Ein Experiment, das sich ausgezahlt hat: Anfang April starteten rund 25 geflüchtete Männer und Frauen aus Syrien und anderen Ländern in den Intensiv-Deutschkurs an der Uni Potsdam. Was hat sich seitdem getan? Welche Chancen haben die Teilnehmer_innen auf dem Berufsmarkt? Wie sieht die Zukunft an deutschen Schulen aus? Von Ricarda Kluge.
700 Bewerber bei 15 Plätzen: Dass die Resonanz so überwältigend ausfallen würde, hätte niemand erwartet. Besonders Prof. Dr. Miriam Vock, die Initiatorin des Qualifizierungsprogramms für geflüchtete Lehrer_innen an der Uni Potsdam, zeigt sich immer noch überrascht vom Ergebnis des Konzepts.
Gemeinsam mit Dr. Frederik Ahlgrimm, dem Koordinator für die Internationalisierung der Lehrerbildung und Christoph Lehker, dem Leiter des Zessko an der Uni Potsdam, rief sie das Modell ins Leben.
Ein Geben und Nehmen
Intensiv-Deutschkurs und Lehrerprogramm: für 25 geflüchtete Männer und Frauen aus Syrien und anderen Ländern heißt es seit Anfang April wieder Schulbank drücken. Der Kurs besteht zu 2/3 aus ausgebildeten Lehrer_innen, aber auch andere Absolvent_innen (z.B. aus der Wirtschaft) erhalten die Möglichkeit, fundierte Deutschkenntnisse zu erlangen.
Neben der Grammatik und Vokabeln lernen sie in 24 Wochenstunden an fünf Tagen auch das deutsche Bildungssystem kennen, das sich enorm vom syrischen unterscheidet. Denn Differenzen finden sich nicht nur in der Klassenstärke oder Bewertungsweise, sondern auch in der Fachdidaktik.
„Bedingt durch das andere Schulwesen kommen die Teilnehmer mit teilweise unrealistischen Erwartungen in das Programm. Um den Kurs Ende September erfolgreich abschließen zu können, müssen sie selbst etwas tun und Initiative zeigen. Ein Geben und Nehmen ist hierbei essentiell, ohne Teamarbeit würde es nicht funktionieren“, erklärt Lehker.
Von Spaß und Freundschaften
Claudia Hubatsch, akademische Mitarbeiterin und eine der drei Lehrerinnen des Deutschkurses, ist jedoch überzeugt vom Lernerfolg der Teilnehmer_innen: „Alle haben eine hohe Motivation und beteiligen sich aktiv am Unterricht, denn sie wollen die Sprache lernen. Große Unterschiede finden sich aber im Lernprozess. Doch wenn es Schwierigkeiten gibt, helfen sie sich untereinander.“
Die Beteiligten im Gegenzug loben das Angebot der Lehrkräfte: „Mir gefällt die Atmosphäre hier und dass die Lehrer offen und freundlich mit uns umgehen. Ich fühle mich nicht wie eine Fremde“, meint eine junge Syrerin. Diese Meinung teilt auch ein Wirtschaftsstudent aus Damaskus: „Obwohl die Grammatik sehr schwer ist, macht der Unterricht viel Spaß, denn ich konnte einige Freundschaften schließen und die Lehrer_innen motivieren mich jeden Tag aufs Neue.“
Kultureller Austausch im Klassenraum
Da der Wissensstand der Teilnehmer_innen weit auseinandergeht, wird in der Zwischenzeit nach einem einheitlichen Weg gesucht, sie in das deutsche Berufsleben einzugliedern. Die Praktikumsphase ab Herbst ist ein erster Schritt in diese Richtung und soll syrischen Lehrer_innen in schulpädagogischen Hospitationen das deutsche Schulsystem näher bringen.
Viele Einrichtungen haben bereits ihre Hilfe zugesichert und einige Lehrer_innen wollen an einem Sprachaustausch teilnehmen. Ziel ist es, dass syrische und deutsche Lehramtsstudent_innen zusammen gebracht werden und ein interkultureller Austausch entsteht.
„Eine einmalige Chance“
Die geflüchteten Lehrer_innen sollen später nicht nur syrische Kinder unterrichten, sondern ebenso den Kontakt zu deutschen Schülern pflegen. „Das ist eine einmalige Chance für uns, denn in so kurzer Zeit so viele qualifizierte Lehrkräfte im Land zu haben ist neu“, meint Miriam Vock. „Wir können viel von der syrischen Kultur lernen und sollten die Lehrer_innen als Vermittler zwischen beiden Kulturen ansehen.“
Damit die Teilnehmer_innen nicht ewig auf ihren Status als Geflüchtete reduziert werden, ist es wichtig, dass sie aktiv am sozialen Leben teilnehmen. „Ein Kursteilnehmer hat einen deutschen Sprachpartner, mit dem er sich in seiner Freizeit trifft“, erzählt Hubatsch. „Die Integration in Freizeit und Alltag ist aber noch ausbaufähig, denn bisher gibt es keine konkreten Vorstellungen diesbezüglich.“
Modell sucht Nachahmer
Nach dem sechsmonatigen Kurs sollen die Lernenden Kenntnisse im B1-Niveau erreicht haben. „Wir möchten uns aber nicht auf ein bestimmtes Level festlegen, denn dazu sind die Unterschiede zu groß“, so Ahlgrimm. „Sie erhalten am Ende ein Zertifikat, auf dem Kursdauer und Niveau bescheinigt werden, damit sie es für spätere Bewerbungen verwenden können.“
Die Reaktionen auf das experimentelle Programm an der Uni Potsdam zogen so weite Kreise, dass im Juni und Juli mittels finanzieller Zuschüsse des Wissenschaftsministeriums und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) zwei weitere Deutschkurse angeboten werden können. Noch ist die Uni Potsdam aber allein mit diesem Konzept. „Wir hoffen natürlich, dass die Berliner Unis mitziehen. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass die Idee gezündet hat“, so Vock.
Uni Potsdam stellt weichen
Ob die Absolvent_innen am Ende sofort in den Lehrerberuf einsteigen können, ist noch unklar. „Die Uni Potsdam stellt keine Lehrkräfte ein, aber in ganz Brandenburg wird händeringend nach kompetenten Lehrer_innen gesucht“, meint Vock. „Einige können sich sofort auf eine neue Stelle bewerben, wer jedoch für welche Position besetzt werden kann, das muss man im Einzelfall je nach Fähigkeiten und Fachgebiet entscheiden.“
Auch wenn derzeit noch nicht gesagt werden kann, wie und in welchen Dimensionen sich das Programm entwickelt, eins ist sicher: Mit diesem Projekt stellt Potsdams Universität die Weichen für eine kulturell vielfältige Zukunft an deutschen Schulen. Und darauf kann sie stolz sein.