In den letzten Wochen erschienen bestürzende Berichte über die Behandlung von Uigur*innen in chinesischen Lagern und aufdeckende Recherchen über die Ausnutzung europäischer Wissenschaft für das chinesische Militär. In Deutschland versucht die Kommunistische Partei Chinas, Einfluss auf den Wissenschaftsbetrieb und das öffentliche Bild Chinas zu nehmen. Die Absichten Chinas sind bekannt – warum wird dagegen also nichts unternommen? Und sollte die Universität Potsdam einfach so weiter mit chinesischen Universitäten kooperieren?
Von Pierre Harder.
Die kommunistische Partei der Volksrepublik China (KPCh) verfolgt seit der Machtübernahme durch Xi Jinping im Jahr 2012 einen zunehmend autokratischen und nationalistischen Herrschaftsstil mit dem Ziel, imperiale Großmachtstrukturen vergangener Jahrhunderte wiederherzustellen. Die alleinherrschende KPCh sorgt im bevölkerungsreichsten Land der Erde für eine massive staatliche Überwachungspolitik – universale Menschenrechte wie die Meinungsfreiheit werden von der KPCh nicht anerkannt, sondern als ‚Westliche Werte‘ bezeichnet, die mit der chinesischen Kultur unvereinbar sind. Anstatt die universellen Menschenrechte anzuerkennen und die Situation der chinesischen Bevölkerung zu verbessern, strebt die KPCh an, ihr eigenes autoritäres System aufrecht zu erhalten und zu exportieren.
Ein Teil dieser Strategie ist die Einflussnahme in und über die akademische Welt. Wie Recherchen um das Recherchezentrum CORRECTIV enthüllten, kooperieren europäische Universitäten massiv mit dem chinesischen Militär, das so versucht zur militärischen Supermacht aufzusteigen. Die Enthüllungen zeigen auch, dass sich die Wissenschaftler:innen dieser Verbindung durchaus bewusst sind – sie jedoch ignorieren. Laut den Recherchen betrifft eine solche Kooperation nicht die Uni Potsdam. Das Beispiel macht aber deutlich, wie das Verhältnis zwischen deutschen Universitäten und China sich gestaltet.
Die KPCh versucht über direkte Einflussnahme über ihre Botschaften und Konsulate weltweit die Freiheit der Wissenschaft dort zu beschneiden, wo kritisch über die Politik der KPCh geforscht und publiziert wird. Ein wichtiger Baustein dieser Strategie sind die Konfuzius-Institute.
Sie sind, auch in Deutschland, oft an Universitäten angegliedert, bieten Sprachkurse an und veranstalten kulturelle Events. Ganz nebenbei, oder auch hauptsächlich, sollen sie jedoch dafür sorgen, dass an ihren jeweiligen Partneruniversitäten keine kritischen Aussagen über den Machtapparat der KPCh, die Unterdrückung der Uiguren oder die expansionistische Großmachtpolitik Chinas getätigt werden.
Staatssekretär im Bundesbildungsministerium Jens Brandenburg (FDP) bezeichnete den Einfluss der KPCh auf die Konfuzius-Institute als stark, wichtige Menschenrechtsfragen werden laut Brandenburg in den Kursen der Institute ausgeblendet. Unklar ist jedoch, warum das FDP-geführte Ministerium die Institute nun weiter frei agieren lässt.
Ist die FU Berlin eingekauft?
Die Freie Universität Berlin (FU) beispielsweise erhält laut eigenen Angaben circa 100.000€ im Jahr von dem dort ansässigen Konfuzius-Institut. Die FU vergleicht die Aktivitäten des Instituts mit denen der deutschen Goethe-Institute oder französischen ‚Institut Français‘ und verneint einen Einfluss der KPCh auf die Institute. Die Fördermittel kämen nicht von der KPCh, sondern vom Bildungsministerium Chinas, dem Hanban. Der Umstand, dass die KPCh die alleinherrschende Partei in China ist, die keine Opposition zulässt, scheint die FU wenig zu interessieren.
