Ein Plädoyer für das Miteinander: Das CompARTE-Festival in Potsdam

Kann ein Seminar, gehalten in einem isolierten Raum hinter dicken Universitätswänden, einer Theorie über das internationale, grenzüberschreitende Verschmelzen von Kulturen gerecht werden? Zwölf Studentinnen und eine Dozentin der Universität Potsdam bringen mit dem compARTE-Festival Künstler mit unterschiedlichen kulturellen Erfahrungen nach Potsdam, das Thema Transkulturalität unter die Menschen. Und zeigen, dass alle Theorie grau ist. Von Merle Janssen.

„Da fehlt noch etwas.“ Eine Frau greift beherzt zu einem Stift und schreibt das Wort „Hoffnung“ an eine ehemals weiße, aber inzwischen bunt beschriebene Wand im Rechenzentrum Potsdam. „Ohne die geht nichts!“ Wie bereits viele Besucher_innen der Ausstellung „In order of disappearance“ von Lvis Mejía hat sie sich soeben partizipativ an einem Werk des mexikanischen Künstlers und Musikers beteiligt. Mejía, der in Mexiko aufgewachsen ist und seit einigen Jahren in Deutschland lebt, hat schon mit vielen Ausstellungen in beiden dieser Länder, unter anderem aber auch in Paris, seine Erfahrungen mit den unterschiedlichen Kulturen geteilt.

Was ihn und sein neuestes Projekt zur Flüchtlingspolitik vom 29. Januar bis 14. Februar 2016 nach Potsdam führte, war das von Studentinnen der Universität Potsdam initiierte und organisierte Festival compARTE. Getreu diesen Mottos, das sich aus dem Imperativ des spanischen Verbs compartir (sich mit jmd. etw. teilen) und dem Wort arte (Kunst) zusammensetzt, luden die zwölf Studentinnen verschiedene Künstler_innen nach Potsdam ein, deren Musik, Lesungen oder bildende Kunst die Eindrücke spanischer und lateinamerikanischer Kulturen widerspiegeln.

Aufforderung zum Zusammenkommen und Erleben

So konnten die Potsdamer_innen seit der Eröffnung des Festivals am 16. Januar bei dem Liederabend „Paisajes Latinoamericanos“ mit der Mezzosopranistin Guiselle Blanco aus Costa Rica und der spanischen Pianistin Claudia Pérez Inesta lateinamerikanischen Klängen lauschen. Außerdem konnten sie Kurzfilme aus Deutschland, Mexiko und Dänemark anschauen, in einer Lesung mit dem in Guatemala geborenen Alan Millis mehr über eine „Subkultur der Träume“ erfahren oder sich von dem internationalen Ensemble MusiCalle Cholo Orchestra zu traditionellen lateinamerikanischen Rhythmen und kritischen Texten über Gesellschaft, Enttäuschung und Erlösung sowohl zum Tanzen als auch zum Nachdenken anregen lassen.

Der Aufforderung zum Zusammenkommen und gemeinsamen Erleben von Kunst und Kultur, wie die Organisatoren das Wort compARTE näher erklären, kamen dabei vor allem die Gäste der Vernissage der Ausstellung von Mejía nach: Der Künstler bot seinem Publikum mit einer kahlen weißen Wand eine Fläche für eigene Ideen zum Thema „Human Conditions“. Zusehens füllte sich die Wand mit Beiträgen darüber, was zum Menschsein dazugehört, während zwischen den Besucher_innen dazu teilweise rege Diskussionen in einem Mix aus Deutsch, Englisch und Spanisch entstanden.

Am 13. und 20. Februar stehen mit der Lesung „Die Manns und die Musik – eine Weltmelodie“ von Frido Mann, dem Enkel von Thomas Mann, und einem Konzert des Dichters und Gitarristen Nicolás Rodrigo Miquea aus Chile noch zwei Highlights des Festivals an.

Der Versuch könnte sich etablieren

Hintergrund dieses bisher einzigartigen Festivals in Potsdam ist ein Seminar zum Thema Gegenwartskultur, das vor zwei Semestern an der Universität Potsdam begann. Das Projekt compARTE ist ein Versuch der Studentinnen und ihrer Dozentin, die viel besprochene Theorie der Transkulturalität praktisch umzusetzen und zu untersuchen, wie das Thema von den verschiedenen Künstlern aufgefasst und in Kunst, Musik und Literatur dargestellt wird.

