Seit Monaten streiken Studierende in ganz Deutschland für bessere Lehrbedingungen und soziale Gerechtigkeit an den Hochschulen. Mit der Räumung des friedlich besetzten Audimax und einem Eklat beim Neujahrsempfang der Universität Potsdam haben die Proteste in der Landeshauptstadt ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht – Jetzt sind Hochschulleitung und Politik am Zuge. Wir haben mit Wissenschaftsministerin Dr. Martina Münch über „atemlose“ Bachelorstudiengänge, Formen des Dialogs und Aussichten für die Zukunft gesprochen. Von Denis Newiak
Frau Ministerin, stellen Sie sich einmal vor, eine Studentin kommt auf Sie zu und erzählt Ihnen von ihren persönlichen Eindrücken an der Universität Potsdam: Ihre Woche habe 60 Stunden, die Unzahl von Pflichtveranstaltungen schneide ihr die „Luft zum Atmen“ ab, es gäbe „keinen Platz mehr für Freizeit, Freunde und Familie“ – Alles Folgen eines schlecht umgesetzten Bologna-Prozesses. Wie würden Sie reagieren?
Ich würde ihr erst einmal genau zuhören und dann sagen: Das Bachelorstudium ist sicherlich sehr konzentriert und stärker in Richtung Schule gewandert, mit sehr festen Zeitplänen, aber das man „keine Luft mehr zum Atmen“ hat, das soll nicht sein. Daher hat die Kultusministerkonferenz ja beschlossen zu überprüfen, ob die Studiengänge auch wirklich studierbar sind. Richtwert sind dabei Wochen von 35 bis 38 Stunden, damit die Studierenden nicht überfordert werden und Zeitfenster bleiben, um zu gucken, was einen noch interessiert und was es sonst noch im Leben gibt. Das ist ja der Sinn des Studiums. Sollte das aber nicht gegeben sein, ist das nicht in Ordnung. Dann ist es notwendig, etwas zu verändern.
Im Zuge der Bologna-Reform wurden viele Diplomstudiengänge, die früher meist acht bis zehn Semester umfassten, in sechs Semester gedrückt. Wie kann bei den gerade von Ihnen genannten Kriterien ein so kurzes Studium überhaupt noch „berufsqualifizierend“ sein?
Ich glaube nicht, dass wir nach zehn Jahren der Umstellung den Bologna-Prozess an sich in Frage stellen sollten. Deswegen muss es jetzt darum gehen, nachzusteuern.Dass das, was früher in acht Semestern vermittelt wurde, nun auf sechs Semester zusammengequetscht wird, ist genau der falsche Weg. Der Zweck der Überprüfung der Bologna-Kriterien liegt genau darin, solche Fehlentwicklungen zu verhindern. Deswegen wurde ja noch einmal herausgestellt, dass es, wenn notwendig, auch Bachelorstudiengänge von sieben oder acht Semestern geben kann.
Das heißt aber, dass sich in diesem Fall mein Masterstudium verkürzt, weil die Gesamtregelstudienzeit mit 10 Semestern gedeckelt ist.
Ich denke, das kommt auf den Master an. Bei einer soliden Ausbildung im Bachelor reicht in den meisten Fällen der einjährige Master aus. Wenn es fachlich aber unbedingt erforderlich ist, dann muss es auch die Möglichkeit geben, den Master um ein oder zwei Semester zu verlängern.
Seitdem die Besetzung des Audimax beendet ist und die Runden Tische eingerichtet sind, hat sich die Lage an der Universität Potsdam ein wenig entspannt. Bis dahin war die Atmosphäre emotional sehr geladen. Haben Sie die Besetzer_innen im Audimax in der Zwischenzeit einmal besucht?
Ja, wir sind dort gewesen, der Staatssekretär sogar zwei Mal da und wir hatten die Besetzer_innen auch im Ministerium zu Besuch. So haben wir versucht, den Dialog zu fördern. Der Hauptdialog muss aber zwischen Studierenden und Universitätsleitung stattfinden. Da hat sich die Hochschulleitung sehr bemüht, was sich an den neu eingerichteten Runden Tischen und Arbeitsgruppen ablesen lässt. Das ist der richtige Weg. Natürlich gibt es Probleme, vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften – deswegen muss man sich jetzt zusammensetzen und Lösungen finden.
