Jugend rettet ist eine von Studierenden gegründete Initiative. Die Vorsitzende Lena Waldhoff erzählt im Interview mit der speakUP, wie es gelingen soll, mit einem holländischen Fischtrawler auf das Mittelmeer zu fahren und Flüchtlinge in Seenot zu retten. Von Sandra von Malottki
speakUP: Jugend rettet ist eine sehr junge Organisation. Nicht nur, dass das Projekt ein sehr junges ist – auch euer Team besteht aus vielen jungen Menschen. Was hat dich motiviert, dieses Projekt – ein Schiff kaufen, es umbauen und dann ein halbes Jahr lang über das Mittelmeer zu fahren und Menschen zu retten?
Lena Waldhoff: Meine persönliche Motivation war die Begegnung mit Menschen bei meiner Arbeit in einem Flüchtlingsheim, die über das Mittelmeer geflüchtet sind. Dort habe ich ihre Geschichten gehört und gleichzeitig gemerkt, dass seitens der Regierung eigentlich nichts unternommen wird, um diese Menschen umfassend zu retten. Ich habe für mich die Ausnahmesituation erkannt und mir gesagt: Ok, ich schmeiße hier alles hin und kümmere mich darum.
Ist dieses Projekt als Kritik an der gegenwärtigen Asylpolitik zu betrachten?
Wir konzentrieren uns vor allem auf den Bereich der Seenotrettung und sagen da ganz klar, dass dieses Programm EUNAVFORMED, bei dem auch zwei deutsche Schiffe mitfahren, selbst wenn es gelingt, nur der Versuch einer langfristigen Lösung ist. Aber man muss sehen, dass sich um die Menschen gekümmert wird, die in der Zwischenzeit flüchten. Das ist unsere Forderung an die Politik: Schickt da so schnell es geht Schiffe hin!
Besteht mit eurem ehrenamtlichen Projekt nicht vielleicht die Gefahr, dass ihr damit der Politik nicht die Verantwortung aus der Hand nehmt?
Das ist der wesentliche Punkt, den wir nicht wollen. Die Politik soll sich nicht auf dem freiwilligen Engagement der Menschen ausruhen. Deshalb haben wir diese Forderung und ein zeitlich begrenztes Projekt.
Auf der Homepage von Jugend rettet kann man den tagesaktuellen Stand der eingegangenen Spendengelder und auch die Planung bis zum Start der Seenotrettung sehen. Die erste Phase, die Finanzierung von Kauf und Überführung des Schiffes, läuft noch bis zum 15. Februar 2016. Aktuell kann man sehen, dass ihr 10.200€ von 270.000€ dafür sammeln konntet. Kannst du eine Prognose treffen, ob der vorgegebene Zeitplan einzuhalten sein kann?
Ich denke, dass es bis Juni auf jeden Fall realistisch ist. Auf der Homepage ist auch der Schiffstyp zu sehen, den wir kaufen möchten, der ist ohnehin schon günstig und gerade jetzt im Winter nochmal günstiger. Es kann also sein, dass der Kaufpreis unter den 270.000€ liegt. Ich bin da ganz optimistisch, weil die 10.200€ jetzt durch viele einzelne Spenden zustande gekommen sind und wir gerade große Unternehmen und Prominent akquirieren, um noch größere Spenden einzuholen.
Es werden noch zwei weitere Spendenphasen benötigt. Vom 16.02. – 31.03.2016 wollt ihr noch einmal 240.000€ für Umbau und Ausstattung sammeln sowie im Anschluss weitere 290.000€ für die halbjährige Rettungsaktion. Das sind gigantische Summen für ein wichtiges Unternehmen. Wie wollt ihr es schaffen, die Summe von 800.000€ bis zum Frühsommer einzunehmen?
Die dritte Spendenphase meint die laufenden Kosten, wir werden täglich etwa 2000€ benötigen, wenn wir raus fahren. Für diese Phase ist nicht angesetzt, dass wir die Spenden bis Juni 2016 vollständig eingenommen haben. Wir setzen darauf, dass wir bei der Rettung, die medial begleitet wird, noch einmal mehr Aufmerksamkeit erzeugen und weitere Spenden einnehmen können. Natürlich sind es hohe Summen, aber es gibt auch Bereiche bspw. Reedereien, die sich ärgern, dass sie mit ihren Schiffen Seenotrettung betreiben müssen, weil es niemand anderes macht und dadurch wirtschaftliche Verluste haben. D.h. es gibt Bereiche, die daran interessiert sind, dass sich Menschen für die Seenotrettung einsetzen.
Neben einem deutschlandweiten Netzwerk konntet ihr auch einige Unternehmen und prominente Unterstützer für die Aktion der Seenotrettung gewinnen. Wie genau sieht denn eure tägliche Arbeit aus, um das Schiff im Sommer auf das Mittelmeer zu bekommen?
Ich bin vor allem für die siebzehn Botschafter zuständig, d.h. ich koordiniere, kümmere mich um ihre Fragen, unterstütze sie bei kleinen Aktionen und beantworte Anfragen von lokalen Pressestellen. Außerdem versuche ich, Partnerorganisationen zu gewinnen und plane Veranstaltungen, bei denen wir über unser Projekt informieren. Mir geht es besonders darum, uns bekannter zu machen und uns weiter zu vernetzen.