Das Konfuzius-Institut an der FU bietet jedoch nicht nur Sprachkurse und kulturelle Darbietungen an. Teil des Programms sind auch ‚Chinatage für Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I und II‘, deren Ablauf auch eine ‚Interaktive Diskussion über Chinaberichterstattung und Chinabilder‘ beinhaltet. 2020 fand eine Lesung mit dem Titel ‚Das chinesische Jahrhundert – Die neue Nummer eins ist anders‘ am Institut statt. Der Urheber der Lesung und des gleichnamigen Buches ist Wolfram Elsner, der jüngst „dem Westen“ im Konflikt mit Russland Kriegsmodus und Abstiegspanik zuschrieb und die Abhängigkeit zu russischem Gas verteidigte und forderte. In seinem am Konfuzius-Institut vorgestellten Buch geht es um die großen Erfolge Chinas im wirtschafts- und sozialpolitischen Bereich. Er verteidigt und verleugnet in dem Buch das Massaker auf dem Tian’anmen-Platz 1989 und verneint die Existenz der Konzentrationslager für Uiguren. Das Buch und die Lesung spielen in das Narrativ der KPCh, dass ‚der Westen‘ mit seiner eurozentrischen Sichtweise China nicht verstehen kann und sich für chinesische Werte zu öffnen – und somit von der Vorstellung von universellen
Menschenrechten zu trennen. Um diese Erzählung voranzutreiben, helfen natürlich auch Angebote, die Schüler:innen unterstützen sollen, die hiesige Berichterstattung über China zu hinterfragen.
Die FU Berlin meint trotzdem, dass es „zu keinem Zeitpunkt Versuche der ideologischen Einflussnahme auf […] Veranstaltungen gegeben hat“. Für 100.000€ jährlich kann sich das Konfuzius-Institut anscheinend nicht nur einen Platz, sondern auch die Meinung der größten Universität Berlins kaufen.
Muss Potsdam mit China kooperieren?
Auch die Universität Potsdam bietet Studierenden die Möglichkeit, Verbindungen nach China aufzubauen. So gibt es unter anderem die Option, an der UIBE in Peking zu studieren, einer Partneruni im Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Fraglich ist, inwiefern Studierende aus Potsdam sich in China frei äußern und auch frei forschen können. Auf der Website der UIBE sind die Gesetze für ausländische Studierende einzusehen. Laut den Gesetzen der VR China dürfen Ausländer „die Staatssicherheit, das öffentliche Interesse oder die öffentliche Ordnung nicht gefährden“. Personen, die sich gegen diese Regeln verhalten, und „als Bedrohung für die Sicherheit des Staates und der öffentlichen Ordnung verdächtigt werden, dürfen China nicht mehr betreten“. Zusätzlich zu den Gesetzen der VR hat die Universität noch Regeln, die besagen, dass keine „Demonstrationen oder Märsche angezettelt werden dürfen, und nicht an Demonstrationen oder Märschen von chinesischen Bürger*innen teilgenommen werden darf“.
Zusammenhängend betrachtet bedeutet dies für Studierende aus Potsdam, die nach Peking gehen, dass sie dort grundlegender Freiheiten und Grundrechte beraubt werden. In einem Erfahrungsbericht eines Studierenden der Uni Potsdam vor Ort heißt es:
„Auf der anderen Seite gleicht China einer Dystopie in der totale Überwachung, überbevölkerte Städte und die Zerstörung der Umwelt allgegenwärtig sind. Dieses Paradox aus Anziehung und Abstoßung, aus Faszination und Schrecken beschreibt mein Gefühl gegenüber China am besten. Ich suche jetzt schon wieder nach einer neuen Möglichkeit zurückzukehren und bin trotzdem heilfroh wieder auf der freiheitlichen Insel Europas angekommen zu sein.“
Dieser Bericht ist auf der Webseite der Uni Potsdam einsehbar, ebenso wie der Tipp, die Internetzensur in China durch das VPN der UP zu umgehen. Die UP verschweigt oder beschönigt also nicht die Umstände, unter denen eine wissenschaftliche Kooperation in und mit China getätigt wird.
