In einer Demokratie, in der Bildung immer wieder zum „Primärziel“ erklärt wird, müssen Hochschulen in landespolitische Entscheidungen einbezogen werden. Von Partizipation in diesem Sinne kann jedoch nicht die Rede sein, wenn Volksinitiativen und Demonstrationen die einzigen Mittel sind, um Ungerechtigkeiten abzuwenden. Statt sie an der Politik zu beteiligen, werden unsere Hochschulen – auch die Universität Potsdam – „gemanagt“, als wären es Wirtschaftsunternehmen. Das kann nicht gut gehen. Von Vinzent Rathgeber.
Es ist in der Geschichte unseres Landes ein einmaliger Vorgang: Ohne nennenswerte Mitwirkung wurde über die Köpfe der BTU Cottbus und der HSL Senftenberg hinweg deren Fusion beschlossen. Die Entscheidung des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur (MWFK) unter Leitung der ehemaligen Präsidentin der Universität Potsdam, Sabine Kunst, sorgte Landesweit für Schlagzeilen – und Aufbegehren: Betroffene Student_innen und Bürger_innen versuchten, die zwangsverordnete Fusion ihrer Hochschulen zu verhindern. Hartnäckigkeit und Unterstützung von Bürger_innen und Student_innen aus dem ganzen Land haben bewiesen, dass man in Brandenburg doch zu einer starken verantwortungsbewussten Demokratie fähig ist – auch wenn die Volksinitiative im November 2012 letztlich vom Landtag abgelehnt wurde. Gestaltungsmöglichkeiten bleiben so durch mangelnde politische Instrumente praktisch verwehrt, denn mit einer Beteiligung von 80.000 Personen wird die nächste Hürde auf dem Weg zum Volksentscheid erheblich schwerer zu bewältigen.
Während sich Student_innen mit Demonstrationen und der Macht der Medien eine politisch wirksame Stimme und Handlungsspielräume erkämpfen müssen, wird von den Bildungseinrichtungen ein Wissenstransfer zur Entwicklung der Gesellschaft erwartet – ein Widerspruch in sich. Auf welcher Grundlage werden solche eigenmächtigen Entscheidungen der Landesregierung getroffen und sind diese mit unserem Demokratieverständnis vereinbar?
Als Grundlage für die jüngsten Entscheidungen wird der Hochschulstrukturkommissionsbericht (HSK-Bericht) verwendet, welcher vor einem Jahr veröffentlicht wurde. „Die Hochschulen haben mit ihren Selbstberichten und ihrem Beitrag zur statistischen Berichterstattung daran mitgearbeitet“ – Das impliziert jedoch nicht, dass die Erhebungen und Auswertungen auch im Interesse der Hochschulen bzw. Studentenschaft durchgeführt werden, im Gegenteil: „Das objektive Landesinteresse am Umfang und an der Ergebnisqualität der Aufgabenerfüllung durch die Hochschulen ist Verpflichtung für die Hochschulen und Maßstab für die Kommission“. Wenn man bei dieser Aussage bedenkt, dass Bildung zu den im Grundgesetz verankerten Hoheitsaufgaben des Staates gehört, dann scheinen hier die Rollen von Staat und Hochschulen vertauscht worden zu sein: Hochschulen dienen plötzlich dem Staat – dabei müsste es doch umgekehrt sein. Statt den Hochschulen mehr Freiheiten zu gewähren, werden „Zielvereinbarungen“ in geschäftsähnlicher Vertragsform abgeschlossen, durch die sich das Verantwortungsverhältnis immer mehr in Richtung der Hochschulen verlagert hat. Als sogenannte „Gegenleistungen“ wurden z.B. der Universität Potsdam zuletzt jährlich 283.000 Euro vom Ministerium zur Verfügung gestellt, die sie zur Erfüllung ihrer aufgetragenen Verpflichtungen, nämlich der „dauerhafte[n] Sicherstellung einer hohen Studienqualität“, erhielt. Was ist das für eine Art von Vertrag, bei dem der Lohn des Auftragnehmers darin besteht, die Forderungen des Auftraggebers zu erfüllen?
