Wenn schon einsam – dann gemeinsam

Wer kennt es nicht? Mit Beginn des Studiums wird so ziemlich jeder seinem gewohnten sozialen Umfeld entrissen. Mit dem Satz der Eltern im Ohr „Mach dir keine Sorgen, du lernst so schnell neue Leute kennen“ beginnt das Studium im neuen Zuhause und schon stellt sich für viele Erstis heraus: Freundschaften schließen – eine Mammutaufgabe an der Uni. Von Maria Dietel.

Liebe einsame Studierende, auch wenn nur ein kleiner Wermutstropfen, leider fühlen sich bundesweit viele Studierende alleine, denn nach dem 11. Studierendensurvey, eine im Abstand von zwei bis drei Jahren zu Vergleichszwecken stattfindende Umfrage an deutschen Universitäten und Fachhochschulen, erfährt nur etwa jeder vierte Studierende eine gute Integration an der Universität und fast ein Drittel der Befragten gab an, dass es niemandem auffallen würde, wenn sie plötzlich fehlten.

Nun stellt sich die Frage, wie Studierende der Uni Potsdam ihre soziale Situation einschätzen. Um eine Antwort zu bekommen, habe ich einen Umfragebogen mit verschiedensten Fragestellungen zum Thema Einsamkeit entworfen. Die Auswertung der 124 anonymen Umfragebögen von Kommilitonen_innen am Campus Griebnitzsee im Alter von 18 bis 40 Jahren aus 17 verschiedenen Fachrichtungen in zehn verschiedenen Fachsemestern ergab auch an unserer Universität ein eher ernüchterndes Bild, welches die Ergebnisse des Studierendensurveys unterstützt, denn knapp zwei Drittel der Befragten gaben an, mit ihrer sozialen Situation an der Universität gänzlich oder teilweise unzufrieden zu sein.

Andererseits haben zwei von drei der Studierenden kaum oder keine Schwierigkeiten neue Bekanntschaften an der Uni zu schließen. Auch die Fragen nach festen Freundschaften und einem festen Freundeskreis an der Uni sind eher positiv ausgefallen. Zwei Drittel der Studienkollegen_innen führten an, dass aus den Bekanntschaften feste Freundschaften geworden sind und mehr als die Hälfte sprachen sich für einen festen Freundeskreis an der Universität aus.

Dennoch scheinen für die meisten befragten Studierenden die bestehenden sozialen Kontakte nicht ausreichend zufriedenstellend zu sein, denn mehr als drei Viertel gaben an, ein Interesse an neuen Bekanntschaften zu haben und zwei Drittel der Studierenden wünschen sich mehr Freundschaften an der Uni.
Der meist angegebene Grund für die Unzufriedenheit liegt entsprechend den Befragten in der Anonymität an der Universität. Laut Studierendensurvey kann „Anonymität verschieden erfahren werden: Zum einen als fehlende Integration, wenn keine Ansprechpartner zur Verfügung stehen, dann als Entpersonalisierung, wenn nur die Leistung zu zählen scheint und schließlich als Isolation, wenn die Abwesenheit niemandem auffallen würde.“ Einen zweiten ausschlaggebenden Grund für die Unzufriedenheit im Zusammenhang mit den sozialen Kontakten sahen die Studierenden in ihrem Wohnort. Besonders die befragten Potsdamer_innen gaben an, durch ihren Wohnort sozial benachteiligt zu sein. „Ein Großteil der Studis pendelt täglich von Berlin nach Potsdam. Das ist nicht gerade förderlich für soziale Kontakte, weil viele Berliner gleich nach der Präsenzzeit zur S-Bahn rennen, um schnell wieder nach Hause zu kommen“, so C. Kohler aus Potsdam. Auch die Tatsachen, dass die Studierenden zu wenig Zeit oder einen bereits bestehenden Freundeskreis außerhalb der Uni haben, zählen gemäß der Umfrage zu den wichtigsten Gründen für die bestehende soziale Unzufriedenheit und die daraus resultierende Einsamkeit an der Uni.

Wer sich einigelt, stellt seine Stacheln nach innen auf

Aber aus welchem Grund scheint Einsamkeit besonders unter Studierenden eine so große Rolle zu spielen? Die Mannheimer Psychologin Doris Wolf sieht in der Universität einen geradezu prädestinierten Ort für die Entstehung von Einsamkeitsgefühlen. Nach ihr sei das von Prüfungsängsten, Konkurrenzdenken und Leistungsdruck geprägte Klima ein guter Nährboden für solche Empfindungen. „Leistungsdruck kann dazu führen, dass wir uns keine Zeit für soziale Kontakte nehmen. Gemeinsamer Spaß, Spontaneität und Genuss geraten in den Hintergrund“, so Wolf. Auch meine Umfrage zeigt, dass diese Erfahrungen in verschiedenen Semestern geteilt werden. Die Diplompsychologin und Mitarbeiterin der Psychischen Beratung der Freien Universität Berlin, Ursula Steinbruch, umreißt sogar drei besonders betroffene Studierendengruppen, die Isolation und Einsamkeit erfahren. Dazu zählen erstens Studienanfänger_innen, welche nicht an der  Einführungswoche teilgenommen haben. Nach Steinbruch würden diese Studierenden bereits mit einem Informationsdefizit in den Universitätsalltag einsteigen und sich unsicher fühlen. „Das führt dann oft zu einem emotionalen Rückzug dieser Studierenden“, so die Psychologin, „die Betroffenen bemühen sich gar nicht mehr um Anschluss und isolieren sich mehr und mehr“. Zweitens führt Steinbruch Studierende an, die beispielsweise durch nicht bestandene Prüfungen die Nähe zu ihren Kommilitonen_innen verloren hätten. Besonders ältere Studierende fühlten sich unter jüngeren häufig unsicher und verlören den Kontakt. Die doppelten Abiturjahrgänge einzelner Bundesländer und die ausgesetzte Wehrpflicht erhöhten in den letzten Jahren den Anteil junger Studierender deutlich, weshalb viele ältere Kommilitonen_innen davon berichten, mehr denn je auf sich allein gestellt zu sein. Als dritte Gruppe sind nach Steinbruch Langzeitstudierende auszumachen. Dies sei auf feste Berufstätigkeiten neben dem Studium aber auch auf die Versorgung von Kindern zurückzuführen.

Generell weisen Psychologen aber darauf hin, dass Einsamkeit primär ein Resultat der inneren Einstellung anstatt der äußeren Situation sei. „Jeder Einzelne von uns macht sich selbst einsam. Einsamkeitsgefühle entstehen, wenn wir denken, dass wir hilflos, ausgeschlossen, ungeliebt, unfähig, minderwertig etc. sind“, so Psychologin Wolf. Gemeinhin werden drei verschiedene Phasen der Einsamkeit unterschieden. Die vorübergehende Einsamkeit haben sicherlich die meisten schon einmal erfahren. Sie wird von äußeren Einflüssen bestimmt und dauert nur eine kurze Zeit an, beispielsweise nach einem Umzug, dem Studienbeginn oder einer Trennung. Die zweite Phase ist gekennzeichnet durch die Manifestierung der Einsamkeit und dem Rückzug aus der Gesellschaft, welche sichtbar wird durch den Verlust zur Fähigkeit zu lächeln oder durch das Ausbleiben von  Körperkontakt wie das Händeschütteln. Die chronische Einsamkeit, die dritte Phase, kann bis zu mehreren Jahren andauern. Wolf beschreibt, dass „alle Fähigkeiten, Kontakt aufzunehmen und aufrechtzuerhalten, für andere attraktiv zu sein, Anerkennung anzunehmen und zu geben“ verschwunden seien. Auftretende Aggressivität und Sarkasmus dienen diesen Personen als Selbstschutz.  Ohne Hilfe schaffen es die Betroffenen nicht, diese Situation zu ändern.

Was können wir Studierende demnach gegen unsere Einsamkeitsgefühle tun? Wer sich isoliert fühlt, sollte analysieren, woher diese Einsamkeit rührt, denn nur so könne dieses Problem behoben werden, so Wolf. Weiterhin sollten wir unsere eigenen Erwartungen an unsere Kommilitonen_innen reduzieren, also nicht sofort nach Freunden, sondern nach netten Bekanntschaften suchen. Einführungswochen, das Wohnen in WG´s oder Studentenwohnheimen und der Besuch von verschiedenen Hochschulgruppen sind empfehlenswert, um neue Kontakte im Studium zu schließen. Aber am wichtigsten, so sowohl Wolf als auch Steinbruch, sei es, sich einfach zu trauen andere Studierende anzusprechen, also selbst die Initiative zu ergreifen und Unsicherheiten abzulegen, denn schon kleine Erfolge, wie gemeinsam einen Kaffee zu trinken, steigern unser Selbstwertgefühl.

Schopenhauers Zitat „Einsamkeit ist das Los aller hervorragender Geister“ darf demnach auch gerne einmal von uns übersehen werden. Packen wir es doch an und lächeln unseren Kommilitonen_innen einfach mal freundlich zu.

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