Ein Tag als Fake-News-Overlord: Kreativer Kampf gegen Desinformation

Wer sich schon immer mal als Chefredakteur:in eines Pseudo-Nachrichtenportals ausgeben wollte, kann sich in "Bad News" austoben.
Wer schon immer mal Chefredakteur:in eines Pseudo-Nachrichtenportals sein wollte, kann sich auf dieser Seite austoben. (Foto: getbadnews.com)

Fake News und Desinformation sind in aller Munde. Dass über soziale Medien halbe Wahrheiten und ganze Lügen verbreitet werden können, ist keine Überraschung. Aber wie genau funktioniert die gezielte Verbreitung von Falschinformationen? Ich bin der Sache mal auf den Grund gegangen. Von Saskia Rauhut.

Schon der Titelbildschirm ist eine Ansage: „Von der Falschmeldung zum Chaos! Wie böse bist du?“ Vor kreischend neongelbem Hintergrund ploppen in erratischem Rhythmus Wörter auf wie „verdrehen“, „betrügen“ und „provozieren“. Das also ist die Webseite, auf der ich in die Welt der Desinformation eingeweiht werden soll. Mir ist ein bisschen mulmig zumute, aber neugierig bin ich auch.

Ich klicke auf den Startknopf und werde zu einer Ansicht weitergeleitet, die an eine Messenger-App erinnert. Sofort werde ich begrüßt: „Guten Tag! Schön, dass du da bist.“ Die Freundlichkeit ist mir etwas unheimlich – zumal ich nicht weiß, wer mir da gerade schreibt. Kein Name, kein Profilbild. „Du willst mit Desinformationen das Internet aufmischen, oder?“, erscheint die nächste Nachricht. Eigentlich nicht, denke ich, antworte aber trotzdem mit „Genau!“. Ist ja für meine Recherche.

Man fasst mich nicht mit Samthandschuhen an: Ich bekomme einen neuen Twitter-Account und soll gleich einen ersten Post absetzen, indem ich mich über irgendetwas aufrege. Als Hilfestellung bekomme ich nur einige Themenvorschläge. Ich entscheide mich für die Variante, die in klassischer Desinformationsmanier auf „die Mainstream-Medien“ schimpft. Die ersten paar Follower trudeln ein, doch meinem Account fehle noch der professionelle Anstrich, erklärt mir mein:e gesichtslose:r Begleiter:in. Ich solle nicht einfach als Privatperson twittern, sondern mich als Nachrichtenportal ausgeben. Namen und Motto für meine Zeitung darf ich mir selbst aussuchen. Ich entscheide mich für „Die Allgemeine Zeitung: Was du eigentlich nicht lesen darfst.“, erkläre mich zur Chefredakteurin und komme mir schäbig vor.

Auf den Putz hauen oder verlieren

Nach und nach fülle ich mein Pseudo-Nachrichtenportal mit Inhalt. Das Prinzip ist einfach: Ich tweete und beobachte die Reaktionen. Gut fühle ich mich dabei nicht, aber der Nervenkitzel macht es schwer, aufzuhören. Mein:e Begleiter:in macht mir Vorschläge, was ich als nächstes tun kann, um mehr Follower zu gewinnen, und ich kann entweder mit hemdsärmeligem Tatendrang jeden düsteren Spaß mitmachen oder Bedenken äußern, die aber beiseite gewischt werden. Wenn meine Desinformationskampagne erfolgreich sein wolle, müsse ich schon etwas mehr Einsatz zeigen, und überhaupt solle ich nicht so ein Moralapostel sein. Einmal beharre ich auf meinen Einwänden und weigere mich schlicht, die Anweisungen zu befolgen. Ich fliege kurzerhand raus. Kein Raum für Moral also.

Danach muss ich erstmal durchatmen und mich auf die gedankliche Meta-Ebene zurückbesinnen. Bei der Webseite handelt es sich nicht etwa um eine Desinformations-Community, sondern um das edukative Browserspiel „Bad News“. Meine Posts habe ich nicht auf dem echten Twitter veröffentlicht, sondern nur auf einer simulierten Version des sozialen Netzwerks. Nichts, das ich dort getan habe, hat sich auf die reale Welt ausgewirkt. Und mein Rauswurf war eigentlich nur ein Game Over.

