt dir die Kraft und hat dich der Algorithmus schon längst gefügig gemacht? Oder aber bist du gewillt, dich auf die Suche nach (d)einer Seele, Liebe in und außerhalb von dir, deinem Wegziel oder momentaner Entschleunigung zu machen? 

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