Keine Sünde, sondern Liebe: „La Cage aux Folles“ im HOT

Im Hans Otto Theater sind die Narren eingezogen. Die umjubelte Premiere von „La Cage aux Folles“ am 7. November erlaubte einen Blick auf die bunte Welt der Travestie. Schillernd und glitzernd, tanzend und singend zeigen Georges, Zaza und die Cagelles, dass es normal ist, wenn Männer sich lieben. Dabei ist Homosexualität in der Realität längst nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Von Angelina Schüler.

Wer sich nicht mit dem Phänomen der Travestie auskennt, wird von einer Drag Queen leicht verschreckt sein. Viel Glamour, auffälliges Make Up, ausschweifende Kleider, ein Glas Champagner und immer einen flotten Spruch auf den Lippen. Wenn man mit den Worten von Jerry Herman und Harvey Fierstein sprechen möchte: „Ein Kerl in einem Kleid“. Die Komödie um den Nachtclubbesitzer Georges und dessen Partner Albin, auf der Bühne als Zaza zu bewundern, wurde 1973 in Paris uraufgeführt. Zehn Jahre später, als Musical umgeschrieben, kam der Publikumshit an den Broadway. Die eingängigen Melodien, die prägnanten Dialoge und die fesselnde Geschichte brachte das Thema Homosexualität vor ein Millionenpublikum. Und dies in einer Zeit, in der Drag Queens auf offener Straße ohne Folgen für die Täter belästigt, verhöhnt und verprügelt wurden.

Wer allerdings denkt, dass sich die Situation für queere Menschen grundlegend geändert hätte, der täuscht sich. Die Ressentiments sind noch immer allgegenwärtig. Wenn also Albin am Ende des ersten Aktes „I am what I am“ singt, den Queer-Pride-Song schlechthin, geht es nicht nur um die Befreiung seiner selbst, sondern um die Akzeptanz für alternative Lebens- und Liebesgestaltung überhaupt. Genau da setzt das Hans Otto Theater an. Das Team um Regisseur Ulrich Wiggers möchte nicht nur unterhalten, die Live-Band unter der Leitung von Ferdinand von Seebach möchte nicht nur Ohrwürmer produzieren.

Die Geschichte um eine Liebe zwischen zwei Männern, die durch einen konservativen Politiker gefährdet ist, wird von den Hauptdarstellern Raphael Rubino und Bernd Geiling überzeugend erzählt. Auch wenn in vielen Szenen herzhaft gelacht werden kann, bleibt einem der Atem weg, wenn die Drag Queen Zaza von bitteren Zeiten spricht, in denen ihresgleichen durch die Presse und die Gesellschaft hindurch verunglimpft wird. Eine Zeit, in der offen homophobe Äußerungen getätigt werden und die Qualität der Kindererziehung von schwulen und lesbischen Paaren in Frage gestellt wird. Eine Zeit, in der gleichgeschlechtliche Liebe in der Öffentlichkeit mit abschätzigen Blicken und niveaulosen Kommentaren einhergehen. Eine Zeit, in der es wieder modern geworden ist, nur noch zwischen Mann und Frau zu unterscheiden.

Im goldenen Käfig

Die geschützte Welt des „La Cage aux Folles“ ist Heimat der Cagelles, den Tänzerinnen Chantal, Hanna, Mercedes und Phaedra und der ganze Stolz von Georges und Albin. Sie schufen sich einen Rückzugsort, der gleichzeitig ein Sprachrohr für ihre ganz besondere Sicht auf das Leben ist. Der Käfig voller Narren bleibt vorerst nichts weiter als ein Käfig, der die Außenwelt fern hält und die innere Ruhe bewahrt. Bis eines Tages Georges‘ Sohn Jean-Michel mit Heiratsplänen aufkreuzt. Die Freude der stolzen Eltern ist groß, noch größer ist allerdings das Problem. Denn die Eltern der Braut Anne sind alles andere als offen für die glitzernde Welt der Nachtclubs.

Edouard Dinon, seines Zeichens erzkonservativer Lokalpolitiker, möchte nach der Wahl alle „unsittlichen Institutionen“ dem Erdboden gleichmachen. Da passt ein schwules Pärchen als zukünftige Schwiegereltern natürlich nicht. Also muss Albin für eine Nacht ausziehen und die Mutter von Jean-Michel soll helfen, die Familie so normal wie möglich erscheinen zu lassen. Die frivol eingerichtete Wohnung wird natürlich dementsprechend umdekoriert. Alle pikanten Gegenstände müssen raus, denn für Jean-Michel und Anne steht die Zukunft auf dem Spiel. Eine halbe Katastrophe bahnt sich an, als man feststellt, dass das griechische Porzellan mit nackten Männern noch im Haus ist und als schließlich Albin in Gestalt der Mutter auf den Plan tritt, ist das Chaos perfekt.

„Hier geht es nicht um Sünde, hier geht es um Liebe.“

Wie erwartet ist das Bühnenbild von Matthias Winkler bunt und schillernd. Die liebevolle Gestaltung, hinter der dann doch das ein oder andere Phallussymbol steckt, sorgt für heitere Stimmung. Aber auch die Choreografien und die Bühnenszenen überzeugen durch kreative Umsetzung. Die Kostüme von Noelie Verdier sind originell und kreischen förmlich nach mehr Glitzer. Die Musiker_innen (oder musizieren ausschließlich Männer?), die leider, in Ermangelung eines Orchestergrabens im Neuen Theater, hinter der Bühne spielen müssen, sind wunderbar aufeinander abgestimmt.

Selbst wenn es bei den Schauspieler_innen manchmal kleine Probleme beim Singen gibt, so ist das Gesamtkonzept aufgegangen. Denn sowohl der Witz, der Charme und die Ironie als auch die Wehmut und Verletzlichkeit werden in allen Szenen weder zu übertrieben noch zu lasch dargestellt. Hinter der vermeintlich seichten Komödie steckt auch immer wieder eine Spur Sehnsucht nach Normalität. So kommt es einem dann nach zwei Stunden im Theatersitz nicht mehr komisch vor, wenn sich zwei gestandene Männer leidenschaftlich küssen. Ein Besuch im „La Cage aux Folles“ lohnt sich also, weil es einem ans Herz geht, egal wer oder was liebt und geliebt wird.

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