Zweitstudium mit 56 Jahren: Was sich seit 1977 verändert hat

Mein Studium habe ich 1977 begonnen. Nein, das ist kein Schreibfehler. Nein, ich bin nicht im 74. Semester. Ich habe ein Studium und einen Beruf abgeschlossen und 2013 an der Uni Potsdam ein weiteres Studium begonnen. Mein Ziel: Allgemeine Bildung und ein paar Antworten auf Fragen, die sich im Laufe meines Berufslebens angehäuft haben. In diesem Gastbeitrag für die speakUP möchte ich am Beispiel meines Studiums am Neuen Palais meine Erfahrungen darlegen – mit der deutlichen Einladung zum Austausch. Von Wolfgang Geist.

„Die offizielle Begrüßung war peinlich.“

Ich beginne mit den Strukturen, auf die Studierende an der Uni treffen. Die Aufnahme bzw. Immatrikulation war gerade noch ausreichend organisiert. Hier kann die Universitätsbürokratie noch deutlich Herzblut einbringen. Die anwesenden „Altstudent_innen“ waren sehr engagiert und hilfreich. Die große offizielle Begrüßung der Erstsemestler_innen in der Schiffbauergasse wurde dann von den Studierenden mit viel Engagement ergänzt. Leider trifft man dort auch gleich auf Parteigruppierungen, die Ideologie in den Vordergrund stellen und versuchen, verquere Thesen an die Studis zu bringen.

Die offizielle Begrüßung durch die Universität und der Stadt Potsdam war peinlich. Der Oberbürgermeister hielt eine allgemeine Politrede jenseits der Zielgruppe, der Präsident der Universität war erst gar nicht da. Dies war für mich überraschend, aber nur damals. Die spärlich anwesenden Dozent_innen standen intern zusammen und bemühten sich sehr um die wichtigsten Personen des Abends – lokale Politprominenz. Als angenehme Ausnahme fiel mir Herr Prof. Dr. Hafner auf, der inmitten der Studenten_innen stand und sich mit ihnen unterhielt.

Licht bei der Bibliothek, Schatten beim Studierendensekretariat

Nun denn: Ich bleibe bei der Organisation innerhalb der Uni und ihrer Bürokratie und Verwaltung. Das Studierendensekretariat ist so organisiert, dass sofort klar gemacht wird, wer wirklich wichtig ist, wo oben und unten ist. Eine lange Schlange von Studierenden bis auf den Vorplatz ist keine Seltenheit. Vielleicht ist dies ein Beitrag zur regionalen Traditionspflege. Das bearbeitende Verwaltungspersonal macht überwiegend deutlich, dass es seinen Job eigentlich nicht mag. Wann haben die Gesamtverantwortlichen für die Universität sich diesen Zustand letztmals angesehen?

Immerhin die Bibliothek am Neuen Palais ist gut strukturiert, das Personal sehr freundlich und hilfreich. Man darf sich hier durch methodisch und inhaltlich katastrophale Vorträge der Bibliotheksmitarbeiter_innen zu Beginn des Studiums nicht abschrecken lassen, die Bibliothek ist insgesamt in Ordnung.

Sportstätten wie Höhlen

Das Sportangebot der Uni ist gut, die Räumlichkeiten sind allerdings katastrophal. Schimmelige Wände und Decken in Übungsräumen sind Standard. Die Duschen geben Wasser in homöopathischen Dosen ab, dafür bleibt das Wasser länger im Raum stehen. Spinde? Fehlanzeige. Schließfächer? Fehlanzeige! Meine schriftlichen Informationen an die Verantwortlichen in Verwaltung und Führung wurden gar nicht beantwortet. Wann hat die Leitung der Uni sich diese Höhlen letztmalig angesehen? Nun gut, Sport ist nicht jedermanns bzw. jedefraus Sache. Doch wer schafft dort Abhilfe? Die asozialen Zustände in den Sporträumen sind ein deutliches Aushängeschild für die Universität und ihre Leitung.

Anfragen an den Präsidenten enden in Vorzimmern

Weiter in Sachen Verwaltung: Ich habe auch an den Präsidenten der Uni bezüglich des Missbrauchs von Studiengeldern durch den Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) für Politagitation geschrieben. Ich bekam von persönlichen Referenten_innen langatmige und inhaltsleere Hinhalteantworten. Nachfragen und der Hinweis auf die persönliche Verantwortung des Präsidenten, uns Studierende zu informieren, endeten immer wieder in Vorzimmern. Ich kenne dieses Verhalten gut aus meiner beruflichen Erfahrung. Bloß nichts selbst beantworten, lieber langatmige Nullaussagen initiieren, sich selbst heraushalten, abbügeln, hinhalten. Das scheint absolut politiktauglich und -genehm!

