speakUP: Du warst bei den Protesten von Anfang an dabei. Wie lief das ab?
Juliane: Als ich im Camp in Gedelitz angekommen war, wusste ich noch nicht, wo ich genau blockiere. Das wurde alles unter Verschluss gehalten, damit Polizeispitzel die Blockade nicht gefährden können. Ich war schon ein paar Tage vorher da, um beim Aufbau zu helfen, zum Beispiel mussten die Kompostklos aufgestellt werden – natürlich streng ökologisch. Am Donnerstag vor dem Castortransport wurde das Camp offiziell eröffnet, dann gab es ganztätige und – für die Eiligen – dreistündige Trainings, wo alle üben konnten, wie man sich schmerzfrei von der Polizei wegtragen lässt oder durch eine Polizeikette kommt.
speakUP: Was muss man denn beachten, wenn man eine Polizeikette durchbrechen
möchte?
Juliane: Ganz wichtig ist: immer offen die Hände zeigen, so dass alle sehen, dass man keine Waffen hat und immer die Polizisten direkt ansprechen: „Von mir geht keine Gewalt aus, aber ich muss da jetzt durch!“. Und wenn man losgeht, darf man nicht auf die Polizist_innen zusteuern, sondern muss sich auf die Lücke zwischen ihnen konzentrieren. Am Anfang war ich zwar aufgeregt, aber dann hat alles sehr gut klappt.
speakUP: Du hattest also keine Angst, dass dir etwas passiert?
Juliane: Ich hatte natürlich totales Muffensauen. Wenn man auf diese riesigen gepanzerten Menschen zugeht, geht der Puls sofort hoch. Am Anfang sieht es so aus, als käme man nie durch diese Polizeireihen, aber zum Schluss geht es im Team eben doch. „x-tausendmal quer“ hat uns gut unterstützt: per Megafon gab es ständig Hinweise, wie man sich verhalten soll. Hinweise gab es auch an die Polizist_innen: „Wir sind ein friedlicher Protest“.
speakUP: Wenn das alles so gut organisiert ist, muss da ja ein unheimlicher Aufwand dahinter stecken.
Juliane: Auf jeden Fall. Den harten Kern bilden knapp 40 Leute, die das ganze Jahr an den Vorbereitungen arbeiten. Sie koordinieren die Arbeitgruppen, z.B. den „Polizeikontakt“, welcher schon lange vorher Flyer an die Polizei verteilt hat mit der Botschaft: Wir richten uns gegen die Politik, nicht gegen Sie. Die AG Logistik hat uns die ganze Zeit über mit warmen Getränken und Suppen versorgt, während die Polizei teilweise einen ganzen Tag nichts zu Essen bekommen hat.
speakUP: Einerseits sah man monstrierende, die von der Polizei geschlagen und mit Pfefferspray besprüht wurden, andererseits gab es auch das Bild
vom brennenden besetzten Polizeiauto.
Juliane: Also zu dem so genannten „brennenden Einsatzfahrzeug“ kann ich nur sagen: Das Einsatzfahrzeug hat nicht gebrannt, sondern auf dem Dach lag ein Feuerwerkskörper, der das Auto nur geringfügig beschädigt hat. Man muss natürlich auch kritisch hinterfragen, ob die Bilder, die einem beispielsweise die BILD-Zeitung serviert, auch wirklich Realität abbilden und ob nicht auch gestellt wurde.
speakUP: Glaubst du, dass es ähnliche staatliche Infiltrierungen und Provokateure gab wie beispielsweise 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm?
Juliane: Dass es Polizeispitzel in der Demo-Vorbereitung gab, ist klar. Einige wurden schon früher aufgedeckt oder haben sich geoutet. Es gab aber auch ganz normale Treffen von Demo- und Polizei-leiter_innen, wo ausgehandelt und vereinbart wurde, was gemacht werden darf und was nicht. An das, was ausgehandelt wurde, hat sich die Polizei auch gehalten.
speakUP: Wo ist für dich die Grenze zwischen „zivilem Ungehorsam“ und Straftaten wie dem Schottern?
Juliane: Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens für den Atomausstieg, 80 Prozent der Deutschen sehen dahinter. Die derzeitige Politik hat diesen Konsens angegriffen. In so einem Falle sind auch Mittel erlaubt, die nicht legal sind, sofern sie keine Menschen verletzen, sondern nur mediale Auf A Aufmerksamkeit fordern und dem Staat einen finanziellen Denkzettel verpassen. Dieses Ziel haben wir erreicht.
speakUP: Das heißt: insgesamt bist du mit den Aktionen zufrieden?
Juliane: Sehr sogar. Natürlich ist einiges blöd gelaufen, z.B. dass die Schotterer weniger erfolgreich waren als geplant, oder dass es letztlich doch sehr gewalttätig war, vor allem von Seiten der Polizei. Zwar gab es auch Gewalt von Seiten der Demonstrierenden, das war aber nichts im Vergleich dazu, dass teilweise friedliche 16-jährige Mädchen mit Pfefferspray attackiert oder verprügelt wurden. Trotz allem: Es war der bisher längste und erfolgreichste
Widerstand gegen die Atompolitik in Deutschland.
speakUP: Welche konkreten Reaktionen erhoffst du dir jetzt?
Juliane: Ich erwarte, dass die Grünen bei der nächsten Bundestagswahlen einen kräftigen Aufwind erleben. Dann müssen auch die unverantwortlichen Geheimverträge zur Laufzeitverlängerung gekippt werden, auch wenn sie so gestrickt sind, dass das in jedem Fall viel Geld kosten wird. Denn: Durch diese Verträge sehe ich mich und alle Menschen, die ich lebe, gefährdet und mit Pfefferspray besprüht wurden, andererseits gab es auch das Bild vom brennenden besetzten Polizeiauto.