Wie kann das Verkehrsproblem in Potsdam künftig gelöst werden? Oberbürgermeisterkandidat_innen antworten

Tagtäglich pendeln viele Menschen von Potsdam nach Berlin und umgekehrt von Berlin und aus dem Brandenburger Umland nach Potsdam, darunter auch viele Studierende. Die Folge: Die Züge sind überfüllt. Auch innerhalb von Potsdam staut sich in der Hauptverkehrszeit der Verkehr. Busse und Autos stehen im Stau, Trams und Busse sind überfüllt. Aufgrund von Personalmangel der Verkehrbetriebe fielen manche Linien sogar ganz aus. Wir haben die Oberbürgermeisterkandidat_innen gefragt, wie sie das Verkehrsproblem Potsdams lösen möchten. Von Julia Hennig

Potsdam: Stadt der Pendler_innen

Nach der 21. Sozialerhebung vom DZHW (Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung) für das Studentenwerk Potsdam wohnten im Jahre 2016 61% der Studierenden aus dem Zuständigkeitsbereich des Studentenwerks Potsdam nicht an ihrem jeweiligen Hochschulort und pendelten durchschnittlich 47 Minuten. Insgesamt waren im Jahr 2017 täglich 241.000 Fahrgäste im Regionalverkehr in Berlin und Brandenburg unterwegs, Tendenz steigend. Der RE1 zwischen Berlin und Potsdam erreicht dabei Nutzungswerte von bis zu 27.000 Fahrgästen pro Abschnitt und Tag. Alle fünf Jahre muss nach dem ÖPNV-Gesetz des Landes Brandenburg ein neuer Landesverkehrsplan für den Schienenpersonennahverkehr geschrieben werden, der aktuelle liegt nun vor.

Der neue Landesverkehrsplan 2018

Die gute Nachricht: Es soll mehr Züge mit mehr Plätzen, geringere Taktzeiten und einen höheren Komfort geben. Die schlechte Nachricht: Vieles wird sich erst ab 2022 verbessern. So soll zwischen den Bahnhöfen Potsdam Hbf und Potsdam-Babelsberg ein zweigleisiger Begegnungsabschnitt für die S-Bahn gebaut werden. Der RE 1 zwischen Frankfurt (Oder) und Brandenburg soll statt wie jetzt zweimal pro Stunde dreimal pro Stunde fahren. Außerdem soll es mit dem RB21 eine neue Direktverbindung zwischen Potsdam und Berlin-Gesundbrunnen über Berlin-Spandau geben, der Bahnhof Wustermark wird dann jedoch nicht mehr vom RB 21 bedient. Der RB 23 soll neu von Golm über Potsdam Hbf und die Berliner Stadtbahn zum Flughafen BER verkehren.

Kritik am neuen Landesverkehrsplan gab es bereits Anfang August vom AStA der Uni Potsdam in einer Pressemitteilung. Darin kritisieren sie, dass die geplanten Fahrzeiten nicht mit den Vorlesungszeiten zusammenpassen, so dass Studierende entweder früher aus der Vorlesung gehen oder länger warten müssen. Außerdem fordern sie, dass der RB 23 von Golm bis Berlin Friedrichstraße weiterhin zweimal stündlich und auch nach 18:30 Uhr fährt, da die Studierendenzahlen am Campus Golm zukünftig steigen werden.

Wie möchten die Kandidat_innen die Situation verbessern?

Wir haben alle sechs Kandidat_innen gefragt, wie sie die Verkehrssituation innerhalb Potsdams und die Anbindung an Berlin und das Brandenburger Umland verbessern möchten. Die Antworten präsentieren wir euch hier in der gleichen Reihenfolge der Personen wie auf dem Wahlzettel. Wenn ihr auf den Namen der Kandidat_innen klickt, kommt ihr außerdem zu seiner_ihrer Homepage. Alle Infos zum Amt des_der Oberbürgermeister_in und zum Ablauf der Wahl findet ihr unserem ersten Artikel zur Wahl.

