Tax the Superrich! – Wie sich die Wohlhabendsten unserer Gesellschaft um ihre Steuern drücken

Ungeplante Investitionen werden schnell zum Risiko. (Bild: fotoblend via pixabay).

Die Reichsten der Reichen zahlen keine Steuern. Dieser Fakt ist eigentlich genauso kalter Kaffe wie er seit Wochen dennoch wieder brisant diskutiert wird. Worin die Unterschiede zwischen Normalverdiener:innen, den Reichen und den Superreichen liegen und warum uns alle das Vermögen der obersten 0.1% interessieren sollte, darum geht es im Folgenden. Von Leon Isenmann.

Egal ob ein kaputtes Autoteil, eine verlorengegangene Mietkaution oder ein gestohlenes Handy – jede:r, der:die solche oder ähnlich unverhoffte Krisenfälle schon einmal bewältigen musste, weiß, wie schnell ungeplante größere Investitionen für ein ernsthaftes Problem auf dem Konto sorgen können. Die allermeisten von uns haben keine Wahl, als in solchen Fällen entweder darauf zu hoffen, dass der Kontostand gerade noch ausreicht, um über den Monat zu kommen, oder dass bald wieder genug Geld vorhanden ist, um die entstandene Miese zu begleichen.

In diesen Momenten fragen wir uns unweigerlich: wie kann es sein, dass für die absolute Mehrheit der Menschen, die in die Kategorie der Lohnabhängigen fallen, Geld ein kontinuierliches Hindernis darstellt, während es für andere ein scheinbar aus dem Nichts herangereichtes Mittel zur Finanzierung ihrer Ambitionen ist?

Lohnarbeit und Kapitalanlagen

Um dieser Frage nachzugehen, hilft es zunächst, sich die Unterschiede in den Einnahmen und Ausgaben anzusehen, die zwischen den meisten prekären oder mittelständischen Menschen und den meisten Wohlhabenden bestehen. In Fällen wie den oben genannten Beispielen werden die meisten von uns diese Ausgaben begleichen, indem wir sie entweder mit durch unserer Lohnarbeit verdienten Einnahmen bezahlen, oder indem wir einen Kredit aufnehmen, den wir dann abbezahlen – das passiert beispielsweise immer, wenn wir mit einer Kreditkarte einkaufen.

Im Gegensatz dazu haben die Wohlhabenderen in unserer Gesellschaft die Möglichkeit, ihren erarbeiteten oder geerbten Überschuss in verschiedensten Kapitalanlagen zu konsolidieren. Solche Anlagen sind beispielsweise an der Börse gehandelte Wertpapiere, Immobilien, aber auch Kunstwerke oder wertvolle Rohstoffe wie Gold. Steht eine größere Investition an, wird der entsprechende Teil des benötigten Kapitals liquidiert – die Kapitalanlagen werden durch Verkauf zu Geld gemacht und ihr Wert damit realisiert.

Bereits hier liegt also ein grundlegender Unterschied, sowohl in der Art, wie Geld erhalten wird, als auch in der Möglichkeit, mit diesem Geld weiteren Profit zu generieren: Denn alle diese Kapitalanlagen sind möglicherweise beim Verkauf mehr Wert als zum Zeitpunkt ihres Erwerbs und beim Verkauf fällt damit ein Profit ab.

An dieser letzteren Logik des Geldverbrauchs gibt es bereits viel berechtigte Kritik auszusetzen. Immobilien als Kapitalanlagen zu gebrauchen beispielsweise treibt ihren Preis schnell in astronomische Höhen, wie man in den meisten deutschen Großstädten beobachten kann. In Berlin wohnen mittlerweile mehr als 80% der Einwohner:innen zur Miete, es ist geradezu utopisch geworden eine eigene Wohnung zu besitzen. Die Miete selbst, der Immobilienpreis und die Anteile an den Konzernen, denen viele Immobilien gehören, sind damit profitträchtige Anlagemöglichkeiten. Sie machen die Reichen reicher, während die prekären und normalarbeitenden Bewohner:innen aus den Innenstadtvierteln weggentrifiziert werden.

Die Logik der Superreichen

So weit, so problematisch. Was dabei allerdings schnell in Vergessenheit gerät, ist ein Fakt, der zuletzt durch Recherchen der Amerikanischen NGO Propublica wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt ist: Zusätzlich zu dieser Logik der Wohlhabenden, gibt es eine Gruppe an Menschen, für die das Haushalten und der Zugang zu Finanzmitteln noch einmal gänzlich anders funktioniert. Die Rede ist von den reichsten 0,1%, von den Milliardär:innen in Deutschland, den USA und auch sonst überall.

Was Propublica verdeutlicht hat ist dabei genauso erzürnend wie uns leider eigentlich allen ohnehin bewusst: die Reichsten der Reichen, die Multimillionär:innen und Milliardär:innen zahlen so gut wie keine Steuern. Ihr Beitrag zum Staatshaushalt ist verschwindend gering bis nicht existent, während ihre Profite nicht zuletzt auch während der Corona-Pandemie insgesamt den vierstelligen Milliardenbereich überschritten haben – 2020 war eines der profitabelsten Jahre aller Zeiten für die Top 0,1%.

Wie kann das sein? Erinnern wir uns: arme und mittelständische Menschen zahlen Investitionen zumeist mit ihrem Nettolohn. Wohlhabendere Menschen realisieren den benötigten Wert, indem sie ihre Kapitalanlagen liquidieren. Auch Superreiche besitzen solche Kapitalanlagen, sogar exorbitant mehr als die meisten wohlhabenden Personen. Aber im Gegensatz zu diesen verkaufen sie diese zumeist nicht, wenn sie Geld benötigen oder einen Kredit aufnehmen wollen.

