Alexander Finkenwirth studierte Schauspiel an der Babelsberger Hochschule für Film und Fernsehen und ist seit 2012 festes Ensemble-Mitglied am Hans Otto Theater. Im Film spielte er auch schon einen Studenten, der Amok läuft, auf der Theaterbühne wird er ab Januar als Hamlet sein Studium abbrechen, um seinen Vater zu rächen. über die Ruhelosigkeit im Studium und die Einsamkeit der Schauspielenden. Interview von Denis Newiak.
speakUP: Alexander, im aktuellen Stück „Zorn“ besprüht deine Figur Joe eine Moschee mit Hassparolen. Das Programmheft kann sich nicht entscheiden, ob er dumm, rassistisch oder einfach nur von seinen Eltern verwöhnt ist. Was denkst du?
Alexander Finkenwirth: Ich glaube, dass eigentlich nichts so richtig zutrifft. Joe ist, denke ich, auf der Suche nach einer Haltung. Er ist der Sohn von links-liberalen Intellektuellen, die „im Leben angekommen sind“, aber auch an Biss verloren haben, die alles zulassen, auch an Meinungen. Vielleicht sucht er etwas, um sich abzugrenzen, nicht im Sinne eines pubertären Klischees, dass man was anderes sein will als die Eltern, sondern auch weil er auf der Suche ist nach einer eigenen Position. Aber natürlich will er auch provozieren, dass man offen über Probleme spricht, die ins Auge fallen.
speakUP: Joes Mutter gerät im Stück in den Verdacht, als Studentin an einem Terroranschlag beteiligt gewesen zu sein. Das erinnert inhaltlich ein wenig an deinen Abschlussfilm an der HFF „Totale Stille“. Dort spielst du einen Studierenden, der an der Uni Amok läuft. Bewegt ihn Ähnliches wie Joe in „Zorn“?
Alexander: Tatsächlich geht es für Stefan, den ich gespielt habe, auch in eine rechtpopulistische Schiene. Da ist die Rede davon, dass „unsere europäische Kultur“ gefährdet sei, dass die „Verhältnisse nur noch mit Gewalt“ veränderbar seien. Das erinnert an Andreas Breivik, der die krudesten Theorien, die überhaupt nichts miteinander zu tun haben, vereint hat. Das macht Leute wie ihn, die politisch überhaupt nicht mehr zu verorten sind, sehr gefährlich.
speakUP: Ihr habt am Campus Griebnitzsee gedreht. Wenn man den Film und den Kaltbeton von Haus 6 sieht, kann man als Studi an der Uni Potsdam Angst bekommen. Du warst während des Drehs selbst noch Studierender. Wie ging es dir bei den Dreharbeiten?
Alexander: Während auf dem Campus laufender Studienbetrieb war, mussten wir natürlich sehr auf unsere Aufgaben konzentriert sein. Konkrete Ängste, dass so etwas hier in Potsdam passieren könnte, habe ich nicht ausgestanden, auch wenn ich Erinnerungen an den Amoklauf in Erfurt im Kopf hatte. Letztlich scheint das alles weit weg, doch es kann sehr schnell konkret werden, wenn auch hier in der Fiktion. Was in dem Film auch thematisiert wird, ist der Druck, unter dem man als Student im System Universität stehen kann oder den man sich selbst macht. Inzwischen ist Bildung rein auf ihren Nutzen bezogen: Es geht um Karriere, um gut bezahlte Jobs, und das macht natürlich etwas mit den Menschen. Es kann große Ängste freisetzen, die sich unter Umständen seltsam entladen können. Wie in „Zorn“: Eine Figur berichtet dort von den Studienbedingungen unserer Elterngeneration und erzählt, dass es damals mehr darum ging, sich bilden zu wollen und Spaß an der Auseinandersetzung mit komplexen Sachen zu haben.
speakUP: Ja ja, die gute alte Bologna-Reform, die wir alle so fürchten…
Alexander: Klar, wir haben das auch an der HFF sehr kritisch gesehen, wie die Studienzeiten verkürzt und verschult wurden. Gerade im Schauspiel-Studium prallen Welten aufeinander: Einerseits kommt es auf die persönliche und künstlerische Entwicklung an, das braucht individuell mehr oder weniger Zeit. Andererseits muss man sich mit knallharten Regelstudienzeiten auseinandersetzen. Das hat viele gestört. Ich selbst mochte meine Studienzeit sehr, ich fand das schön, aber wir hatten eben sehr viel zu tun.
speakUP: In einem Interview heißt es, du warst auch schon vor dem Studium „ein Ruheloser, Getriebener“. Wer oder was hat dich da getrieben?