Martina Trauth: Ein Umweltverbund für Potsdam

Die lange Pendelzeit ist Folge der bestehenden Wohnungsknappheit. Deshalb steht das Thema Wohnen ganz oben auf meiner Agenda. Es ist mir aber auch ein sehr wichtiges Ziel, in Potsdam die Mobilität zu erhalten und dennoch weniger Verkehr zu haben. Bisher läuft die Verkehrspolitik in Potsdam den Anforderungen unserer wachsenden Stadt nur noch hinterher. Ich werde mich deshalb für einen Umweltverbund und für eine intelligentere Verknüpfung von Auto-, Fahrrad- und öffentlichem Verkehr stark machen. Dazu zählen

• weitere Teile der Innenstadt autofrei gestalten.
• Einstieg in einen hochwertigen und fahrscheinlosen Nahverkehr für Potsdamer Bürgerinnen und Bürger, mehr Park & Ride- und Bike & Ride-Plätze
• ein regionales Radwegenetz mit Umsteigemöglichkeiten zu Bus und Bahn.
• für unser Umland flexiblere Mobilitätsangebote, wie z.B. Ruf-Busse, und eine bessere Vernetzung der Ortsteile untereinander.

Wünschenswert wäre eine ständig aktualisierte Bedarfsmitteilung für das Brandenburger Umland – z.B. durch eine App, mit deren Hilfe Menschen – nicht nur Student*innen – den Verkehrsunternehmen mitteilen können, wann sie wohin wollen. Eine Analyse dieser Daten könnte dazu führen, dass ab einer bestimmten Nachfrage dann doch ein Bus eingesetzt wird. Es muss ja kein großer sein. Eine solche App kann freilich nur von höherer Stelle ins Leben gerufen werden. Bedarf aus den ländlichen Regionen müsste ermittelt und dann als aktueller Bedarf dem Kreis als Träger des ÖPNV übermittelt werden.

Zur geplanten Änderung der Verbindung von Berlin nach Potsdam kann ich mich nur der Meinung des AStA der Universität Potsdams anschließen. Auch ich denke, dass es gut ist, eine ganztägige Verbindung zwischen Gesundbrunnen und Golm zu bekommen. Die Einrichtung darf aber nicht auf Kosten der schon jetzt kaum ausreichenden RE21 Verbindung geschaffen werden. Im Gegenteil, gerade hier wäre ein zusätzlicher Zug oder zumindest die Beibehaltung der Verbindung mit einem zusätzlichen Waggon wünschenswert. Wichtig wäre für mich aber auch, die drei Uni-Standorte in Potsdam durch Fahrradschnellwege und Zuganbindungen besser zu vernetzen.

Mike Schubert: Schnellere Reaktivierung der südlichen Verbindung nach Berlin

Die Anbindung nach Berlin wird durch die neue Verbindung über Berlin-Spandau grundsätzlich besser. Wie der AStA und auch die Uni Potsdam selbst teile ich die Kritik, dass es dabei aber zu keiner Verschlechterung der Anbindung der drei Uni-Standorte in Potsdam kommen darf. Vielmehr muss es zu einer deutlichen Beschleunigung der Reaktivierung der Stammbahn kommen, damit Regionalbahnen wieder über die südliche Verbindung nach Berlin fahren können. Damit sind dann tatsächlich auch zusätzliche Zugverbindungen nach Berlin möglich, die die überlastete Strecke über Wannsee nicht aufnehmen kann.

Für die Anbindung an das weitere Umland ist es wichtig, dass überall konsequent der Nahverkehr an die Regionalbahnhöfe ausgerichtet wird, damit niemand mit dem Auto nach Potsdam hineinfahren muss, sondern schnell zum Bahnhof und von dort ebenso schnell nach Potsdam oder Berlin gelangt. Für alle, die trotzdem auf das Auto angewiesen sind, müssen wir die Park & Ride Angebote ausbauen. Wer mit dem Rad mobil ist und auch längere Strecken fährt, muss mit Radschnellwegen ins Potsdamer Umland auch die Möglichkeit bekommen, das zu tun.

Janny Armbruster: Zwei Probleme und viele Lösungsvorschläge

Das erste Hauptproblem in Potsdam selbst: Mehr Einwohner_innen, mehr Verkehr. Aber: Potsdams Insellage und Straßennetz verträgt nicht mehr Verkehr. Und mehr Autos verpesten die Luft und schaden dem Klima. Wir müssen also Alternativen für Autofahrer in Potsdam schaffen, indem wir die Öffis ausbauen und eine Fünf-Minuten-Umsteige-Garantie einführen, neben den Studi-Tickets auch Jugend- und Jobtickets anbieten und dann das Bürgerticket einführen, mit dem alle Einwohner ÖPNV fahren können und alle beteiligen sich über eine Umlage an den Kosten. Ich will Radwege ausbauen, Ausleihstationen für Lasten-Fahrräder in allen Stadtteilen einrichten und Pflaster-Holper-Radeln in der Innenstadt durch bequeme Fahrradspuren beenden. Weiterhin braucht Potsdam funktionierende Stadtteile mit fuß- oder fahrradläufiger Infrastruktur und Arbeitsplätzen, die Autofahrten überflüssig machen. Und nicht zuletzt will ich die Innenstadt autofrei machen.

Das zweite Hauptproblem: Pendler-Verkehr zum Arbeits- oder Studienplatz vom Umland nach Potsdam und von Potsdam nach Berlin und ins Umland. Meine Vorschläge dazu: Potsdam hat als einzige Stadt dieser Größe sieben Bundesbahnhöfe und macht bislang nichts daraus. Bundesbahn muss öfter und in neuen Verbindungen fahren, so dass Verbindungen nach Berlin schneller und dichter werden, die Stammbahn nach Berlin muss gebaut werden, Verbindungen nach Golm und Spandau sowie zum Flughafen Schönefeld ausgebaut werden. Der Nahverkehrsplan Brandenburg, den die SPD und die Linken zu verantworten haben, nutzt alle diese Chancen nicht, oder viel zu langsam. Da muss vielmehr Druck durch eine grüne Oberbürgermeisterin gemacht werden.

Die Verbindungen mit Bussen und Bahnen in das Potsdamer Umland müssen gemeinsam mit den Umland-Gemeinden energisch ausgebaut und intelligent mit Park&Ride-Angeboten verknüpft werden. Dazu muss Potsdam auf die Landkreise und Umland-Gemeinden zugehen und sich mit ihnen verbünden, anstatt weiter Kirchturmpolitik zu betreiben. Das ist viel zu lange nicht geschehen. Wenn wir wie in anderen Städten Rad-Schnellwege nach Golm, Berlin, Geltow oder Krampnitz bauen oder ausbauen, können wir eine attraktive Alternative für Radfahrer, aber auch für Pedelecs und E-Bikes anbieten, auf die immer mehr Menschen umsteigen.

Lutz Boede: Kostenloser ÖPNV und Anbindung des Potsdamer Nordens an Berlin

Eine vernünftige Stadtplanung kann intakte Stadtteile schaffen, in denen soziale Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen fußläufig erreichbar sind. Dadurch kann viel überflüssiger Verkehr gespart werden. Außerdem müssen Radwege und Schienennetz ausgebaut werden. DIE aNDERE setzt sich seit vielen Jahren für den Nulltarif im ÖPNV ein. Inzwischen gibt es dazu eine AG Bürgerticket, die hoffentlich bald handfeste Ergebnisse liefern wird.

Das wichtigste Verkehrsprojekt ist eine direkte Bahnanbindung des Potsdamer Nordens an Berlin. Die Pläne, eine Bahnverbindung von Marquardt über Spandau nach Gesundbrunnen zu schaffen, dürfen aber nicht zu Lasten der Anbindung des Wissenschaftsstandortes Golm an Berlin gehen. Dafür kann sich ein Oberbürgermeister natürlich einsetzen. Aber, offen gesagt, ich glaube nicht, dass der Potsdamer OB einen nennenswerten Einfluss auf die Bahn hat. Die liefert letztlich, was das Land bestellt und bezahlt. Die Universität als Landeseinrichtung hat wahrscheinlich bessere Karten, dem Land da etwas Beine zu machen.

Dennis Hohloch: Autofreundliche Politik und moderner ÖPNV

Wir brauchen endlich eine Verkehrsplanung, in welcher alle Teilnehmer gleichberechtigt einbezogen werden. Das bedeutet zum einen, dass die Stigmatisierung des Autos in Potsdam ein Ende haben muss. Der Individualverkehr wird in den kommenden Jahren bis 2035 mit ca. 12.500 neuen KFZs stark zunehmen und muss deshalb durch eine autofreundliche Politik begleitet werden. Dazu gehören die Planung und der Bau einer Ortsumgehung, um Pendler aus der Stadt zu halten, der Abbau des Sanierungsstaus von über 122 Mio.€ sowie die Überarbeitung des Innenstadtverkehrskonzeptes und der Parkraumbewirtschaftung.

Außerdem brauchen wir einen modernen ÖPNV, der für die Zukunft gerüstet ist und nicht bei einer Grippewelle auf den Ferienfahrplan umstellen muss. Hierzu gehören eine stärkere Personalakquirierung, Betriebswohnungen für Fahrer und stärkere Investitionen in autonome Fahrsysteme. Auch ohne das Umland und den VBB wird ein effizientes ÖPNV-Angebot nicht möglich sein, weshalb interregionale Verkehrskonzepte für die Zukunft eine große Rolle spielen werden. Zudem ist die Fortschreibung des Radwegeverkehrskonzepts obligatorisch.

Götz Friederich: Forderung nach grundlegenden Veränderungen

Die Stadt wächst und entsprechend muss auch der ÖPNV innerhalb Potsdam mitwachsen. Es kann nicht angehen, dass Tramlinien ausfallen, nur weil die vip es versäumt, frühzeitig Personalengpässe zu regulieren. Zukünftige Studenten/innenheime müssen in das bestehende ÖPNVNetz nicht ideologisch, sondern nach den Bedürfnissen der Studierenden eingepasst werden. Verkehrstechnisch ist die Stadt in einem verheerenden Zustand: leider reicht es nicht, an einem Schräubchen zu drehen, hier muss das gesamte Uhrwerk auf den Prüfstand. Das heißt, wir müssen uns mit dem Studentenwerk zusammensetzen und perspektivisch überlegen, wie die Mobilität der Studierenden in der Stadt in Zukunft aussehen wird. Jetzt ist die Zeit, um zu investieren und Weichen zu stellen.

Nun, bisher scheint die Stadtverwaltung in Potsdam den Kontakt mit den Umlandgemeinden – und dazu zähle ich auch Berlin – auf ein Minimum zu beschränken. Ehrlich gesagt, dem gesamten Verkehr in der Hauptstadtregion droht ein Kollaps. Die Menschen müssen zunehmend pendeln, weil sie sich nur noch außerhalb Wohnraum finanziell leisten können, pendeln mit dem Auto ist politisch nicht gewollt, aber einen leistungsstarken und attraktiven ÖPNV stellt man ihnen leider auch nicht zur Verfügung. Dass Potsdam und das Umland wächst, scheint offensichtlich überhaupt keine Rolle mehr zu spielen.

Wissen Sie, diese Situation macht mich ärgerlich: Wie man hier mit Menschen umgeht, ist unschön. Pure Ignoranz. Potsdam besser ans Umland und an Berlin anzubinden, steht leider nur bedingt in der Macht eines Oberbürgermeisters, denn das ist – auch wenn es abgedroschen klingt – Ländersache. Dennoch: In dem Falle, dass ich Oberbürgermeister werden sollte, werde ich mich unverzüglich mit den Umlandgemeinden zusammensetzen, um zu besprechen, wo wir verkehrstechnisch schnell helfen können. Ich weise außerdem daraufhin, dass bereits im März von Rainer Genilke, Unionsabgeordneter im Brandenburger Landtag, das Konzept „Zug um Zug besser verbunden“ erarbeitet wurde, in dem Lösungsvorschläge vorgestellt werden.

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