Hochschulpolitikverdrossenheit?

Wenn man sich in der Uni umhört oder sich einfach die Wahlbeteiligung bei Hochschulwahlen ansieht, fällt auf, dass geringes Interesse an Hochschulpolitik zu bestehen scheint – und das, obwohl die Landes-, Bundes- oder Weltpolitik gerne verfolgt wird. Fehlen die Infomöglichkeiten oder sind wir einfach zu faul? Von Sarah Emminghaus.

Ich interessiere mich für Politik. Wirklich. Ich schaue Nachrichten, höre Radio, lese Zeitung. Informiere mich vor Wahlen. Sobald mich aber eine Mail des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) oder des Studierendenparlaments (Stupa) erreicht, schalte ich auf Durchzug. Und obwohl ich schon im fünften Semester studiere, habe ich noch nie an der Uni gewählt. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, vor der Recherche für diesen Artikel gewusst zu haben, wann das Stupa überhaupt gewählt wird. Oder welche Hochschulgruppen zur Auswahl stehen. Peinlich ist das. Dann wiederum: 8,77 Prozent Wahlbeteiligung im Jahr 2012 sprechen für sich; beziehungsweise für mich und 18.245 weitere Potsdamer Studierende. Denn dies ist die erschreckend hohe Zahl jener, die der Hochschulpolitik genauso verdrossen sind wie ich. Es stellt sich die unangenehme Frage: Warum?

Ich habe mehrere Thesen: Vielleicht liegt es zum Beispiel daran, dass etwa die Hälfte der in Potsdam Studierenden in Berlin wohnt.

Dass die Hochschulpolitik so weit entfernt erscheint; dass sie irrelevant wirkt. Wenn „die Hälfte“ jedoch richtig geschätzt ist, sind 1.754 Wähler_innen 2012 immer noch sehr mager. Was ist mit den restlichen in Potsdam Ansässigen? Ein paar Politikmuffel gibt es immer, aber auch mit gutmütigem Aufrunden kommt das nicht hin. Bei der Recherche im Bekanntenkreis stellt sich heraus, dass dieses Phänomen nicht an Potsdam gebunden zu sein scheint. Köln, Freiburg, Saarbrücken – alle klagen über das Gleiche. Geringe Wahlbeteiligung, niemand scheint Kommiliton_innen zu haben, die sich hochschulpolitisch engagieren; das kann doch nicht sein!

Wer sind die überhaupt? Kann man etwa vom „Mysterium Hochschulpolitiker_in“ sprechen?

Man könnte kritisieren, es gebe nicht genug Infomöglichkeiten, Aufklärung. Dabei kennen wir alle die meist sogar recht hübschen Flyer auf den Mensatischen, auch kann 2013 keine_r mehr behaupten, sich nicht im Internet informieren zu können. Und das tue ich nun. Bereits Facebook hilft: 6 Freunden gefällt „AStA der Universität Potsdam“. Angesichts der circa 25 meiner Facebook-Freund_innen von der Uni auch keine wahnsinnig hohe Zahl. Aber ich habe nichts anderes erwartet.

Langfristiges Engagement ist unattraktiv

Nicht dass etwas falsch verstanden wird: Jede_r weiß, dass der AStA existiert. Auch seine Relevanz wird nicht angezweifelt – oft schon habe ich erlebt, wie er bei individuellen Fragen zurate gezogen wurde. BAföG, Probleme mit Dozent_innen oder Prüfungen – was tun sie sonst noch? Und was macht das Stupa?

Ich habe nachgefragt und wollte wissen, wie sie sich wahrnehmen, was sie tun. Ob ihnen bewusst ist, dass kaum eine_r unserer Universität sich für ihre Arbeit interessiert. Das muss doch verärgern, oder?

Ja: „Natürlich ist es für ehrenamtliche Studierende, die aktiv die Hochschullandschaft Brandenburgs verbessern wollen, auch frustrierend so undankbar behandelt zu werden.“ Das sagt Sebastian Geschonke, aktiv in der Juso-Hochschulgruppe und dem Senat. Messe ich an ihm, ist den meisten Hochschulpolitiker_innen sehr wohl bewusst, was schief läuft und wo mögliche Ursachen dafür zu finden sind – darunter einige, die nicht ganz offensichtlich sind. So macht er zum Beispiel die Bologna-Reform mitverantwortlich – aufgrund der gesunkenen Identifikation mit der Hochschule. Warum mich engagieren, wenn ich ohnehin nur drei Jahre hier bin? Kommiliton_innen stimmen zu; es leuchtet ein, dass – im Gegensatz zu vor der Reform – der Standort der Uni weit weniger wichtig geworden ist. Nach sechs Semestern sind die Glücklichen, die ihren Bachelor in der Regelstudienzeit schaffen, ohnehin auf und davon. Und selbst wenn der Master an der gleichen Uni gemacht wird, ist dies oft eine kurzfristige Entscheidung. Langfristiges Engagement bleibt unattraktiv.

