Erster Teil eines Gastberichts über die unbegrenzten Möglichkeiten Europas – die wohl doch gar nicht so unbegrenzt sind. Wie länderübergreifende Bürokratie und neuartige Viren die idealisierten Vorstellungen eines binationalen Masters und zweier enthusiastischer Studentinnen erschweren. Von Janina Däuwel und Carla Magnanimo.
Es sollte ja eigentlich alles ganz anders laufen. Als wir beide, Janina und Carla, letztes Jahr im Oktober unseren Master in Internationaler Angewandter Kulturwissenschaft und Kultursemiotik an der Universität Potsdam antraten, freuten wir uns beide auf den geplanten Auslandsaufenthalt an der Universität Turin. Der Doppelmaster der Universität Potsdam mit der Università degli Studi di Torino (UniTo) ist einer der wenigen Master in Deutschland, die eine Kooperation im Bereich der Kulturwissenschaften mit einer italienischen Uni anbieten.
Dabei wird ein Semester an der UniTo absolviert, vorgesehen ist laut Modulplan das 2. Semester (Sommersemester) des Studiums. Natürlich konnte keine_r damit rechnen, wie diese Erfahrung für uns aussehen würde. Dass wir in unseren ersten drei Wochen hier mehr von unseren Wohnungen, als von der Uni oder der Stadt sehen würden, hätten wir nicht erwartet!
Zeit rennt
Der bürokratische Aufwand war von Anfang an enorm, da die Deadlines zur Erasmusförderung zum Zeitpunkt unseres Studienbeginns Mitte Oktober 2019 eigentlich schon abgelaufen waren und wir daher ab der ersten Woche des Masterstudiums ziemlich viel Gerenne und zu Organisieren hatten. Was wir bis zur Ankunft in Turin nicht wussten, war, dass wir in all dem Trubel wohl vergessen hatten, unsere Bescheinigung für die UniTo abzuholen, die uns als Studentinnen des Doppelmasters auswies. Dies sollte uns noch gehörig auf die Füße fallen. Aber dazu später mehr. Wir absolvierten also unser Wintersemester in Potsdam und hatten nach Vorlesungsende genau zwei Wochen Zeit, um nach Turin umzuziehen. Ja richtig – das klingt nicht nur stressig, sondern war es auch!
Während Carla Glück mit der Wohnungssuche zu haben schien, wurde Janina erst einmal Catfishing-Opfer par excellence. Das hieß für sie, dass das gesamte Geld ihrer Erasmus-Mobilität in die Hände einer Betrügerin fiel, was die italienische Polizei wenig zu kümmern schien. (Aber dies ist eine gänzlich andere Geschichte über Chauvinismus, inländische Bürokratie und Institutionalisierung). Somit durfte sie sich zu Anfang ihres Aufenthalts in Turin erst einmal in ein Airbnb begeben und vor Ort schauen, wo sie nun das kommende Semester leben würde. Alles sehr turbulente Zeiten im Leben zweier Mittzwanzigerinnen. Mit ein wenig Glück regelte sich jedoch auch für Janina die Wohnsituation recht schnell und sie fand eine schöne Wohnung, nur wenige Minuten von Carla entfernt, mitten im Szeneviertel San Salvario. Aber wie das natürlich so ist im Leben, sollten dies nicht unsere einzigen Probleme bleiben…
Zwangsurlaub
Schon während der Anreise im Zug durch die Schweiz und über Mailand wurden die Informationen zur Ausbreitung des sogenannten Coronavirus laut. Noch ahnten wir nicht, so wie die Wenigsten unter uns zu diesem Zeitpunkt, welche Ausmaße dieses Virus annehmen würde. Freitags in Turin angekommen (nach unzähligen Stunden und Generalstreik in Mailand – nochmal danke hierfür!), begeistert von den ersten Eindrücken, erhielten wir Sonntag die erste E-Mail von der UniTo, mit der Ankündigung, dass diese für eine Woche geschlossen bleiben solle. Somit war klar, unsere erste Woche würde sich wohl eher als (erzwungener) Urlaub in Turin gestalten. Für uns grundsätzlich erst einmal nichts Schlechtes, da unser Semester in Potsdam gerade erst zu Ende gegangen war und wir ein bisschen Entspannung und Erkundung dankbar entgegen sahen.
Aber nichts da! Bereits Montagmorgen die erste Hiobsbotschaft: So standen wir vor der großen Herausforderung uns offiziell in der Uni anzumelden, denn absolut niemand fühlte sich für uns zuständig und jede_r schickte uns ins nächste Büro, zum_zur nächsten Kolleg_in, zum nächsten Infopoint. Irgendwann, nach endlosen Mails und 1000 Fragen unsererseits an unseren Buddy von der UniTo, fanden wir heraus, was das Problem zu sein schien: Wir gelten hier in Turin als vollständige Studentinnen der UniTo und nicht nur als Erasmus-Studierende. Nach viel Rumgerenne fiel nun also auf, dass oben genannte Zertifikate fehlten und somit eine Einschreibung erst einmal nicht möglich wäre. Diese mussten von unserer Studienkoordinatorin in Potsdam nachgesandt werden. Das hieß für uns nun: Abwarten und Caffè trinken! Auch nicht so schlecht. Nach beinahe zwei Wochen endlich die erlösende E-Mail: Wir waren eingeschrieben! Uni konnte kommen!
Oder auch nicht…
Als nächstes schien es ein Problem mit der Kurswahl unseres Learning Agreements* zu geben. Da wir als Doppelmaster-Studentinnen gelten, wurde uns kommuniziert, dass das LA eine reine Formsache für die entgeltliche Abwicklungen der Erasmus-Mobilität sei und wir letztlich einfach die Kurse wählen könnten, die wir belegen wollten. Wenn uns diese dann doch nicht mehr gefallen würden, wäre es kein Problem, sie zu ändern. Ganz so einfach war es dann natürlich nicht. Die Änderung unseres Learning Agreements stellte unsere italienische Partneruniversität vor enorme Herausforderungen.
Also ging der rege Mailverkehr weiter, da die Uni nach wie vor geschlossen und persönlicher Kontakt – vor allem mit internationalen Studierenden – nicht gestattet war. Zu diesem Zeitpunkt befanden wir uns nun knapp zwei Wochen in Turin, ohne Vorlesungsstart, ohne Immatrikulation und ohne Erlaubnis die Uni zu besuchen. TOP! Zu diesem Zeitpunkt spielte Corona noch eine sehr untergeordnete Rolle im italienischen Alltag, doch das sollte sich schnell ändern…
*Für alle, die noch keine Erasmus-Erfahrung gemacht haben, eine kurze Erklärung: Das Learning Agreement (LA) ist eine Vereinbarung beider Universitäten (Inland und Ausland) über zu erbringende Leistungen während des Auslandsaufenthaltes.
Eine Antwort auf „Erfahrung Ausland – Idealisierung trifft Ausnahmezustand! Teil 1“