Ich starte das Spiel noch einmal, diesmal mit dem Vorsatz, mich ganz meiner fragwürdigen Twitterkarriere hinzugeben. Es ist ja nur ein Spiel. Ich schimpfe und pöbele, verdrehe Tatsachen, manchmal lüge ich ganz. Zwar muss ich aufpassen, dass mein Glaubwürdigkeitsanzeiger nicht in den kritischen Bereich rutscht, doch ich merke schnell, dass nur die allerabsurdesten Äußerungen bestraft werden: Solange ich meinen Follower:innen erzähle, was sie hören wollen, fressen sie mir fast alles aus der Hand. Größer ist die Gefahr, meine Basis zu verärgern, indem ich mich zu gemäßigt gebe.

Doch das Spiel hält meine Hand. Verliere ich an Einfluss, erklärt es mir meine Fehler: Das Thema eines Tweets war zu langweilig, eine Schlagzeile nicht aggressiv genug, ein Artikel zu objektiv. Nach und nach erlerne ich die Kniffe des Fake-News-Handwerks. Ich docke an Ängste und bestehende Weltbilder an, setze Verschwörungsmythen in die Welt, fabriziere Skandale.

Eine zweifelhafte Trophäensammlung. (Foto: Saskia Rauhut)
Eine zweifelhafte Trophäensammlung. (Foto: getbadnews.com)

Rückt mir ein seriöser Account auf die Pelle, kontere ich mit persönlichen Angriffen und mäßig originellen Memes.

Diesmal gewinne ich. Das Spiel gratuliert mir zu meinen Trophäen und meinen 8.895 Follower:innen. Ein paar tausend davon sind Bots, die ich im Laufe des Spiels angeheuert habe, um meine Reichweite aufzublasen, aber das weiß ja niemand.

Nicht bloß ein Spiel

Nun brauche ich wirklich eine Pause. So auf Twitter herumzupoltern, auch wenn es gar nicht das echte Twitter ist, ist ganz schön anstrengend. Denn das Spiel ist eben nicht „nur ein Spiel“. „Bad News“ stammt von der niederländischen Organisation DROG, die Lernangebote zur Stärkung von Medienkompetenz entwickelt. Und so überspitzt das Spiel auf den ersten Blick wirken mag, so realitätsnah ist es tatsächlich.

Die von Russland ausgehende Einmischung in die US-Präsidentschaftswahlen von 20161 2 ist nur ein besonders markantes Beispiel für die Anwendung der im Spiel erläuterten Mechanismen in der realen Welt. Dass Fake News auch in Zukunft eine Rolle im politischen Geschehen spielen werden, ist zu erwarten. Es ist nicht schwer, sich auszumalen, was Desinformation im großen Stil im Hinblick auf die Bundestagswahl im September anrichten könnte. So dürfte das angebliche und aller Evidenz nach frei erfundene Baerbock-Zitat3 über ein Haustierverbot, das im April auf Facebook kursierte, ein erster Vorgeschmack davon sein, was die Fake-News-Fabriken für die kommenden Monate in petto haben.

Es bleibt nur, mit Aufklärung gegenzuhalten: Je mehr Menschen ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie Fake News funktionieren und warum sie so unheimlich effektiv sind; je mehr lernen, Falschinformationen von Fakten – und Accounts fingierter Identitäten von solchen echter Menschen – zu unterscheiden, umso weniger Nährboden bleibt der Desinformation. Vielleicht ist ein Spiel wie Bad News einer der bestmöglichen Wege, Sensibilität zu schaffen. Die Interaktivität des Mediums vermittelt die Thematik auf greifbare und eindrückliche Weise. Es simuliert den Sog der Online-Interaktion, der von Desinformationskampagnen so gekonnt ausgenutzt wird. Das Hochschaukel-Pingpong in der Dopaminmaschinerie der sozialen Medien. Sowohl Erwachsenen als auch Kindern könnte es einen Zugang zum kritischen Umgang mit Informationen ermöglichen, für den belehrende Aufklärungsmerkblätter allein nicht ausreichen. Dass ein Spiel wie dieses überhaupt existiert, und mit welchem Detailreichtum und didaktischen Geschick es die Thematik beleuchtet, lässt zumindest hoffen.

„Bad News“ ist frei zugänglich unter www.getbadnews.de.

1 (https://www.nytimes.com/2017/11/01/us/politics/russia-2016-election-facebook.html)

2(https://www.nytimes.com/2019/07/25/us/politics/russian-hacking-elections.html)

3 (https://correctiv.org/faktencheck/2021/04/22/hundeverbot-angebliches-zitat-von-annalena-baerbock-ist-ein-fake/)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert