Campus-Knigge: Vielleicht einfach mal Schnauze halten?

Die Vorlesungszeit im neuen Wintersemester hat begonnen. Das heißt für alle Studis wieder regelmäßig und vorbereitet an ihren jeweils gewählten Veranstaltungen teilzunehmen und sich interessiert in die Sitzungen miteinzubringen – so sieht es zumindest die Theorie vor. In der Praxis überwiegen jedoch allzu oft Desinteresse, mangelndes Engagement und störendes Verhalten während der Kurse. Unsere Redakteurin Maxi stellt in diesem Kommentar ihre eigenen Gedanken zu diesem Thema vor. Von Maximiliane Roeder.

Um kurz nach zehn Uhr betrete ich den Seminar-Raum. Zwei Leute sitzen schon da. Bis viertel nach zehn kommen noch ein paar Studierende rein und packen ihre Sachen aus. Quer durch den Raum entspinnen sich Gespräche. In den letzten Reihen hat sich ein Grüppchen versammelt, das sich laut unterhält und sich gegenseitig Youtube-Videos auf voller Lautstärke vorspielt. Amüsiert schaue ich hin und fühle mich an meine Schulzeit erinnert. Es fehlen nur noch die Longchamp-Taschen, statt der Smartphones müssten alle ihre iPods in der Hand haben – und schon könnte man glauben, das Ganze sei eine Szene aus einem Gymnasium aus dem Jahr 2010. Und warum sehen die eigentlich alle aus wie sechzehn?

Der Dozent kommt herein. Am Geräuschpegel im Raum ändert sich dabei nicht viel. Es wird viertel nach zehn. Minutenlang sitzt die Lehrperson schweigend und mit verkniffenem Gesichtsausdruck da, bis auch die letzte Reihe allmählich ihre Privatgespräche einstellt und sich die stumpfen Blicke langsam nach vorne richten. Der Dozent leitet das Thema der heutigen Sitzung ein und die Veranstaltung läuft gerade ein paar Minuten, als die Konzentrationsfähigkeit von zwei Studentinnen aus dem hinteren Grüppchen ihre Grenzen erreicht. Von nun an muss man das unaufhörlich aus der letzten Reihe dringende Flüstern ausblenden, um dem Seminargespräch weiterhin folgen zu können. Ich bin inzwischen ganz geübt darin.

Von zwölf Teilnehmer_innen haben zwei den Text gelesen, der zur Vorbereitung für die heutige Sitzung ins Moodle gestellt worden war. Drei andere haben ihn zumindest überflogen. Dementsprechend eintönig ist der Austausch während des Seminars; es melden sich abwechselnd immer wieder die gleichen drei Leute zu Wort. Wenn diese dann nach der fünften Frage denken: „Nein, nicht schon wieder ich, jetzt soll mal jemand anderes was sagen“, vergeht manchmal etwa eine Minute in quälendem Schweigen – bis sich entweder einer der üblichen Verdächtigen erbarmt oder einfach jemand vom Dozenten selbst zu einem Beitrag ermutigt wird.

Zwischendurch geht immer mal wieder die Tür. Es gibt keine Sitzung, bei der nicht ein gutes Drittel zu spät kommt. Das lässt sich manchmal natürlich nicht vermeiden, vor allem, wenn man vorher den Campus wechseln musste. Es lässt sich aber durchaus vermeiden, mit der Tür zu knallen, durch den Raum zu trampeln, bis man die_den allerbeste_n Lieblingsfreund_in entdeckt hat, sich geräuschvoll zu dem freien Platz neben ihr_ihm durchzudrängeln und im besten Fall dann direkt noch ein halblautes Gespräch anzufangen.

Nach einer halben Stunde haben die meisten Teilnehmer_innen ihre Smartphones rausgeholt. Die gemurmelten Gespräche nehmen zu. Es ist ja nichts weiter dabei, mal kurz während einer besonders langatmigen Phase unterm Tisch Whatsapp zu checken und dann auch wieder ein Ende zu finden; aber es sich vollkommen schamlos und weithin sichtbar mit Smartphone, Tablet oder Laptop bequem zu machen und Netflix aufzurufen – das ist schon eine andere Hausnummer. Aber diese vom Stoff entweder gelangweilten oder überforderten Studierenden beschäftigen sich immerhin selbst und noch dazu leise. Das soll an dieser Stelle lobend erwähnt werden.

Neunzig Minuten können verdammt lang sein, wenn fast keiner mitmacht und das Ganze auch noch konstant durch unqualifiziertes Gebrabbel aus den hinteren Reihen gestört wird. Die Situation entwickelt sich immer mehr zur schmerzhaften Farce. Ich kann nicht anders, als heftiges Mitleid mit dem Dozenten zu empfinden – auch, wenn das an der gesamten Situation überhaupt nichts ändert. Was soll er auch machen? Eine Moralpredigt halten oder die Leute anschreien? Wer mit zwanzig noch nicht kapiert hat, dass es das Mindeste ist, andere nicht zu stören, während man selbst nichts beizutragen hat – da ist die Aussicht auf Erfolg mit verspäteten Erziehungsmaßnahmen wohl recht gering. Oder soll er die Leute einfach rausschmeißen? Darf er das überhaupt?

Natürlich wette ich, dass jede_r durchschnittliche Studierende unter uns, bei dem_der die hochmotivierte Phase spätestens irgendwann zwischen dem ersten und zweiten Semester ein Ende fand, schon mal unvorbereitet zum Seminar erschienen ist. Es gibt andere Kurse, Nebenjobs, ein Privatleben. Eine Woche kann verdammt schnell vorbeigehen und manchmal kann man sich dann nach neun Uhr abends (wie ist es eigentlich schon wieder so spät geworden?) einfach nicht mehr durchringen, das meistens etwa dreißigseitige, schlecht eingescannte Material durchzugehen. Aber auch in diesem Fall ist es meines Wissens nicht verboten, dennoch zum Kurs zu erscheinen, sich hinzusetzen und vornehm schweigend die Ohren zu spitzen – vielleicht kann man ja trotzdem etwas Interessantes dazulernen?

Ich weiß auch, dass man sich nicht für jedes Thema brennend interessieren kann. Die Studienordnung ist eng getaktet und man muss vorankommen. Kurse werden tendenziell schon lange nicht mehr nach den bevorzugten Inhalten oder Dozent_innen ausgewählt, sondern nach Art der Veranstaltung, um die von der Studienordnung geforderten Module vollzukriegen – und danach, wie gut sie in den Plan passen. Außerdem ist das Angebot pro Semester oft recht schmal angelegt, wenn man an einer kleineren Fakultät studiert. Da muss es dann im Notfall eben mal das Seminar sein, dass eine_n vom Thema her nicht besonders interessiert. Das hat die stetig fortschreitende Bildungs-Reform für uns erreicht. Das kann frustrieren.

Trotzdem: Ein Mindestmaß an Respekt vor der Sache scheint mir dennoch angemessen. Mehrmals in der Woche stehen hochqualifizierte Gelehrte vor uns. Und meistens haben sie uns wirklich etwas zu sagen. Ihnen unsere hochgeschätzte Aufmerksamkeit zu leihen, kann uns alle nur voranbringen – zumal sich die meisten Angehörigen unserer Generation bezüglich ihrer Allgemeinbildung nicht gerade mit Ruhm bekleckern können.

Wer von uns aber schon so schlau ist, dass er_sie es nicht mal nötig hat, sich anderthalb Stunden am Stück ruhig zu verhalten, geschweige denn zuzuhören – meinen Glückwunsch! Nur soll der_diejenige doch bitte einfach zu Hause bleiben.

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