Jacob Schoen und Matthias Schnippe kümmern sich besonders darum, im Bereich Finanzen weiter zu recherchieren, Unternehmensanschreiben zu erstellen, die Pressetermine zu koordinieren und entsprechende Leute zu kontaktieren.
Das ist jetzt alles sehr gut vorstellbar, aber eben doch Theorie. Wenn ihr die Menschen an Bord holt, werden sie z.B. medizinische Hilfe, Seelsorger, Nahrung benötigen. Wie können wir uns denn die Umsetzung vorstellen?
Wir brauchen natürlich eine Crew, die u.a. aus medizinischem Personal besteht. Angedacht sind auf jeden Fall zwei Personen für die medizinische Erstversorgung. Die kümmern sich dann zuerst darum, dass alle Menschen mit Trinkwasser versorgt werden – das ist das wichtigste. Die Krankheiten, die wir vor Ort versorgen können, sollen von ihnen behandelt werden, diese Informationen beziehen wir von anderen Organisationen z.B. Ärzte ohne Grenzen, Sea watch oder die deutsche Marine, die bereits vor Ort sind. Das Erste, was behandelt werden muss, ist also Dehydrierung und Schnittwunden. Mehr können wir an Bord gar nicht gewährleisten.
Außerdem ist es wichtig, dass Männer und Frauen getrennt untergebracht werden. Wie wir mit der Unterbringung von Familien umgehen, müssen wir noch planen. Wir versorgen alle Geretteten mit einer leichten Nahrung und dann werden wir zum nächsten sicheren Hafen übersetzen.
Wichtig ist es natürlich auch, einen Psychologen für die akuten Fälle an Bord zu haben. Nicht zu vergessen ist auch unsere eigene Sicherheit, d.h. man kann unseren Crewbereich und das Steuer von außen nicht ohne Weiteres erreichen. Das ist auch wichtig, denn die Menschen befinden sich in einem Ausnahmezustand und man kann nicht sagen, wie sie reagieren.
Woher bekommt ihr Freiwillige die ein halbes Jahr Zeit haben euch zu unterstützen?
Wir werden die Rettungsaktion in kleinere Zeiträume einteilen. Die Crew, die für das Schiff zuständig ist, Maschinist, Steuermann, Kapitän, etc. wird jeweils etwa einen Einsatz von zwei Monaten haben. Die freiwilligen Ärzt_innen und Psycholog_innen werden aber einen deutlich kürzeren Zeitraum an Bord verbringen. Sie werden uns jeweils für etwa drei Wochen begleiten. Da erfolgt dann auch spätestens der Landgang und in diesem Zeitraum wird gewechselt. Wir haben bereits Kontakt zu zwei Ärztinnen, die sich das gut vorstellen können und wir haben sie mit einem Arzt von Ärzten ohne Grenzen vernetzt. Er hat in diesem Bereich bereits Erfahrung und sie können sich austauschen sowie die Aktion planen. Aus anderen Initiativen melden sich tatsächlich unglaublich viele Menschen, die mit uns an Bord gehen und die Menschen retten möchten. So haben wir schon jede Menge Freiwillige, die wir mit der Zubereitung von Speisen und der entsprechenden Ausgabe beauftragen können.
Insgesamt haben wir die Schiffscrew zusammen und suchen jetzt noch weitere Ärzt_innen und Psycholog_innen.
Was wird nach eurer halbjährigen Rettungsaktion sein?
Die Hoffnung ist natürlich, deshalb haben wir die Aktion auch auf ein halbes Jahr begrenzt, dass dann vonseiten der Politik etwas passiert. Aber das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht einschätzen, d.h. in einem halben Jahr müssen wir schauen. Auf jeden Fall wird es Jugend rettet danach auch noch geben. Wir bauen gerade ein Netzwerk aus, das sich künftig über ganz Europa erstrecken soll. Das muss natürlich weiterhin bestehen und wir werden sehen, wo wir unterstützen können, wenn der Bereich der Seenotrettung wirklich abgedeckt sein sollte. Was wirklich schön wäre, wenn wir das erreichen können.
The worst case: Was wird mit den Spendengeldern passieren, wenn ihr das Geld für das Projekt nicht zusammen bekommt? Gibt es einen Plan B?
Für den Fall, dass die Gelder nicht reichen, müsste in einer Mitgliederversammlung gemeinsam entschieden werden, ob vielleicht ein kleineres Ziel mit dem Geld verwirklicht werden kann. Natürlich sind wir dazu verpflichtet, das Geld in einen gemeinnützigen Zweck zu investieren und wir würden auch in dem Bereich der Seenotrettung bleiben. Es gibt bspw. die östliche Mittelmeerroute, welche sich auch mit einem deutlich kleineren Schiff bewältigen ließe, weil dort teilweise nur zehn Kilometer zurückgelegt werden.
In unserer Satzung ist für den Fall, dass kein neuer Zweck gefunden werden kann, außerdem festgelegt, dass dann alle Gelder an das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen gehen.
Gibt es noch etwas, was du unseren Leser_innen sagen möchtest?
Wir suchen besonders in Potsdam noch Leute, die unseren Botschafter Alex unterstützen. Im Januar 2016 beginnt auch unsere Crowdfunding-Aktion und natürlich brauchen wir auch weiterhin viele fleißige Spender, die uns helfen, unsere Seenotrettung erfolgreich anzutreten. Alle Informationen und unser Spendenkonto findet ihr auf unser Homepage unter: http://www.jugendrettet.org.
Jeder Unterstützer rettet mit!
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