Dass das Showbusiness ein hartes Geschäft sein soll, wissen wir nicht erst seit Bohlens wöchentlichen Weisheiten bei DSDS. Während vor den Kulissen sich die Profis vom Fach bemühen, das Publikum in eine andere – mal glitzernde, mal eingestaubte – Welt zu entführen, fliegen hinter der Bühne die Fetzen: Intrigen, Geiz und Neid machen den Künstler_innen das Leben schwer. Das Potsdamer Hans-Otto-Theater lässt die Hüllen fallen und zeigt, wie es hinter der Bühne zugehen kann. Denis Newiak hat für euch den „Nackten Wahnsinn“ miterlebt.
„Stell dir einfach vor, du wärst Schauspieler!“, ruft der Regisseur aus sicherer Entfernung Richtung Bühne. Die Darsteller_innen wollen auch während der Hauptprobe nicht so, wie es der in schwarz gekleidete, struppig-grauhaarige Mann mit Sonnenbrille, wahlweise im Rollkragenpullover oder klischeebelastetem Schal, gern haben würde; stattdessen mühen sie sich damit ab, während dieser nicht enden wollenden nächtlichen Probe zwei nicht zu verwechseln, wann und wo zu welcher Textzeile Requisiten herumgerückt oder unzählige Türen geöffnet oder geschlossen werden müssen. Wenige Stunden vor der Premiere zittert die weinerliche Regieassistentin wie an einen Hochspannungsgenerator angeschlossen, die Schauspieler_innen rennen der Reihe nach heulend oder mit Nasenbluten von der Bühne, während der überarbeitete Bühnentechniker sich schon darauf vorbereitet, spontan die eine oder andere Rolle zu übernehmen.
Im zweiten Akt wechselt die Perspektive des Publikums vom Blickwinkel des Regisseurs zur versteckten Kamera hinter der Bühne während einer Aufführung. Nun rücken die Beziehungen im Stab in den Mittelpunkt: Die Regieassistenz erwartet ein Kind vom Regisseur, irgendwie ist jede_r auf jede_n eifersüchtig und so manche_r Darsteller_in stellt den eigenen Stolz oder gezwungenermaßen den Suff vor das Gelingen des Stücks. Keine Überraschung, dass es nun drunter und drüber geht. Allmählich greift das „echte Leben“ mit allen Sorgen und Schwächen der Darsteler_innen auf den autarken Schutzraum des Künstlichen, das Theater, über und zersetzt es mit seiner Natürlichkeit. Doch auch wenn das Ensemble unvollständig ist, hinter der Bühne eine Schlägerei losgeht oder sich die Besetzung gegenseitig die Ärmel verknotet, gilt nur eine Devise: The show must go on.
Wer in „Der Nackte Wahnsinn“ im Publikum sitzt, könnte fast glauben, dass der Theaterbetrieb wie ein wahr gewordenes „Haus, das Verrückte macht“ funktioniert, oder eben auch nicht funktioniert. Eigentlich müssten die Zuschauer_innen in Tränen ausbrechen, so wie es sonst bei den nicht gerade zimperlichen Inszenierungen am „HOT“ üblich ist. Doch wenn hier im Publikumsrang die Tränen kullern, dann nicht aus Traurigkeit, sondern aus kreischendem Lachen heraus. Vielleicht schicken auch deswegen so viele Lehrer_innen ihre Klassen in das Stück von Michael Frayn: in der Hoffnung, den Schüler_innen das „wahre Leben“ am Theater zu zeigen und ihnen das Bühnenschauspiel gleichzeitig schmackhaft machen zu können. Auf jeden Fall müssen sich Studierende beim „Nackten Wahnsinn“ ausnahmsweise nicht wie ein Quotenstudi vorkommen, der den Altersdurchschnitt des Publikums drücken soll. Anscheinend wollen junge Menschen auch mal lachen dürfen.
Das ist hier ausdrücklich erlaubt. Doch was ist hier noch ‚echt‘, was die Parodie? „Das Stück ist schon sehr lustig, aber in echt ist es noch viel lustiger, komplizierter, böser, krasser“, sagt Franziska Melzer, die im „Nackten Wahnsinn“ als Belinda Blair mütterlich versucht, den kurz vor dem Zusammenbruch stehenden Laden irgendwie zusammenzuhalten. Zwar gäbe es im Potsdamer Hans-Otto-Theater weniger Beziehungsintrigen als in jedem Großraumbüro, aber dass der Regisseur während der Proben mal lauter und bestimmter wird, das sei schon zutreffend. Da merken die Darsteller_innen, wo sie stehen: „Theater ist ein hierarchischer Betrieb. Der Regisseur ist der Chef,“ meint die 30jährige. Doch egal, wie hoch es in der Probe hergeht, wie viel gezankt wird oder Meinungsdifferenzen zum Werk bestehen: „Das Stück wird durchgezogen. Am nächsten Morgen sieht man sich ja wieder.“
Im dritten Akt, zu welchem das Publikum nach einer nötigen Verschnaufpause wieder zum Publikum wird, hat das Chaos seine Beschreibbarkeit verloren, die Absurdität ist kaum noch zu steigern. Die verzweifelte fragende Forderung „Abbrechen?“ schallt über die Bühne, die Vorführung steht kurz vor dem GAU. Doch das kommt gar nicht in Frage. Einfach aussteigen geht nicht – auf der Bühne genauso wenig wie hinter der Bühne. Im Zweifelsfall wird improvisiert, bis es kracht. Eigentlich wie im wahren Leben.
„Der Nackte Wahnsinn“ am 7., 15. und 29. April sowie am 20. und 26. Mai im Neuen Theater des Hans-Otto-Theaters Potsdam. www.hansottotheater.de