Unser UNIversum – Folge 3: Der schrecklich nette Familienbesuch

Obwohl wir es uns oft nicht eingestehen: Wir Studierenden haben vieles gemeinsam, ganz unabhängig von der Studienrichtung. Die Berührungspunkte finden wir im gemeinsamen Alltag – der Wohnsituation, dem Kampf ums BAföG oder dem Nebenjob, der Zeit mit Freund_innen und Kommiliton_innen, der Zeit mit uns selbst. Kolumne von Katja Rink.

Semesterferien. Die Zeit ist wie im Flug an mir vorbeigezogen. Ich habe die Zeit gut genutzt und auch viel Zeit einfach verstreichen lassen. Aber Zeit dafür, nach Hause zu meiner Familie zu fahren, blieb leider nicht. Das hatte auch einen guten Grund: Meine Eltern sind just in diesem Moment hier bei mir in Berlin einen Spaziergang machen, während ich mir die Zeit frei boxen konnte, um diesen Teil der Kolumne zu schreiben.

Angefangen hat der Elternbesuch schon bevor sie überhaupt da waren. In der Wohnung herrschte mal wieder das Chaos, tausend Sachen lagen noch unerledigt auf meinem Schreibtisch und im Kühlschrank fand man nur gähnende Leere vor. Innerhalb eines Tages wurde also das Chaos beseitigt, gewischt und geschrubbt. Der Kühlschrank wurde bis zum überlaufen gefüllt und die unerledigten Dinge wurden vom Schreibtisch in die Kiste „Aufschieben“ gestopft. Ich fand, es sah ganz ordentlich aus in meinem Heim. Aber wie ich später einmal mehr feststellen musste, gibt es verschiedene Arten, Ordentlichkeit zu definieren. Aber das möchte ich an anderer Stelle ausführlicher darstellen.

Zuerst einmal freute ich mich sehr darauf, meine Eltern nach drei Monaten wiederzusehen. Und wie das so ist, wenn man Vorfreude hat, beschloss ich, sie vom Bahnhof abzuholen. Um 16.27 Uhr sollte ihre Bahn in Berlin-Gesundbrunnen ankommen. Meine Eltern waren mittlerweile schon öfter zu Besuch hier. Trotzdem fühle ich mich bei jedem Besuch wieder verantwortlich dafür, dass sie sich in der Großstadt nicht verlaufen, dass sie nicht blöd angequatscht werden, dass ihnen nichts passiert. Als sie um 16.27 Uhr nicht aus der S-Bahn ausstiegen, kroch ein leicht beklemmendes Gefühl in mir hoch. Ich rief sofort auf dem Handy meiner Mutter an. „Der von Ihnen gewünschte Teilnehmer ist zurzeit leider nicht erreichbar.“ Manchmal frage ich mich, ob meine Mutter ihr Handy überhaupt bedienen kann. Erreichbar ist sie nämlich nur an ca. 30 Tagen im Jahr. Gut, dass mein Vater technikversierter ist. Er ging prompt an sein Mobiltelefon. „Wir sind eine Station vorm Gesundbrunnen.“ Entspannung. Ich versuchte, meinem Vater noch mitzuteilen, wo ich auf sie wartete, aber er schien mich nicht gut zu hören. Das Problem des schlechten Hörens existiert schon seit Generationen in unserer Familie. Kein Wunder also, dass mein Vater, der ab Dezember mancherorts schon Senior_innen-Rabatt bekommen wird, nun auch betroffen ist. Wie dem auch sei, nach einem weiteren Anruf hatten wir uns am Bahnsteig endlich gefunden und die Wiedersehensfreude war riesig wie immer.

Aber wie das so ist: Je länger man Zeit zu dritt in einer 2-Zimmer-Wohnung verbringt, desto mehr geht man sich auf die Nerven. Und zu allem Überfluss untersuchen meine Eltern auch noch jede Ecke, jeden Spalt und jede Fuge auf Mängel. Meine Mutter hat einen Putzfimmel. Sie hat beim Einzug drei Stunden lang den Ofen vom Schmutz des Vormieters befreit. Damals fand ich das grandios. Dieses Wochenende hat sie ein paar Flecken auf unserer Zuckerdose entdeckt. Mich wundert es ja, dass sie daran nur drei Minuten rumgebürstet hat. Mein Vater ist Hobbyhandwerker und ihm fällt sofort auf, wenn irgendwo ein paar Schrauben locker sind. Beim Einzug hat er die Waschmaschine angeschlossen und den fehlenden Dichtungsring durch Klebeband ersetzt. Damals fand ich seinen Einfallsreichtum und sein Know-how ausgesprochen hilfreich. Dieses Wochenende hat er sich darüber moniert, dass die Duschvorrichtung in unserem Bad noch immer locker ist, angeblich schon seit unserem Einzug. Mir war das noch nie aufgefallen.

Und so durchzogen Mäkeleien und Ratschläge und meine pampigen Antworten darauf das Wochenende. Das Rollenverständnis hat sich komplett verschoben. Bin ich Kind? Bin ich Erwachsener? Soll ich ihre Ratschläge annehmen? Oder soll ich sie in die Schranken weisen und ihnen sagen, dass das meine Wohnung ist, mein Leben, meine Verantwortung? Ich bin mir sicher, dass nicht nur mir diese Fragen durch den Kopf schießen. Auch für meine Eltern ist diese Situation bestimmt noch ungewohnt. Doch manchmal kann man nicht aus seiner Haut. Was tun also?

Nichts. Ich wohne nun seit dreieinhalb Jahren nicht mehr zu Hause und ich habe meine Eltern noch nie so geschätzt und mich noch nie so gut mit ihnen verstanden wie heute. Natürlich besteht der Rollenkonflikt fort, doch je eigenständiger und älter man wird und je häufiger man sich damit konfrontiert sieht, desto einfacher wird es, die neuen Rollen anzunehmen. Aus der Eltern-Kind-Relation ist so etwas wie Freundschaft geworden, nur dass meine Eltern mich und meine Macken wahrscheinlich noch besser kennen als jeder andere Mensch auf der Welt. Und ich ihre. Und wir akzeptieren sie. Und hat man dann doch wieder mal ein Problemchen, bei dem man einen Rat braucht, werden aus den Freunden ganz schnell wieder Eltern, die sich darüber freuen uns erwachsenen Kindern noch ein letztes Mal unter die Arme greifen zu können.

Heute ist Sonntag. Nach einem kalten, grauen Freitag und einem ebenso trüben Samstag, hat sich die Sonne spontan dazu entschlossen zu scheinen. In dem Wissen, dass heute ihr letzter Tag hier in Berlin ist und dass man sie danach auch wieder vermissen wird, werde ich heute noch einen sehr schönen Tag mit meinen Eltern verbringen.

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