Laut Zielvereinbarung zwischen Ministerium und den brandenburgischen Hochschulen besteht eines der wichtigsten Ziele „in der Stärkung der nationalen und internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Brandenburger Hochschullandschaft“, insbesondere „das Streben nach Exzellenz bei der Erfüllung der hochschulischen Kernaufgaben in Forschung und Lehre [sollen] im Mittelpunkt aller Überlegungen zur Strukturentwicklung stehen.“ Dementsprechend werden nicht nur die Hochschulen in der Lausitz übergangen, die eben nicht an Zwangsumzug und Schließung ihres Standortes interessiert sind. In welcher Demokratie leben wir, in der Interessen ganzer Institutionen nach Belieben ausgehebelt werden können?
Im HSK-Bericht wird sich gegen eine zu starke Ausdifferenzierung der Studienangebote in Brandenburg ausgesprochen. Anhaltende Sparmaßnahmen, Stellenkürzungen, Abbau von Studienplätzen etc. werden mit Effizienzsteigerung begründet. Die umstrittene Fusion in der Lausitz rechtfertigt Ministerpräsident Platzeck damit, die „Konkurrenzfähigkeit“ Brandenburgs gegenüber Berlin steigern zu wollen. Eine Effizienzsteigerung verspricht sich die Landesregierung damit, für zwei Hochschulen unter einem Dach in Summe weniger ausgeben zu müssen. Laut HSK-Bericht steht dem eine zu „geringe Größe des Hochschulsystems“ gegenüber, wodurch „Studierende zur Abwanderung gezwungen werden“ – tatsächlich platzen die Vorlesungssäle aus allen Nähten, wie beispielsweise Prof. Daniel Baier von der BTU berichtete (http://www.cga-verlag.de/2013/130105btu.php). Offensichtlich haben in unserem Land ökonomische Ziele Vorrang vor der Absicht, Studierende im Land zu halten.
Die Profilbildung von Hochschulen als einer der wesentlichen strukturellen Maßnahmen ist einer der Gründe für den Abbau von Studiengängen. Wenn damit kreative Freiräume eingeschränkt werden, wird sich das auch aus ökonomischer Sicht negativ auf die Ergebnisqualität auswirken. Wenn die Landesregierung unbedingt an ihren Effizienzkriterien festhalten will und im Gegenzug auf die Kritik mangelnder Qualität im Bildungswesen eingehen würde, könnten sie zur Abwechslung die zur Verfügung stehende Mittel zur Erzielung eines bestmögliches Ergebnisses einsetzen, denn im Bezug auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis ist es höchst ineffizient, wenn zu den Kosteneinsparungen auch noch der Nutzen verringert wird. Dieses einfache aus der Ökonomie stammende Maximalprinzip könnte man ja auf die Zufriedenheitsrate von Studierenden anwenden: Diese ließe sich weniger durch ökonomische Zwänge als durch gesteigertes Interesse am Fach erhöhen. Wenn die Landesregierung sich schon als Mutterkonzern unternehmerisch geführter Hochschulen betrachtet, spricht doch nichts dagegen, diese bei ihren Entscheidungen mit einzubeziehen. Tut sie das schon nicht um unserer Demokratie willen, müsste sie sich jedenfalls wenigstens durch versteckte Leistungspotenziale überzeugen lassen. Die Landesregierung könnte sich doch sogar Unternehmen zum Vorbild nehmen, welche die Vorteile „sozial verträglicherer Führungsstile“ für sich entdeckt haben – das würde wenigstens das Bild abrunden, dass das Ministerium schon längst nicht mehr für die Hochschulen da ist, sondern wir nur Bedienstete in einem gemanagten Wissenschaftskonzern sind.