Auch wenn jetzt die Gesprächsbereitschaft zunimmt, zeigte sich aber beispielsweise auf dem Neujahrsempfang der Universität Potsdam, dass sich die Studierenden mit ihren Problemen nicht ernst genommen fühlen – und sich auf anderen Wegen Gehör verschaffen. Was ist in den letzten Monaten schief gelaufen?
Das müssen Sie die Besetzer_innen fragen. Ich fand die Eskalation völlig überflüssig. Ich glaube, wir haben die Studierenden mit ihren Sorgen sehr ernst genommen. Vor allem die Universitätspräsidentin hat sich sehr bemüht. Es war okay, dass sich die Studierenden an diesem Abend zu Wort gemeldet haben – sie haben ja für ihre unplanmäßige Rede auch Beifall bekommen –, aber die zweite Aktion mit der Besetzung des Präsidiums war unnötig.
Warum musste sich die Lage noch einmal so zuspitzen, anstatt schon im Sommer letzten Jahres auf die Bildungsproteste zu reagieren?
Vielleicht liegt das an der Perspektive. Als Studierender denkt man, es passiert gar nichts in der Politik. Doch es ist schon längst klar, dass wir mehr Geld in das System geben müssen. Darüber besteht Konsens. Das wurde durch die Bildungsproteste noch einmal verdeutlicht. Als studierende junge Menschen sind Sie zu Recht ungeduldig. Vieles ist einfach zu wenig sichtbar.
„Sichtbar“ ist genau der richtige Begriff: Nach den Protesten im Herbst haben sich alle zu Wort gemeldet und wollten die Studierenden unterstützen. Außer der Abschaffung der Anwesenheitslisten ist bisher aber nicht viel Sichtbares passiert.
Die Abschaffung der Anwesenheitspflicht ist auf jeden Fall ein großer Erfolg für die Protestierenden…
Früher war es allerdings eine Selbstverständlichkeit und wichtiges Merkmal eines autonomen Studiums, selbst über die Planung und Einteilung seiner Arbeitszeit entscheiden zu können. Heute muss man dafür demonstrieren gehen.
Die Anwesenheitslisten sind Teil des Prüfungssystems gewesen – und keine Schikane. Und wenn man die Listen jetzt abschafft, muss man natürlich sehen, wie der Leistungsnachweis auf andere Weise erbracht werden kann. Das geht nicht von heute auf morgen. Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet, haben die Protestierenden mit der Abschaffung der Anwesenheitspflicht sehr schnell einen großen Erfolg eingefahren.
Wann können die Studierenden damit rechnen, dass es zu konkreten Gesetzesänderungen, z.B. zur so genannten „Zwangsexmatrikulation“, kommt?
Ich habe zugesagt, dass ich mir das genau angucken werde. Der Fall einer Zwangsexmatrikulation ist bis jetzt noch nicht eingetreten, schließlich lässt das Gesetz viele Freiräume und die Hochschulen haben die Freiheit, selbst zu entscheiden, welche genauen Regelungen sie treffen. Bevor man aber ein Gesetz ändert, muss man wissen, wie dieses Gesetz wirkt. Manchmal erledigen sich Probleme ja von selbst.
Wie stellen Sie sich den Dialog in Zukunft vor?
Ich denke, das Uni-Präsidium ist da auf einem guten Weg. Es ist beeindruckend, wie intensiv die Universität Potsdam sich mit dem Thema beschäftigt. Auch der Einsatz von unabhängigen Moderator_innen zeigt die Ernsthaftigkeit, mit der herangegangen wird und ich hoffe, dass sich das so fortsetzt. Was den Dialog zwischen Landesregierung und Studierenden betrifft: Ich habe zugesagt, dass wir uns mit den Studierendenvertretungen mindestens halbjährig treffen – im Februar ist der nächste Termin –, und ich bin im ständigen Austausch mit der Universitätsleitung. Ich wünsche mir auch, dass wir nicht erst anfangen, miteinander zu sprechen, wenn das Kind im Brunnen liegt, sondern wir Frühwarnsignale von den Studierenden bekommen.
Woran wird man in fünf Jahren ablesen können, dass eine Sozialdemokratin das Wissenschaftsministerium geleitet hat?
Wir möchten einen starken Fokus auf Chancengerechtigkeit setzen und erreichen, dass die soziale Disparität in fünf Jahren ein Stück weiter weniger klaffen wird. Dafür führen wir das Schüler_innen-BAföG ein, damit jeder junge Mensch die Chance haben wird, an die Hochschule zu gehen. Das ist die richtige Richtung.
Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
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