Im Dezember 2013 ist der neue Sitz des Brandenburger Landtags eröffnet worden, das so genannte Potsdamer Stadtschloss. Nun ist Potsdams Mitte um ein neobarockes Schloss reicher. Ist das gut? Schlecht? Irgendwas in der Mitte? Wir haben uns die Sache einmal aus der Nähe angeguckt. Von Natlia Oglanova.
An diesem Freitagabend sind wir ganz pünktlich, ein bisschen wie Musterschüler. Etwas ratlos stehen wir im Foyer des neuen Potsdamer Stadtschlosses und warten darauf, dass unsere Führung durch den Landtag beginnt. Nicht einmal unsere Ausweise hat irgendjemand sehen wollen. Nur kleine Armbänder, die wir am Empfang bekommen haben und nun um die Handgelenke tragen, machen deutlich, dass auch wir zur Führung gehören. Ziemlich locker geht es hier zu.
Eröffnet wurde der neue Landtag tatsächlich schon im Dezember 2013, insofern ist „neu“ hier ein relativer Begriff. Nichtsdestotrotz steht hinter dem neuen Parlamentssitz eine interessante Geschichte. Und eigentlich auch eine Grundsatzfrage zur Stadt Potsdam. Aber beginnen wir am besten ganz von vorn.
Zur Blütezeit des Preußischen Königreichs, als seine Herrscher noch Friedrich oder Wilhelm oder gleich beides hießen, war der barocke Bau Potsdams ganzer Stolz. Abwechselnd nutzten ihn seine Besitzer als Residenz- und Repräsentationsschloss, bis die preußische Idylle 1918 ein jähes Ende fand. Spätestens als Demonstranten in das Schloss eindrangen und den Wachen die Gewehre entrissen, wurde deutlich, dass Preußen nun Vergangenheit war.
„Nieder mit der Brutstätte des Feudalismus!“
Der Bau selbst fiel einem Bombenangriff in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs zum Opfer. Aber nicht ganz. Stolze 80 Prozent der Außenmauern blieben erhalten, zum Ärgernis der DDR-Regierung. Ungeachtet zahlreicher Proteste von Architekten und Ingenieuren beschloss sie 1959, auch den Rest des Gebäudes abzureißen. „Nieder mit der Brutstätte des Feudalismus!“, hieß es von Plakaten des SED-Politbüros. Die DDR wollte Potsdam in ihrem Sinne modernisieren und begann, die Spuren der hiesigen Monarchie mit dem Elan eines Frühjahrsputzes wegzufegen. An den Alten Markt, an dem das Schloss gestanden hatte, kamen nun eine mehrspurige Autostraße, das spätere „Mercure“-Hotel und die Fachhochschule, beide im typischen Baukastenstil des Ostens.
Doch die DDR währte bekanntermaßen nicht ewig. Mit ihrem Ende kam die Frage auf, was nun mit Potsdams Mitte geschehen sollte. Gleichzeitig wurde immer offensichtlicher, wie baufällig der alte Landtag auf dem Brauhausberg war. Eine neue Bleibe musste her.
Potsdams Mitte – was nun?
In einer 2005 durchgeführten Umfrage sprach sich der Großteil der wahlberechtigten Potsdamer_innen dabei für die historische Mitte aus, den Alten Markt. Als auch Günther Jauch und besonders Hasso Plattner großzügige Spenden für den Wiederaufbau des alten Stadtschlosses beisteuerten, war das Projekt beschlossene Sache. Besonders nach den Erfahrungen der DDR sollte zumindest ein bisschen vom alten Glanz wieder aufleben.
Während wir durch das Gebäude geführt werden, trifft ein wenig Altes auf eine ganze Menge Neues. Im Kontrast zum Alpina-Weiß und Karmesinrot der minimalistischen Inneneinrichtung schauen wir im Treppenhaus auf ergraute und von Geschichte angeknackste Atlasfiguren aus dem Original-Treppenhaus von Knobelsdorff. Echte Zeitzeugen der Historie sozusagen. Über dem Notausgang des Plenarsaals prangt ein schneeweißer Adler, eine Mischung aus moderner Kunst und dem Wappen Brandenburgs. Was früher die Kutschauffahrt war, lädt nun Demonstranten dazu ein, Plakate und Banner direkt durch die Fenster des Plenarsaals zu halten und den Abgeordneten darauf ihre Meinung zu geigen.
Ja, drinnen holt uns die Gegenwart ein. Im Laufe der Führung lernen wir auch, dass wir eigentlich noch viel mehr vom Landtag haben könnten. In den Plenarsitzungen von den Besucherrängen aus zuhören, zum Beispiel. Oder mit den Abgeordneten in der Stadtschloss-Kantine essen, die Assoziationen an ein Schullandheim wiederaufleben lässt.
Versuch einer Wiederauferstehung
Über die neobarocke Aufmachung der Außenfassade kann man streiten. Der Freund, der mich an diesem Tag begleitet, fühlt sich durch das Schloss betrogen: Es so wiederaufzubauen, als sei es niemals zerstört worden, sei ein bisschen so wie zu tun, als hätte es das Düstere in der Potsdamer Geschichte so nicht gegeben. Ich dagegen mag den Kontrast: Die Originalfassade des feudalistischen Potsdams, und darin ein modernes demokratisches Parlament, das offen für Besucher ist. Ist es falsch, seine Geschichte nachträglich editieren zu wollen? Die unbequemen Kapitel zu streichen und die guten in Szene zu setzen? Potsdam zumindest scheint sich dabei größte Mühe zu geben. Schließlich gehört die DDR genau so zur Geschichte der Stadt wie das goldene Preußen. Doch das plattenbauliche „Mercure“-Hotel soll abgerissen werden, die grau-betonierte Fachhochschule durch possierlichen Neobarock ersetzt werden. Ein bisschen erweckt das den Eindruck, als sei die Stadt eine alte Lady, die die unbequemen Kapitel ihrer Vergangenheit dadurch auszumerzen versucht, indem sie sich noch mehr Zierdeckchen kauft. Zierdeckchen aus der Zeit, als sie noch ganz jung war und die unbequemen Dinge noch gar nicht geschehen.
Am Ende der Führung löst sich die größtenteils pensionierte Menge so langsam auf. Die Kaffeemaschine im Coffeeshop summt, die letzten Fragen werden geklärt. Wir holen unsere Mäntel, verlassen das Nicht-wirklich-Schloss. Und treten hinaus in die Innenstadt von Klein-Preußen, das seine Identität gefunden zu haben scheint.
Eine Antwort auf „„Ceci n’est pas un château““