Die Topfpflanze

Glücksfeder in Melancholie
[Foto: B. Ole Müller]
Oskar macht erst Dreck und sich dann Gedanken. Haben Pflanzen Höhenangst? Sind die nun mega individuell oder einfach Standard? In einem Moment der Reflektion geht’s also um die ganz großen Fragen der Zimmerpflanzenambivalenz. Wenn du wissen willst, was die Lösung des Ganzen ist, lies den Text, ansonsten hast du das hier umsonst überflogen. Von B. Ole Müller.

Dreck

Der überraschend schnell gekommene, viel zu große Schwapp aus meiner Wasserflasche trifft auf die Erde der Topfpflanze. Ein guter Teil davon prallt wieder ab, nicht ohne reichlich Dreck mit sich zu reißen und flatscht auf den Tisch. Vor mir zieht sich ein modriger Burggraben um meinen chlorophyllen Versuch einen Teil erholsamer Naturerfahrung in den hermetischen Betonwürfel zu integrieren, den man umgangssprachlich auch gerne Wohnung nennt. Scheiße. Es läuft erst und tropft dann auf das Linoleum, das das erste Mal seit Jahren eine andere Flüssigkeit als billigen Alkohol erfahren darf.
Ohne, dass es irgendetwas bedeutet, hebe ich beide Arme und lass sie wieder fallen. So ähnlich wie ein großer Vogel, der dann doch lieber den Bus nimmt, weil die Fliegerei todesanstrengend ist.

Kleinigkeiten

Ich mache sauber. Also ich versuche es. Die Klumpen der Erde kann man nämlich, wie ich feststellen darf, wunderbar mit seinem Lappen über den Boden schieben, ohne, dass sie haften bleiben. Es sind ja die kleinen Dinge, die einen besonders abfucken.

Zimmerpflanzenambivalenz

Den letzten Klumpen schiebe ich unter ein nordeuropäisches Möbelstück, das mein Wohnheimszimmer einzigartig uniform macht. Aber da ist diese Pflanze. Da ist ein beblätterter Individualitätscharakter als kleine Widerstandszelle. Eine bewusst platzierte Deplatzierung im Musterraum. Aber eben auch standardmäßig … und doch so wahllos ohne Übertopf ins Schreibtischdekor geprügelt, dass sie fast schon ironisch ist. Fast ein Statement, aber eben doch auch – Standard. Das ist sie also, meine kleine manifestierte Selbsttäuschung, mein kleiner Widerspruch. Ich mag sie. Von ihrer Seite spür ich da aber wenig. Sie mag vermutlich nicht mal ihren Standort – oder die Mediumausführung einer natriumarmen Wassermarke. Ihre immer härter werdenden Blätter stagnieren seit Einzug bei der vermutlich bedenklichen Zahl vier – Tendenz: Sterbeprozess.

Tussnelda

Ich bin zunehmend der Meinung, dass sie sich wenn sie die Wahl hätte gegen unsere WG entscheiden würde und fühle mich egoistisch. In Plastik eingepackt, völlig allein steht sie da und muss das was ich mein Leben nenne mit ansehen. Noch dazu, wenn die normalerweise auf dem Boden wachsen, vielleicht mit permanenter Höhenangst. Meine Pflanze: still, ungefragt, aber vielleicht nur augenscheinlich teilnahmslos. Ich gehe da ja auch soweit, bin so wenig an ihr interessiert, das ich keine verdammte Ahnung hab, was da eigentlich in meinem Zimmer steht, vielleicht sind vier Blätter bei ihr normal oder äußerst alarmierend – ich hab wirklich keine Ahnung. Für mich ist sie scheinbar ein Gegenstand, mein Supermarktkettenwühltisch-mitbringsel für 4,99 EUR. Irgendwie fühle ich mich von mir selbst ertappt, vom Siechtum dieses kaum zu Ende gedachten Versuches, den ich zu allem Überfluss mit dem Namen Tussnelda ausgestattet habe, weil das bei Pflanzen obligatorisch ist. So Namen, die man seinen Kindern nicht geben würde. Naja. Aber in Zukunft wird es ihr besser gehen, morgen,
morgen da kaufe ich ihr Gesellschaft denke ich weiter – sehr kurz.

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