Advent, Advent…: Die Haushaltswarenfachverkäufertheorie

Weihnachtsgeschenke für die Famile. Wohl nie prallen enttäuschte Hoffnungen und Missverständnisse so offen und häufig aufeinander, wie auf dem Gabentisch. Wie man es auch anstellt, es ist immer das falsche Geschenk. Dabei wäre es doch so einfach. Wäre da nicht so viel Heimlichkeit… Ein Poetry Slam Text von Angelina Schüler

Das Telefon klingelte. Normalerweise beunruhigte mich das nicht, aber letzten Sonntag war der erste Advent. Das bedeutete, dass der Anruf im Grunde nur von einem Mitglied meiner Familie sein konnte. Ich weiß nicht, ob es pures Glück, Fügung einer gottähnlichen Entität oder bloße Frustration seitens meiner Familie ist, aber sie erkundeten sich seit geraumer Zeit nach meinen Geschenkwünschen. Pünktlich zum Advent rief ein ausgewähltes Mitglied an (immer ein anderes, ich vermutete, sie knobelten vorher aus, wer dieses Jahr bei mir anrufen muss) und fragte: „Und, was wünschst du dir so?“ Natürlich immer mit der nötigen Portion Beiläufigkeit.

Ich tat dann so, als habe ich mir darüber eigentlich noch keine Gedanken gemacht, während ich die sorgfältig vorbereitete Liste auf meinem Schreibtisch suchte. Leider muss ich gestehen, dass es häufig nur bei der Äußerung des Wunsches blieb. Und ich Geld geschenkt bekam. „Kauf dir wat Hübsches davon.“, sagte mein Vater dann immer. „Weiß ja eh nich, was de dir wünschst.“ –„Ähm, ja, danke.“, war stets meine eloquente Antwort. Wozu die noch anrufen, war mir ein Rätsel. Aber der Gedanke dahinter zählte.

Das mit dem Geld hatte leider auch nie wirklich geklappt. Ich kann mich an keine Situation erinnern, bei der ich das geschenkte Geld auch dafür ausgegeben habe, was ich mir ursprünglich mal gewünscht hatte. Irgendwas machte ich immer falsch. Aber im Ernst, wenn ich mir beispielsweise ein Kenwood HB 724 Stabmixer-Set mit Mixbecher, Schneebesen und Kartoffelstampfer wünsche und an Weihnachten Geld bekomme, dann gehe ich doch im nächsten Jahr nicht los und kaufe mir dieses Stabmixer-Set. Da fallen mir doch gleich tausend andere Dinge ein, wofür ich das Geld ausgeben könnte.

Wann hat sich bitte jemals ein Mensch, der einen Hundert-Euro-Schein von seinen Eltern zu Weihnachten bekommen hat, im nächsten Atemzug gedacht: „Oh, davon werde ich mir ganz bestimmt ein Kenwood HB 724 Stabmixer-Set mit Mixbecher, Schneebesen und Kartoffelstampfer kaufen.“ Man kauft sich sowas nicht, man kriegt sowas geschenkt! Basta. Punkt. Aus. Ende. Keine Diskussion. Das wussten alle, die sich Haushaltswaren wünschten. Die Fachverkäuferinnen und Fachverkäufer von Haushaltswarenfachgeschäften packten nicht von ungefähr alle gekauften Artikel ein, unabhängig davon, ob Weihnachten war oder nicht.

Das Personal in diesen Fachgeschäften wurde extra dafür geschult. Unabdingbar bei der Bewerbung für ein Haushaltswarenfachgeschäft war der Nachweis einer einwandfreien Feinmotorik, einem Sinn für Ästhetik und einem vorbildlich geschulten räumlichen Vorstellungsvermögen. Schließlich mussten die Bewerber wissen, wie man die verschiedensten geometrischen Körper gekonnt einpackt. In den internen Haushaltswarenfachverkäuferverpackungs-Schulungszentren wurden den Bewerbern Quader, Zylinder, Würfel, Kugeln, Pyramiden und Kegel vorgelegt, die sie mit der richtigen Menge Geschenkpapier einpacken mussten. Punkte gab es zusätzlich auf das Farbverhältnis zwischen Geschenkpapier und Schleifenband; Punktabzug gab es bei unverhältnismäßigem Gebrauch von Klebeband. Jedenfalls stellte ich mir das gerne so vor…