„Was bei der Lehre läuft, hat nichts mit einem Studium zu tun.“

Ich komme zur Lehre: Das Studium der Gegenwart ist völlig verschult. Hier habe ich besonders große Unterschiede zu meinem Erststudium festgestellt. Ja, der Bologna-Prozess hat hier viel an Bildung kaputt gemacht und viel zu viel Schulbetrieb eingeführt. Als Extrembeispiel ist hier die Hebräisch-Lehre anzuführen. Dies ist kein Studium, nicht einmal Schule, sondern Klippschule. Entweder ich entwickle ein Curriculum, das moderner Erwachsenenbildung entspricht, durchaus fordernd und intensiv, aber eben ein Studium, Bildung für Erwachsene – oder ich werfe solche Bausteine aus dem Programm.

Was da läuft, hat nichts mit einem Studium zu tun und ist auch inhaltlich nicht nachhaltig. Hier gilt Abhaken als Zielsetzung. Die Bildungsräumlichkeiten sind insgesamt gerade noch ausreichend in der Ausstattung und geeignet zur Fortsetzung der Schule. Erwachsenenbildung und -pädagogik scheinen Fremdwörter zu sein. Im Gesamtansatz moderner Bildung von Didaktik über Methodik bis hin zur Organisation und Abstimmung von Lehrveranstaltungen auf Verkehrs- und Infrastrukturgegebenheiten ist die Leitung der Universität gefordert. Ja, nach oben ankämpfen ist nicht förderlich.

Lehrende sollten Bildung in Mittelpunkt rücken

Nun zu unseren Dozent_innen: Sie sind generell aufgeschlossen, nett und hilfreich. Ich habe keinerlei Überheblichkeit erlebt. Respekt! Ein Teil ist allerdings in der heilen Welt der Wissenschaft „gefangen“ und dort auch zufrieden. Bezüge zur realen Welt werden höchstens sehr vorsichtig, am liebsten aber nicht hergestellt. Man hält sich gerne neutral und heraus. Auseinandersetzungen werden gemieden. Dies gilt auch für die Bewertung des Studiensystems an der Uni. Dozent_innen beklagen Defizite in Lehre und Organisation, gehen aber wenig aktiv dagegen vor. Mir begegnete auch die Aussage: „Also um Prüfungen kümmere ich mich wenig, denn die werden sowieso überbewertet.“ Ob das die Studierenden ebenso sehen? Interessant war es für mich festzustellen, wie das Lehrpersonal das „Problem“ Leistungserbringung immer wieder verdrängen oder umgehen will.

Es gibt aber auch Lehrpersonen, die klare Forderungen stellen, die Bildung in den Mittelpunkt rücken und nicht vor allem auf Teilnehmerzahlen – und die damit gekoppelte finanzielle Unterstützung – schielen. Besonders positiv fiel mir hierbei Frau Prof. Dr. Rauschenbach auf – aber Achtung! Wer Bildung will, ist bei ihr richtig. Wer nur Leistungspunkte ohne Leistung will, sollte ihre Veranstaltungen meiden. Insgesamt sehe ich „den Lehrkörper“ als menschlich offen und insgesamt positiv an. Allerdings wäre auch für Dozent_innen der obligatorische Besuch von pädagogischen Weiterbildungsveranstaltungen durchaus keine Zeitverschwendung.

Die Studierenden von heute

Und nun zu uns, den Studierenden! Natürlich vergleiche ich immer wieder zwischen heute und meinen ersten studentischen Erfahrungen aus dem letzten Jahrtausend. Offensichtlich ist die deutlich gestiegene Zahl an Student_innen. Diese haben bisher zumeist auch Seminare und Vorlesungen inhaltlich dominiert. Die Kommunikationsstruktur ist durchweg femininer geworden. Insgesamt zolle ich unseren Studierenden an der Uni Potsdam Respekt. Generell sind sie im Auftreten freundlich, offen und unkompliziert sowie diszipliniert, zielorientiert und auf den Studienerfolg fokussiert.

Selbstverständlich gibt es vereinzelt destruktive Personen und ideologisch Gesandte. Diese drängen sich natürlich eher in Gremien, stören die Durchführung der Lehre jedoch nicht wirklich, dafür aber bei den Rahmenbedingungen. Schade ist, dass die Mehrzahl der Studierenden beim Auftreten von Extremisten, z. B. Politradikalen von außerhalb der Universität, eher schulterzuckend wegschaut und diese ignoriert. Die Universitätsleitung bekam solche Vorfälle natürlich nicht mit. Wie auch? Eingreifen und „Flagge zeigen“ bei Auswüchsen könnte ab und zu bei uns Studierenden daher etwas breiter ausgeprägt sein.

Ja, das waren sie, die Eindrücke eines alten Neuen. Ein Meinungsaustausch mit anderen würde ich mir wünschen. Allen Studienbeginner_innen sei gesagt: Lasst euch nicht verwirren! Ihr seid nicht mehr an der Schule! Lasst euch von der Leitung und Verwaltung der Uni nicht wie Schüler_innen behandeln! Und natürlich: Viel Erfolg bei eurem Studium!

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