Die speakUP hat mit der Koordinatorin für die Kooperation der Uni Potsdam mit der in Peking ansässigen UIBE, Claudia Krieger-Dai, geschrieben. Sie befürwortet die Kooperation mit der UIBE: „Studierendenaustausche erweitern immer den eigenen Horizont und beide Seiten lernen eine andere Kultur und ein anderes Land kennen, dies ist nicht nur für die Studierenden von großem Interesse, sondern zeichnet auch die Universität aus, die ihren Studierenden dies ermöglicht.“
Diese Vorteile gelten in der Tat für die meisten akademische Austauschprogramme, weswegen auch Erasmus+ längst zu einem Pfeiler der europäischen Jugend geworden ist. Studierende müssen sich in einem fremden Umfeld beweisen, knüpfen lebenslange Freundschaften und erwerben fachliche wie interkulturelle Kompetenzen. Doch sind Kooperationen mit chinesischen und europäischen Universitäten gleichzusetzen? Dies funktioniert nur, wenn die einzelne studierende Person im Vordergrund steht. Bei Kooperationen und Beziehungen zu China fällt es aber heutzutage zunehmend schwierig, den gesellschaftlichen und globalen Hintergrund auszublenden.
Wie dieser Hintergrund genau aussieht, haben die Xinjiang Police Files gezeigt, die vor kurzem u.a. vom Spiegel, DW und BBC aufgearbeitet wurde. Die aus den chinesischen Lagern für Uigur:innen stammenden Fotos und Dokumente zeigen das Schicksal von über einer Millionen Menschen des uigurischen Volkes, die diese Unterdrückung seit 2017 erdulden müssen. In den Dokumenten werden Folter, religiöse Verfolgung und Schießbefehle belegt. Die Menschenrechte in China werden tagtäglich mit Füßen getreten – und Kooperationen mit dem Land, die womöglich großen Nutzen für die KPCh haben, sollen einfach so fortgeführt werden? Bei den Verantwortlichen an der Uni Potsdam stoßen diese Nachfragen nicht auf taube Ohren sondern auf eine lebendige Fantasie; angesprochen auf die Menschenrechtsfrage in China wird darauf verwiesen, dass es sich bei der Behandlung Chinas „nicht nur um Politik und Menschenrecht drehen [sollte], die von westlichen Ländern gerne in den Mittelpunkt der Medien gestellt“ werden. Solche Themen würden laut Krieger-Dai „in deutschen Medien überproportional gewichtet und möglicherweise überspitzt oder vielleicht sogar verzerrt werden. Viele Studierende haben vor der Corona-Pandemie auch schon Reisen oder Exkursionen in Gebiete wie Taiwan, Tibet oder Xinjiang gemacht.“
Die Koordinatorin des Austauschprogramms weist außerdem darauf hin, dass „jedes Land seine eigenen Schwierigkeiten hat – Deutschland inbegriffen“, und bedient damit auch ein klassisches Narrativ der KPCh. So hat bspw. der chinesische Botschafter in Deutschland, Wu Ken, 2020 gemeint, dass Deutschland „Probleme mit Rechtsradikalismus, mit Rassismus und mit Antisemitismus“ habe und deswegen „nicht andere mit erhobenem Zeigefinger belehren sollte.“ Ganz ähnlich äußerte sich nach Bekanntwerden der Xinjiang Police Files auch Staatspräsident Xi Jinping: „Menschenrechtsangelegenheiten sollten nicht politisiert, instrumentalisiert oder mit doppelten Standards behandelt werden“ und „es gibt keinen Bedarf für einen Lehrer, der andere Länder herumkommandiert.“
Natürlich hat jedes Land seine eigenen Probleme. Es sollte jedoch klar sein, dass beispielsweise der strukturelle Rassismus in Deutschland mit all seinen Facetten nicht an die Problematik von Konzentrationslagern für Uigur:innen in China heranreicht.
Geht es nicht auch ohne China?
Die deutsche Wissenschaft muss für sich selbst die Frage beantworten, wie sie mit China umgehen wird. Die Kooperation mit chinesischen Universitäten birgt Gefahren für Studierende und Forschende von hier, die sich undemokratischen Regeln und Gesetzen in China beugen müssen. Auf wissenschaftlicher Ebene scheinen die Kooperationen häufig in Computersystemen des chinesischen Militärs zu enden – einem Militär, das mehrere demokratische Nachbarländer militärisch bedroht.
Über die Wissenschaft hinaus wird auch die deutsche Gesellschaft in einen intensiveren Dialog treten müssen, wie sie mit einem Land umgeht, das die Menschenrechte ignoriert und sein System der Unfreiheit in die Welt exportieren möchte. Im Bezug auf Russland erfolgte dieser Dialog nun viel zu spät.