„Niemand wartet auf dich“ – ein Theaterstück über Pommes, Politik und Erwartungen an sich selbst

Marianna Linden in „Niemand wartet auf dich“, Foto: © Jenny Fitz

„Niemand wartet auf dich“ – heißt das, du musst dich beeilen? Oder, dass du frei bist und dir Zeit lassen kannst? Über die mannigfaltigen Bedeutungen dieses Satzes sinnieren in Lot Vekemans’ Theaterstück drei Frauenfiguren, die unterschiedlicher nicht sein könnten und doch zum gleichen Schluss kommen. Das  Ensemble Poetenpack bringt das Theaterstück (und weitere) bis Ende des Jahres in der Potsdamer Zimmerstraße auf die Bühne. Von Milena Ziefle.

Eine Schauspielerin – drei Frauenfiguren

Die aus Halle stammende Schauspielerin Marianna Linden verkörpert und interpretiert in diesem Stück gleich alle Charaktere: Gerda ist Lehrerin, 73 und ständig verzweifelt aufgrund ihrer Schüler:innen, die mit achtlos weggeworfenen Zigarettenschachteln die Umwelt verschmutzen. In ihrem Monolog über Familie, Politik und Plastik balanciert sie unablässig auf einem schmalen, fast komischen Grad zwischen dem Tod ihres Ehemanns und dem Genuss einer Portion Pommes. Die zweite Frau, Ida, stellt sich als Politikerin Problemen größeren Ausmaßes und sieht es als ihre Mission an, die Gesellschaft zu schützen. Das eigene Scheitern nimmt sie dabei billigend in Kauf. Die 45-jährige Anna, schließlich, grübelt auf der Bühne über ihre Wirkungsmacht als Schauspielerin und richtet sich mit ihren Worten direkt an ihr Publikum.

So unterschiedlich diese drei Lebensentwürfe auch sind, so geeint sind die Figuren in ihrer Verkörperung durch die wunderbar wandelbare Marianna Linden und in ihrer Suche nach Antworten; Antworten auf etwa die Frage, was es mit dem Titel des kleinen Büchleins („Niemand wartet auf dich“), das alle drei bei sich tragen, auf sich hat. Bedeutet dieser Satz, dass man zurückgelassen wird, wenn man nicht Schritt hält? Dass man am Ende allein bleibt? Oder doch etwas ganz anderes?

Zwischen Illusion und IKEA

Marianna Linden als Ida, Anna und Gerda (v. l.). auf der Bühne. (Foto: © Jenny Fitz)

Während die Charaktere versuchen dieses und weitere Belangen, die sie umtreiben, zu ergründen, werden klassische dramaturgische Motive wie das des Spiegels aufgegriffen, der schon bei Sartre zur Versinnbildlichung von Selbstreflexion, Identität und Alterität diente. Der zu diesem Zweck vom Poetenpack genutzte IKEA-Spiegel verpasst dabei der altbekannten Symbolik einen neuen Anstrich.

Die Aufführung indes ist nicht nur Schauspiel, sondern auch Spiel mit dem Eintauchen in eine andere – wenn auch minimalistisch gehaltene – Bühnenwelt. Mit farbenfrohen Lichtwechseln und atmosphärischer musikalischer Begleitung von Arne Assmann wird eine träumerische Illusion geschaffen. Aus dieser werden die Zuschauenden allerdings immer wieder herausgerissen; entweder, wenn die Figuren Bezug auf eine von Klimawandel, Corona und Unsicherheit geprägte Gegenwart nehmen, oder aber, wenn sie im Stück selbst dessen Titel besprechen – ähnlich einer Mise en abyme, also einem Stück im Stück.

Gemäß Bertolt Brecht werden im Werk auch Verfremdungseffekte kreiert: Indem die Darstellerin sich auf der Bühne umzieht, um in ihre nächste Rolle zu schlüpfen, desillusioniert sie die Zuschauer:innen. Ebenso wird die unsichtbare Wand, die Bühne und Publikum oft trennt, bewusst aufgebrochen. Allem voran durch die Figur der Schauspielerin Anna, die mit dem Publikum spricht, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit und lassen leise Zweifel in den Köpfen im Saal zurück („Gehört das noch zur Aufführung?“).

Am Ende des Stücks wird klar, dass nicht eine Art des Umgangs mit den wichtigen Fragen des Lebens der anderen vorzuziehen ist. Stattdessen erfolgt eine gemeinsame Erkenntnis bei den drei Frauen: Dass niemand auf dich wartet, kann auch eine Chance sein; eine Chance, die Fesseln abzuwerfen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und zur eigenen Angelegenheit zu erklären. In der letzten Minute der Aufführung, in der Anna gemeinsam mit den Zuschauenden die Augen schließt, um in sich hinein zu spüren, wird ein positiver, nicht zynischer Appell gesendet, der die Menschen im Saal spürbar zum Nachdenken und Handeln anregt, jedoch ohne dabei Druck zu erzeugen oder anklagend mit dem Finger auf jemanden zu zeigen.

So ein (Poeten-)pack!

Als freies professionelles Theater, das seit 2006 besteht und Auftritte in ganz Deutschland hat, besteht das Poetenpack aus einem Ensemble freischaffender Künstler:innen und wird in der Rezeption vor allem für deren hervorstechende Sprachkultur gelobt. 2020 zog die Theater-Crew mit ihrer Kunst auch in die Zimmerbühne in Potsdam ein, in der das Ensemble seit der offiziellen Eröffnung im Oktober 2021 regelmäßig probt, spielt und dem Saal, der im letzten Jahrhundert noch als Kapelle der „Selbständigen Lutherischen Dreieinigkeitsgemeinde“ bekannt war, nun neues Leben einhaucht.

Ein wenig Kultur gefällig?

(v.l.) Willi Händler, Arne Assmann und Felix Isenbügel in ,,Über die Verfinsterung der Geschichte“. (Foto: © Antonia Kieburg, Theater Poetenpack)

Das Poetenpack plant, bis Jahresende weiterhin in der Zimmerbühne der Zimmerstraße 12b in Potsdam aufzutreten. Neben „Niemand wartet auf dich“ bringt es auch Hans Magnus Enzensbergers ,,Über die Verfinsterung der Geschichte“ und ,,HOMO DEUS oder der letzte Mensch“ nach dem israelischen Historiker und Spiegel-Bestseller-Autor Yuval Noah Harari auf die Bühne (Spielplan und Tickets sind auf theater-poetenpack.de zu finden).

Der Schauspieler Willi Händler (siehe Foto), der der speakUP vor Beginn der Aufführung  am 21.11. ein Interview gab, betonte, wie energiegeladen die Schauspielenden trotz der aktuellen Ungewissheit über die Fortführung des Programms seien. Notwendige Maßnahmen für die Aufführungen wie ein 2G-Nachweis und der Abstand zwischen den Stühlen im Saal wurden getroffen. Die Motivation und Leichtigkeit der Darstellenden überstrahlt jedoch die trübsinnigen Gedanken an die derzeitige Situation und macht stattdessen Freude – auf nette Gesellschaft, gute Kunst und ein wenig Zerstreuung.

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