Alexander: Ich mich selbst. Ich habe nach dem Abitur überhaupt nicht gewusst, was ich mit mir anfangen oder später mal machen will. Das hat mich richtig unglücklich gemacht. Ich habe mir die Zeit genommen, um es herauszufinden, aber zugleich gab es von außen Druck, dass ich nicht zu viel Zeit verlieren und auch loslegen solle. Das ist dieses Bild, das einem überall vermittelt wird: Die Unternehmen suchen junge Leute, man muss also schnell fertig werden, Löcher im Lebenslauf machen sich nicht gut… Also habe ich zunächst zwei Semester Jura studiert. Aber das war es nicht für mich. Das Schauspielstudium war für mich dann eine totale Befreiung.
speakUP: Schauspiel-Studis, die nach zwei Semestern abbrechen, um Jura zu studieren, gibt es eher selten, oder?
Alexander: Stimmt, das gibt es nicht so oft. Wenn Leute abbrechen, dann eher deswegen, weil sie mit Dingen nicht zurechtkommen, die von einem in diesem Beruf oder Studium gefordert werden. Das ist ja mental zum Teil nicht immer leicht zu bewältigen, was einem als Schauspieler begegnet.
speakUP: In „Wie im Himmel“ hast du beispielsweise einen Menschen mit geistiger Behinderung gespielt. Wie kriegt man das hin?
Alexander: Ich glaube, man darf nicht zu ehrfürchtig sein: Es bleibt ein Spiel, eine fiktive Realität, die wir auf der Bühne etablieren. Und spielen, also sich zu verwandeln, macht einfach Spaß. Es kann auch Spaß machen, einen Mörder zu spielen. Zugleich muss man die Rolle ernst nehmen und ein echtes Interesse an den Figuren haben, die man darstellt. Bei „Wie im Himmel“ hatte ich eigentlich keine Berührungsängste, denn ich konnte mich gut in meine Figur hineinversetzen und mochte sie. Obwohl ich keine bestimmte Pathologie nachspielen wollte, haben viele Zuschauer in meinem Spiel typische Krankheitsbilder aus ihrer Erfahrung im Umgang mit Menschen mit Behinderung wiedererkannt. Bestimmt hat mir auch die Erfahrung geholfen, beim inklusiven Berliner Theater „Ramba Zamba“ zugeschaut zu haben, ein tolles Projekt!
speakUP: Trotz Studium an der Filmhochschule bist du im Theater gelandet…
Alexander: Ja, denn der Grund, warum ich mit dem Schauspiel angefangen habe, liegt im Theater. Aber Film ist natürlich weiter eine Leidenschaft von mir. Anfang November läuft zum Beispiel ein Kieler Tatort mit mir, worauf ich auch ein bisschen stolz bin. Der Dreh war eine tolle Erfahrung.
speakUP: Welches Stück oder welche Rolle ist dir seit deinem Engagement am Hans Otto Theater besonders wichtig?
Alexander: Da fällt mir sofort „Meine Schwester ist ein Mönchsrobbe“ ein. Damit hatten wir erst im Juni Premiere in der Reithalle. Es ist einfach eine tolle und witzige Coming-of-Age-Geschichte von einem jungen Mann, der orientierungslos durch die Welt läuft, Schicksalsschläge verkraften muss und seinen Platz in der Welt sucht. Der Regisseur meinte, er sei ein richtig „dreckiger Vorstadt-Hamlet“.
speakUP: Im Januar darfst du dich sogar am „echten“ historischen Hamlet versuchen, bestimmt keine leichte Aufgabe! Die Shakespeare-Figur kommt ja von der Uni in Wittenberg zurück, um dann in Dänemark seinen Vater zu rächen. Was denkst du, was Hamlet wohl studiert hat?
Alexander: Spannende Frage, die im Stück gar nicht richtig thematisiert wird. Die meisten Leute würden wahrscheinlich sofort antworten, dass er irgendetwas Geisteswissenschaftliches studiert hat, dass Hamlet ein richtiger Intellektueller, ein Denker, ein Philosoph ist. Vielleicht hat er aber auf Geheiß seiner Eltern etwas Pragmatischeres gemacht, also ganz gegen seine Neigungen, schließlich hat er als Thronfolger eine große Aufgabe vor sich…
speakUP: Im Spielzeitheft des Theaters sagst du: „Wenn ich spiele, spreche ich Sentinalesisch“ – also die Sprache, von der nichts bekannt ist, weil alle, die zu den Sentinales_innen zu Besuch kommen, getötet werden. Heißt das, dass man nur in der Einsamkeit des Schauspiels zur Erkenntnis von Welt kommen kann, wie ein Studi, der sechs Monate abgeschottet die Abschlussarbeit ausbrütet?
Alexander: Eigentlich will ich das gar nicht erklären. Aber in dem spontanen Moment dieses Satzes dachte ich: Wenn ich auf der Bühne bin, ist alles möglich. Ich kann Sprachen sprechen, die ich sonst nicht sprechen kann, und ich kann Dinge tun, die ich im wahren Leben nicht tun kann.
speakUP: Vielen Dank für das Gespräch!
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Weiterlesen: Unsere Rezension zu „Was ihr wollt“
Eine Antwort auf „„Es kann Spaß machen, einen Mörder zu spielen““