Debt Rollover

Vereinfacht kann man sagen: ein Jeff Bezos geht stattdessen zur Bank, und lässt sich einen Kredit ausstellen (natürlich nicht Bezos selbst, sondern ein Vertreter seiner Holding AG). Den Kredit erhält er dort, weil er Jeff Bezos ist: $150 Milliarden wert, wird ihm eine gewisse Zahlungsfähigkeit zugeschrieben. Um diesen Kredit zu bezahlen, verkauft Bezos nun aber keine seiner Amazon-Aktien, sondern nimmt schlicht einen weiteren Kredit auf – und das ist der springende Punkt.

Die Superreichen sind auf diese Weise in der Lage, ihr beständig wachsendes Vermögen von ihren Zahlungsgeschäften weitestgehend abzukoppeln. Sie sind gewissermaßen so reich, dass sie reicher werden alleine dadurch, dass sie ihre Kapitalanlagen nicht verkaufen müssen. In der Realität ist das System hinter solchen Ein- und Ausgaben natürlich deutlich komplexer, funktioniert aber nach diesem grundlegenden Prinzip: ‘Debt rollover‘ ist das dazugehörige Schlagwort.

Wie aber entgehen die Top 0,1% damit einer Besteuerung? Diese Frage zu beantworten ist einfach: Solange keine Wertpapiere verkauft werden, fällt auch keine Steuer an, denn der Besitz von Wertpapieren ist in vielen Ländern steuerfrei. Im Gegenteil: in den USA beispielsweise können solche Kredite sogar oft von der Steuer abgesetzt werden. Und ein nennenswertes Einkommen haben die meisten Superreichen auf dem Papier ohnehin nicht – mit den Firmen, die sie besitzen, bezahlen sie sich selbst oft symbolische Summen von einigen Tausend Euro oder Dollar jährlich. Diese Einkommen fallen dann als einzige unter die Einkommenssteuer.

Das ist der Grund dafür, warum Warren Buffet einst scherzhaft vernehmen lies, er bezahle weniger Steuern als seine Sekretärin. Während diese nämlich so wie alle lohnarbeitenden Menschen, egal ob prekär, mittelständisch oder wohlhabend, auf ihr Einkommen eine progressive Einkommenssteuer zahlt, kann Warren Buffet seinen unvorstellbaren Profit fast völlig steuerfrei wachsen lassen. Solange die Superreichen es vermeiden können, ihre Ausgaben mit ihrem Realvermögen begleichen zu müssen, werden sie automatisch immer reicher. Und vermeiden können sie es vor allem deshalb, weil sie bereits so reich sind, dass man ihnen ohne Vorbehalte Kredite ausstellen wird.

Systematische Ungerechtigkeit

Die Einkommenssteuern der Superreichen sind verschwindend gering. (Bild: Stevepb via pixabay).
Die Einkommenssteuern der Superreichen sind verschwindend gering. (Bild: Stevepb via pixabay).

Für wen dieses System nach einem seltsamen Teufelskreis klingt, der liegt damit ganz richtig. Das System, in dem wir leben, ist völlig unfähig, mit der massiven Konzentration von Macht und Kapital umzugehen, die wir bei den Top 0,1% beobachten können. Ab einem gewissen Grad an Reichtum hört dieses System quasi einfach auf zu existieren. Menschen, die auf diese Weise wirtschaften, zahlen gemessen an ihrem Vermögen einen winzigen Beitrag zu unserer Infrastruktur oder unserem Bildungssystem, sie geben der Öffentlichkeit, auf deren Arbeitskraft und Kooperation ihre Konzerne angewiesen sind, so gut wie nichts zurück.

Diese Tatsache ist vor allem unerträglich, wenn man sich die Dimensionen des Vermögens anschaut, das uns damit als Gesellschaft durch die Finger rinnt: In Deutschland besitzen die ärmeren 50% der Bevölkerung gerade einmal 1,3% (!!!) des Vermögens, die reichere Hälfte damit 98,7%. Von diesen wiederum besitzen jedoch die reichsten 0,1% satte 22,5% des Gesamtvermögens. Allein durch die Rückkehr zu bestimmten Steuern für dieses Vermögen, die es in Deutschland bereits einmal lange gab, könnte der Bund so jährlich mehr als 15 Milliarden Euro zusätzlich einnehmen.

Wir sehen: es gibt in unserer Gesellschaft nicht eine, sondern zwei Vermögenssscheren: eine zwischen Arm und Reich, eine weitere zwischen Reich und Superreich. Und während reiche Menschen bereits unfaire und systemisch bedingte Vorteile genießen, stellen sie doch eine andere Problemdimension dar: denn zumindest sind die allermeisten von ihnen noch Teil des Systems, zahlen Steuern und sind zumindest ansatzweise den gleichen Regeln unterworfen wie wir alle – ob diese Regeln dabei gut oder gerecht sind ist eine andere Frage, die man in vielerlei Hinsicht sicher mit einem entschiedenen ‚Nein!‘ beantworten kann.

Die Superreichen aber sind diesen Regeln nicht unterworfen. Sie haben sich zu einem großen Teil aus unserem sozialen Gefüge verabschiedet und üben dabei dennoch eine enorme Macht auf Politik und Gesellschaft aus – eine Macht, die alleine dadurch wächst, dass sie bereits die Wohlhabendsten dieser Erde sind. Meine Devise lautet daher: ‚tax the rich – but tax the superrich first.‘

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