Dass während der fünf Wochen vor allem spanische und lateinamerikanische Künstler vorgestellt werden, liegt unter anderem daran, dass die Organisatorinnen allesamt Romanisten sind und der Großteil von ihnen Spanisch studiert. Auch eigene Erfahrungen in den entsprechenden Ländern trugen zu der Auswahl bei. Jedoch betonen die Studentinnen, dass nicht die Länder allein im Mittelpunkt stehen, da es bei Transkuluralität um das Verschwinden von Grenzen gehe und dass man in der Kunst Gemeinsamkeiten zwischen den Ländern sehen könne. Zudem habe es auch dänische, isländische, syrische sowie französische Beiträge gegeben. Die experimentellen Installationen des mexikanischen Künstlers Mejía, die sich thematisch mit Flüchtlingen auseinandersetzen, seien laut der Dozentin des Seminares nichts typisch Mexikanisches  und sind damit ein weiteres Beispiel, wie Kunst aus verschiedenen Ländern aktuelle und globale Themen aufgreift.

Und obgleich ihr ausschlaggebendes Seminar zur Gegenwartskultur mit diesem Wintersemester endet, können sich die Studentinnen und ihre Dozentin vorstellen, dass auch in den kommenden Jahren weitere, ähnliche Festivals in Potsdam stattfinden, die dann möglicherweise andere Länder und Kulturen in den Fokus stellen. CompARTE könnte der Auftakt einer neuen Reihe von Veranstaltungen dieser Art in Potsdam sein. Eileen, eine der Organisatorinnen, ist jedenfalls der Meinung, dass dieses Festival eine Bereicherung für die Stadt sei. Besonders weil durch die verschiedenen eingesetzten Medien und der behandelten Themen, von traditioneller und zeitgenössischer Musik über die brasilianischen Wurzeln der Familie Mann bis hin zur kontrovers diskutierten Flüchtlingssituation und der in einem der Kurzfilme vorgestellten „Reality 2.0“, ganz unterschiedliche Zielgruppen angesprochen würden.

„Wir haben gestanden und geschwitzt“

Die einzelnen Events fanden verteilt über die ganze Stadt Potsdam statt. Während man für die Kurzfilmpräsentation im offenen Atelier des freiLand mit seiner schlichten, schummrigen, aber durchaus gemütlichen Atmosphäre zusammenkam, war die obere Mensa am Neuen Palais Bühne für Blanco und Pérez Inesta. Auch das Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte und das Studentische Kulturzentrum Potsdam KuZe wurden im Zuge von compARTE „Orte der Begegnung und des Austauschs mit Künstlern aus Lateinamerika, Spanien und Deutschland“, wie es auf dem farbenfroh gestalteten Flyer des Festivals zu lesen ist.

Besonderen Aufwand investierten die Studentinnen aber in die Räumlichkeiten des Potsdamer Rechenzentrums, das erst im November vergangenen Jahres seine große Eröffnung als neuer Kulturort der Stadt feierte. Sandra, die wie Eileen ebenfalls an dem Seminar zur Gegenwartskultur teilnahm, berichtete gegenüber der speakUP, wie sie mit ihren Kommilitoninnen noch in den Tagen vor der Vernissage von „In order of disappearance“ auf Anfrage Mejías den Teppich aus den Räumen rissen und teilweise die Wände neu strichen. Den Kontakt zum Rechenzentrum, der durch eine weitere Seminarteilnehmerin hergestellt wurde, beschreiben die Studentinnen als sehr nett. Sie sind nicht zuletzt dankbar, dass ihnen diese Arbeiten von Seiten des Zentrums aus ermöglicht wurden.

Dass es an anderen Stellen in der Vorbereitung nicht immer nur glatt lief, gab Eileen aber zu. Da ihre Gruppe aus Kulturwissenschaftlerinnen, nicht aber aus „erfahrenen Eventmanagerinnen“ bestanden habe, sei es schon eine Herausforderung gewesen, ein neues Festival aufzubauen und sich um die Werbung und Finanzierung zu kümmern. Die knappe Zeit wurde zum Sorgenkind der Studentinnen. Noch im Dezember stand nicht fest, ob das Festival wie geplant stattfinden könnte. „Doch wir haben es trotzdem durchgezogen – mit Herzblut“, fasst Eileen die Arbeit der vergangenen Monate zusammen. Beschert hat es den zwölf Romanistinnen neben wissenschaftlichen und kulturellen Eindrücken sowie Erfahrungen im Bereich der Organisation und Planung außerdem den persönlichen Kontakt zu allen teilnehmenden Künstler_innen. CompARTE bildet damit einen bunten und in Potsdam für Aufsehen sorgenden Abschluss dessen, was vor einem Jahr wie eines von vielen Seminaren, in denen über Transkuluturalität „nur geredet“ wird, angefangen hatte.

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