Jetzt klingelte also wieder das Telefon. Während ich meine diesjährige Liste rauskrame (die sich im Übrigen seit vier Jahren nicht mehr verändert hat, weil ich ja nie kaufte, was ich geschenkt bekommen wollte) nahm ich den Anruf entgegen. Meine Schwester: „Haste schon gesehen, bald ist wieder Weihnachten, wa?“ – „Mh“, entgegnete ich, „Überraschenderweise diesmal sogar schon im Dezember.“ – „Boah, und Mutti macht schon wieder voll Stress deswegen. Fragt ständig, was ich mir wünsche.“ Ich ahnte, was jetzt kommt. „Mh.“, sagte ich unbeteiligt. „Ich bin da echt noch voll unschlüssig.“, sagte meine Schwester, „Für die Kleinen hab ich schon was und Bernd hat sich auch schon Gedanken gemacht. Aber ich bin echt planlos.“ – „Mh.“, sagte ich wieder. Ich faltete die Liste auseinander.

„Hast du ne Ahnung, was wir Mutti dieses Jahr schenken können?“ Clever, Schwester, dachte ich. „Öhm, vielleicht ein Kenwood HB 724 Stabmixer-Set mit Mixbecher, Schneebesen und Kartoffelstampfer?“ – „Ein was?“ – „Na ein Kenwood HB 724 Stabmixer-Set mit Mixbecher, Schneebesen und Kartoffelstampfer. Der ist letztens erst Testsieger geworden.“ Vom Ende der Leitung kam ein undefinierbares Grunzen. „Seit wann liestn du Testberichte über Stabmixer-Sets?“ – „Och, ich wollte mir schon seit längerem mal ein Stabmixer-Set zulegen. Nicht nur so ein Null-Acht-Fufzehn-Teil. Das ist echte Qualitätsware: Fünf Geschwindigkeitsstufen plus Turbo, abnehmbarer Mixstab aus Edelstahl und innovativem 3-Flügel-Messer, spülmaschinentauglich.“ – „Aha.“, höre ich meine Schwester sagen, „Und du glaubst, Mutti freut sich über so ein Kennwood Schnick-Schnack-Tüdel“ – „Kenwood HB 724 Stabmixer-Set mit Mixbecher, Schneebesen und Kartoffelstampfer.“, korrigiere ich und setze gekonnt nach, „Also ich würde mich drüber freuen.“ Treffer versenkt! Ich strich das Stabmixer-Set von meiner Liste. Diesmal würde es klappen, ich spürte es.

Ein paar Wochen später saß ich mit meiner Familie im Esszimmer. Der Baum war geschmückt, die Geschenke kunstvoll drapiert und das Essen war vorbei. Der große Moment war gekommen. Mein Vater sprach den schönsten Satz meiner Kindheit: „So, jefressen ham wa, jetzt jibbets Jeschenke!“ Meine Neffen stürzten sich mit wildem Geschrei auf ihren Haufen, meine Schwester versuchte die beiden zu beruhigen, mein Vater lief hellrot an, meine Mutter hielt sich die Ohren zu. Wie immer eigentlich. Ich ließ sie gewähren. „Ich kann warten.“, dachte ich vergnügt mit Blick auf ein großes, rechteckiges, sorgfältig eingepacktes Paket unter dem Baum. Es schrie förmlich nach Haushaltswarenfachverkäufer-Qualitätsarbeit.

Nachdem der Tumult beendet war und die Kleinen ihre neuen Spielzeuge malträtierten, waren nun wir „Großen“ an der Reihe. Mit einem geheimnisvollen Lächeln hob meine Schwester das wundervolle Paket hoch und zwinkerte mir zu. Ich streckte meine Hand aus, überlegte mir, was ich als erstes damit pürieren würde und … bekam plötzlich einen kleinen Umschlag von meinem Vater in die Hand gedrückt. Meine Schwester reichte das Paket meiner Mutter, die es unter Sätzen, wie „Damit habe ich ja gar nicht gerechnet.“, „Was für eine hübsche Verpackung.“ und „Das war doch bestimmt super teuer.“ auspackte.

Meine Schwester grinste über beide Ohren: „Ein Kenwood HB 724 Stabmixer-Set mit Mixbecher, Schneebesen und Kartoffelstampfer. Echte Qualitätsware: Fünf Geschwindigkeitsstufen plus Turbo, abnehmbarer Mixstab aus Edelstahl und innovativem 3-Flügel-Messer, spülmaschinentauglich. War letztens erst Testsieger!“ Ich blickte fassungslos auf den Umschlag in meiner Hand und hörte von weitem meinen Vater sagen: „Kauf dir wat Hübsches davon.“ –„Gute Idee.“, sagte ich tonlos, „Ihr wisst ja eh nicht, was ich mir wünsche…“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert