Ein Schiffsunglück, Verwirrung, Rollentausch, Schmerz und bedingungslose Liebe – die wohl berühmtesten Komödie Shakespeares feierte im März Premiere im Hans Otto Theater Potsdam. Warum Platon zitiert wurde und ob der Narr nicht doch mehr weiß, als man ihm zutraut, wird auf der Bühne des Neuen Theaters auf eine ganz besondere Weise gezeigt. Von Angelina Schüler.
In alten Zeiten waren wir Kugeln. Zwei Menschen, die in einem Körper vereint sind. Zeus schnitt uns auseinander und seit dieser Zeit irren wir umher, auf der Suche nach unserer anderen Hälfte. Platons mystische Wesen aus dem Symposion dient dem Regisseur Michael Talke als Rahmen für seine Inszenierung von William Shakespeares Komödie Was ihr wollt, welche am 28. März diesen Jahres Premiere im Hans Otto Theater Potsdam feierte.
Nach der Theorie Platons muss für jeden Menschen auf der Welt ein passendes Gegenstück existieren. Manchmal erkennen wir diese anderen Hälften jedoch nicht, weil wir von Verwirrung, Verkehrung oder Verwandlung getäuscht werden. So auch in diesem Stück, welches durch Rollen- und Geschlechtertausch geprägt ist. Die zwölfte Rauhnacht, Teil einer magischen Zeit am Ende der Weihnachtstage, und die Feier zur Twelfh Night nahm Shakespeare zum Anlass, die Komödie um die hoffnungslose Dreiecksbeziehung zwischen dem Fürsten Orsino, der Gräfin Olivia und der als Mann verkleideten Viola zu schreiben.
Am illyrischen Hofe des liebeskranken Orsino wird Viola – in ihrer männlichen Gestalt Cesario genannt – nach einem Schiffsunglück der Botschafter des Fürsten. Dieser liebt die seit langem schon in Trauer verfallene Gärfin Olivia, dessen Hofstaat angesichts ihrer Untätigkeit nichts anderes tun, als feiern, trinken und sich gegenseitig zu necken. Als nun Cesario die Liebesbotschaft überbringt, wird Olivia wieder lebendig und verliebt sich in den vermeintlichen Jüngling. Indes hegt Viola zarte Gefühle für Orsino. Dieser sieht aber nur einen Knaben in ihr. Aus Angst, vom Hof und aus dem Land gejagt zu werden, behält Viola ihre Maskerade und alle drei lieben den jeweils anderen. Die Verwirrung wird perfekt, als Violas Zwillingsbruder Sebastian in Illyrien auftaucht, der das Schiffsunglück durch eine glückliche Fügung ebenfallls überlebt hat, von seiner Schwester aber für tot gehalten wird. Er, das Ebenbild Violas – die er seinerseits für tot hält –, wird in das schon verkomplizierte Gebilde dieser Beziehung hineingeworfen und von beiden Höfen für Cesario gehalten. Olivia heiratet den „richtigen“ Mann; Cesario wird zum Duell aufgefordert; Malvolio, überheblicher Diener der Fürstin, bekommt seine gerechte Strafe; Viola lässt den Grafen Orsino entdecken, dass sie ihn liebt und zum Schluss sind es zwei zusammengesetzte Kugeln, die verschüchtert und beschämt auf der Bühne sitzen. Die Inszenierung selbst beginnt mit einem ungewohnten Perspektivwechsel: Die eigentlichen DarstellerInnen setzen sich auf die auf der Bühne platzierten Theatersitze und beobachten das Publikum. Die Zuschauer werden zu Beschauten. Ein Stück im Stück, wobei die Rollen verteilt und vertauscht werden. Seine Wirkung verfehlt diese Herangehensweise nur dadurch etwas, als die Situation irgendwann in die Absurdität umkippt. Doch für einen kurzen Moment kommt man sich ertappt und kontrolliert vor. Genaues Beobachten gibt uns die Möglichkeit, einen Menschen mehr und mehr kennenzulernen. Und ohne genaue Beobachtungen finden sich die halbrunden Menschen nicht.
Die Bühne wirkt ungewohnt steril; die Spielfläche ist durch Plastikstreifen eingegrenzt, die an eine Lagerhalle erinnern und der blankpolierte Boden lässt die Szenerie kühl wirken. Im Gegensatz dazu stehen die zum Teil abstrus zusammengestellten Kostüme. Man sieht Poloshirts mit Haremshosen und Fliegermütze mit Spanischen Kragen kombiniert. Die liebestolle Gräfin wird in schwarzer Corsage und durchsichtigem Reifrock gezeigt. Und der Narr trägt die edelsten Stoffe. Das künstlerische Team um Regisseur Talke bringt einen Klassiker in neuem Gewand auf die Potsdamer Bühne. Alles ist frisch, jung und im Geiste dieser Zeit. Starke, beherrschende Frauen geben den Ton an und setzen sich über alle Konventionen hinweg. Besonders die Figur der Olivia zeigt emanzipatorische Tendenzen. Die Problematiken sind aktuell; die Inszenierung greift nicht nur die elisabethanische Ständeordnung, sondern genauso die heutige gesellschaftliche Situation an. Exemplarisch dafür stehen die Szenen mit Olivia und Cesario, ebenfalls das Komplott um Malvolio und die offenkundige Zuneigung seitens Cesario zu Orsino. Auch die Sprache ist dem Original an einigen Stellen nur noch vage angelehnt. Wo im Original zahlreiche Sätze und klangvoll komponierte Worte zu finden sind, gibt es auf der Bühne nur einen schwachen Seufzer. Die Mischung von alldem ist ein wenig zu modern. Auch wenn Shakespeare sicher kein Freund konventioneller Theaterarbeit war, so ist doch zumindest seiner unverwechselbaren Poesie einzugestehen, dass sie auf den Bühnen gesprochen wird.
Schauspielerisch überzeugt die Leistung der zehn DarstellerInnen allemal. Besonders hervorzuheben sind dabei Patrizia Carlucci, die als Cesario/Viola die richtige Balance zwischen Verlangen, Verstecken und Verleumden findet; eine umwerfende Rita Feldmeier, die nicht nur als Narr, sondern auch als Musikerin eine gute Figur macht (und spielt); Christoph Hohmann, der mit seiner Verkörperung des Malvolio sämtliche Lacher auf seiner Seite hatte und zuletzt Kristina Pauls, welche als Gräfin Olivia in jeder Szene glänzt. Auch wenn dem traurigen Grafen Orsino (Dennis Herrmann) etwas weniger Melancholie gut getan hätte, so konnte das Publikum bis zum Höhepunkt der Komödie mit ihm leiden und seinen Schmerz verstehen. Von der schönen Gräfin verschmäht sieht er den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Erst die abrupte Wende und die Wiedervereinigung von Bruder und Schwester öffnet allen Beteiligten die Augen.
Dies ist ein Happy End, so wollen wir es zumindest hoffen. Denn obwohl das Chaos gerichtet und die Ordnung wieder hergestellt wird, so liebt doch Olivia nicht die äußere Hülle des hübschen Jünglings, sondern dessen Geist und Witz. Und Orsino verzehrt sich immer noch nach der hübschen Gräfin. Ist Viola ihm wirklich ein Trost? Sieht man sich die Inszenierung an, so ist, neben den bunten Kostümen, dem klar strukturierten Bühnenbild und den musikalischen Zwischenschüben vor allem Eines ganz deutlich zu sehen: Liebe – so wie wir sie zu kennen glauben – existiert nicht. Aber wenn wir unsere andere Hälfte ganz fest an uns drücken, unsere Arme umeinander schlingen und sich der Sturm auf dem Meer legt, dann werden wir – zumindest nach Platon und Shakespeare – irgendwann wieder ein Ganzes sein.
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