Immer mehr Studierende haben eine psychische Erkrankung. Oft leiden sie an einem Burnout, Angstattacken, Schlafstörungen oder Magenkrämpfen. Seit mehreren Jahren wird diskutiert, welche Gründe zu dieser Entwicklung geführt haben. Die These: Steigender Leistungsdruck führt zu Überforderung und macht das Studium zu einem täglichen Kampf. Von Morris Schulze
Fragt man meine Oma, wie sie sich den Alltag von Student_innen vorstellt, dann würde sie ihn wie folgt beschreiben: Lange ausschlafen, zu ein oder zwei Vorlesungen in der Woche gehen und den Abend in der Studierendenkneipe verbringen. In ihrer Jugend sah das Uni-Leben vielleicht auch noch so aus. Doch seit den 50er und 60er Jahren haben sich die Belastungen eines_r Studierenden komplett gewandelt. Die Umstellung des Hochschulsystems durch den Bologna-Prozess hat den Zeitaufwand eines Studiums deutlich erhöht.
Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegebene Untersuchung der Studiensituation an deutschen Hochschulen für das Wintersemester 2015/16 zeigt, dass viele Fächergruppen von einer hohen Arbeitslast betroffen sind. Die höchste zeitliche Belastung für das Studium geben mit rund 40 Wochenstunden die Studierenden der Medizin an. Studenten_innen der Rechts- und Naturwissenschaften sowie der Ingenieurwissenschaften haben ebenfalls einen wöchentlichen Studieraufwand, der deutlich über 30 Stunden liegt.
Die geringste zeitliche Belastung geben die Studierenden der Sozialwissenschaften an: Sie müssen ca. 25 Stunden pro Woche für ihr Studium investieren. Dazu kommt bei vielen Studenten_innen noch ein Nebenjob, der ihnen das Studium finanziert. Der Untersuchung nach arbeiten Studenten_innen noch neben der Uni zusätzlich rund 7 Stunden pro Woche in einer Nebentätigkeit.
Immer mehr psychisch kranke Studierende
Die zunehmende Belastung erzeugt Stress und Druck. Wird der Stress zum Dauerzustand, kann dies zu gesundheitlichen Problemen führen. Viele Studenten_innen fühlen sich ausgebrannt, leiden an einem Burnout, Angstattacken, Schlafstörungen oder Magenkrämpfen. Das geht auch aus dem Barmer-Arztreport hervor, der 2018 in Berlin vorgestellt wurde. 17 Prozent hatten demnach im Jahr 2015 eine psychische Erkrankung, rund 86.000 eine Depression. Insgesamt ist der Anteil der 18- bis 25-Jährigen mit psychischen Diagnosen in den Jahren 2005 bis 2016 um 38 Prozent gestiegen, bei Depressionen sogar um 76 Prozent.
Die persönliche Einstellung ist wichtig
Doch kann die steigende zeitliche Belastung eines Studiums allein verantwortlich sein für die vermehrten psychischen Erkrankungen? Die Experten sind sich hier nicht einig. Nach dem berühmten Stressmodell von Richard S. Lazarus ist immer ein Zusammenspiel von zwei Komponenten der Grund für Stress: Zum Einen benötigt es ein Ereignis oder eine Situation, die jemanden unter Druck setzt. Das sind zum Beispiel bei Student_innen häufig Deadlines von Hausarbeiten und Prüfungen.
Das allein löst aber nach dem renommierten Modell noch keinen negativen Stress aus. Entscheidend ist, wie der_die Betroffene die Herausforderung subjektiv bewertet. Ordne ich diese „Stressoren“ persönlich als gefährlich ein, zum Beispiel weil ich glaube, dass ich die kommende Klausurenphase nicht erfolgreich überstehen werde, dann entsteht ein unangenehmes Gefühl der Angst und Überforderung. Dauert dies an, spricht man im Allgemeinen von negativem Stress. Das bedeutet, dass nicht allein nur die gestiegenen Anforderungen der Studiengänge für vermehrte psychische Erkrankungen verantwortlich sein können. Vielmehr die eigene, persönliche Wahrnehmung und Bewertung löst Stress aus.
Viele Studierende stehen unter dem Druck, sich und ihren Lebenslauf zu perfektionieren. Oft ist der Gedanke: Nur wer Bestnoten bekommt, Fremdsprachen im Auslandsemester fließend sprechen lernt, Praktika in bedeutsamen Institutionen und Unternehmen absolviert und sich ehrenamtlich engagiert, nur der_diejenige hat eine Chance auf dem Arbeitsmarkt oder bekommt einen Platz im Masterstudiengang. Diese andauernde Angst vor dem Versagen und Scheitern lässt das Studium und seine Herausforderungen zum persönlichen Kampf werden – über Jahre hinweg. Dass das nicht gesund für Körper und Geist sein kann, ist klar.
Entschleunigung ist hier das Stichwort
Einige Student_innen merken frühzeitig, wenn ihnen der Stress zu viel wird. Oft kann es dann schon helfen, einfach einen Gang runterzuschalten und zum Beispiel den Stundenplan nicht mehr ganz so vollzupacken. Auch helfen Sport und Bewegung, um Stress abzubauen und sich zu entspannen. Andere wiederum finden Entspannung beim Meditieren, Lesen oder Musizieren. Das ist bei jeder_m verschieden – wichtig ist, dass man es gerne tut und sich wohl dabei fühlt.
Wenn diese einfachen Schritte nicht mehr helfen, kann es angebracht sein, sich eine psychosoziale Beratung zu suchen. Die Universität Potsdam und das Studentenwerk Potsdam bieten psychotherapeutische Beratung für Student_innen an. Dort kann man sich in geschütztem Rahmen darüber informieren, welche Unterstützung zur Verfügung steht, auch außerhalb des Campus. Allgemein gilt: Je früher man anfängt, angemessen auf Stress und Leistungsdruck zu reagieren, desto schneller kann das Tief überwunden werden.
Psychologische Beratung an der Universität Potsdam
Tel. 0331 / 977-1830
Offene Sprechzeiten
Dienstag 14.00 – 17.00 Uhr
Freitag 10.00 – 12.00 Uhr
Psychotherapeutische Beratungsstelle des Studentenwerks Potsdam
Tel. 0331 / 3706-252
Offene Sprechzeiten
Dienstag 16.00 – 18.00 Uhr
Donnerstag 13.00 – 16.00 Uhr