Auch wirken die meisten Beschlüsse erst auf spätere Generationen, betreffen mich also tatsächlich häufig nicht – auch das hat sich durch die verkürzte Zeit an einer Uni verstärkt. Es ist nicht anders als in Bundes-, Landes- undsoweiter Politik: Beschlüsse dauern. Politik dauert. Politiker_innen reden viel, und nach zwei Jahren wird dann mal „Bilanz gezogen“. Das alles funktioniert so an der Uni nicht, kann gar nicht funktionieren. Bis mal etwas umgesetzt werden kann, durch alle Gremien gelaufen ist, bin ich schon längst weg. Und Verantwortungsbewusstsein für spätere Generationen kennt keine_r. Für so etwas haben wir keine Zeit.

Womit die nächste Ursache für unser Verdrossensein sich geradezu aufdrängt: Stress. Studierende hatten ihn schon immer, Bologna sei Dank durfte er aber seinen Höhepunkt erreichen. Dies ist wohl die am liebsten verwendete Erklärung dafür, sich nicht zu engagieren. Und für alles andere, was man nicht schafft.

Nicht zu vergessen ist auch die immer wieder beliebte Berlin-Potsdam-Debatte. Die halbe Studierendenschaft interessiert sich schließlich nicht für Potsdam. Berlin ist cooler. Zugegeben: Die Tage, die ich in den fünf Semestern meines Studiums in Potsdam, aber nicht am Neuen Palais verbracht habe, lassen sich an zwei Händen abzählen. Und das zu ändern, liegt nun wirklich nicht im Rahmen der hochschulpolitischen Möglichkeiten.

Wir müssen gelockt werden

Auf die Frage, „was die da eigentlich machen“, wurde ich mehrfach freundlich auf die Websites hingewiesen. Was den AStA angeht, zu Recht: Sie listet unter „Themen“ genau das auf, ihre Themen. Übersichtlich, interessant und transparent. Dass man erst auf die Seite gelangen muss, ist offensichtlich eher das Problem: Kaum eine_r verirrt sich einfach so auf den Internetauftritt von AStA oder Stupa. Beim Stupa fällt aber leider auf, wie auch von den Piraten der Uni angemerkt, dass Dokumentation der Sitzungen nicht immer nachvollziehbar, beziehungsweise einfach uninteressant und langweilig wirken. Wer hat schon Lust und Zeit, sich durch die Protokolle zu arbeiten? Die Website verstärkt diesen Eindruck: Sie ist einfach nicht schön. Nicht ansprechend. Das klingt trivial, aber wir müssen gelockt werden. Ich weiß, Hochschulpolitiker_innen haben auch viel zu tun, sind ja nebenbei auch noch Student_innen. Aber ich fürchte, anders geht es nicht – die Attraktivität ihrer Arbeit muss erhöht werden. Für uns gestresste und faule Studierende muss es leichter werden, die Politik der Uni zu verfolgen. Bunte Flyer alleine reichen nicht, wir brauchen Gesichter, Ziele, Wahlkampf eben.

Bezüglich meiner Eindrücke in anderen Universitätsstädten hat Sebastian mich auf ein beschämendes Gegenbeispiel hingewiesen: An der Leuphana Universität in Lüneburg wurden vor kurzem knapp 30 Prozent Wahlbeteiligung erreicht. Das gibt es also auch. Rausreden ist nicht – wenn, dann nur bedingt. Lüneburg hat zwar weitaus bessere Voraussetzungen: Es gibt einen Hauptcampus, die restlichen Campi sind sehr nah, auch wohnt kaum eine_r außerhalb der Universitätsstadt. Diese Situation lässt vermutlich ein Zugehörigkeitsgefühl entstehen, das wir uns kaum vorstellen können. Aber solche Banalitäten sollen Potsdamer Studierenden nicht das Gefühl geben, eine Ausrede zu haben. Wir könnten das auch. Vielleicht nicht gleich 30 Prozent, aber mehr als neun werden doch möglich sein.

Auch wenn dafür noch einiges passieren muss. Von beiden Seiten. Ich fürchte, der erste Schritt muss aber von der Politik kommen. Warum sollten Studierende mit etwas anfangen, was weder Spaß macht noch Vorteile oder Leistungspunkte bringt?

Am Ende der Recherche stehen Ernüchterung, Scham. Ja, die Politiker_innen müssen etwas ändern. Aber damit ihre Bemühungen nicht auf taube Ohren stoßen, müssen wir restlichen Studierenden auch endlich sehen, dass sie sehr wohl etwas verändern wollen – aber ohne unsere Beteiligung schlicht nicht können.

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