Theaterkritik: ‚Die schmutzigen Hände‘ im Hans Otto Theater

Jessica (Mascha Schneider) mit Revolver
Mascha Schneider als Jessica. (Foto: Thomas M. Jauk)

Wir waren bei der Premiere von „Die schmutzigen Hände“ von Jean-Paul Sartre im Hans Otto Theater. Relevante gesellschaftliche Konflikte und eine explosive Vorstellung sorgten für ein hervorragendes Theatererlebnis. Von Pierre Harder.

Das Hans-Otto-Theater wirft die Zuschauer:innen in seiner neuesten Inszenierung von Jean-Paul Sartres ‚Die schmutzigen Hände‘ in ein furioses Drama voller zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Konflikte. Die Handlung spielt in Sartres fiktivem Staat Illyrien, der sich 1943 im Krieg an der Seite Deutschlands gegen die Alliierten befindet. Die rote Armee nähert sich der illyrischen Grenze und die proletarische Partei steht vor einer wegweisenden Entscheidung: den Sieg der roten Armee über das eigene Land abwarten, um nach der Niederlage mit Hilfe der Sowjets zu regieren, oder den Krieg sofort durch eine Einigung mit Liberalen und Monarchisten zu beenden, aber sich dafür die Macht teilen?

Der Konflikt zwischen fundamentalistischen Kommunist:innen und reformbereiten Sozialist:innen wird auf der Bühne zwischen und in den Charakteren des jungen Kommunisten Hugo (Paul Sies) und des Generalsekretärs der proletarischen Partei, Hoederer (Guido Lambrecht), ausgetragen. Der Inszenierung gelingt es, die Essenz von Sartres Werk in das Hier und Jetzt zu holen; die Absurdität und Aussichtslosigkeit des politischen Konfliktes zwischen den beiden Fronten wird durch Zuspitzungen markiert, während die enorm starke schauspielerische Leistung die Zuschauer:innen durch die langwierigen Konflikte zwischen Treue und Vernunft, Leidenschaft und Verzweiflung trägt. Insbesondere die dargebotene Dynamik zwischen Hugo und seiner Frau Jessica (Mascha Schneider) macht das Stück auch ohne Interesse am Richtungskampf der proletarischen Partei zu einem echten Muss.

Hoederer greift Hugo am Kinn.
Leidenschaft auf der Bühne:
Paul Sies als Hugo und Guido Lambrecht als Hoederer (links). (Foto: Thomas M. Jauk)

Hinter der zur Schau gestellten Verrücktheit auf der Bühne, die durch ein absolut überzeugendes Bühnenbild getragen wird, verstecken sich jedoch auch unangenehme Fragen für das Publikum: Wie positioniere ich mich eigentlich politisch, während nur wenige Flugstunden entfernt ein Krieg tobt? Für welche Überzeugungen stehe ich überhaupt noch ein?
Während Hugo bereit ist, für seine Überzeugungen Hoederer zu ermorden, regt sich die Mehrzahl der Leute über Aktivist:innen auf, die beinahe ein Gemälde von Van Gogh beschädigt hätten – das macht die Inszenierung von Sartres ‚Die schmutzigen Hände‘ mehr als relevant und zeitgemäß und lässt auch andere wichtige Themen nicht aus, von Identitätspolitik bis zu Feminismus.
Und auch Fans des Sartre-Originals dürften bei der Vorstellung nicht zu kurz kommen, wobei Regisseur Christoph Mehler für das Ende noch eine süße Überraschung eingeplant hat.

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