Am Montagabend (2. Mai) gab es prominenten Besuch an unserer Universität Potsdam. Der Ring Christlich-Demokratischer Studenten der Universität Potsdam (RCDS Potsdam) hatte zu der Abendveranstaltung mit dem Thema „Europa am Scheideweg? Deutschlands Rolle in Europa“ geladen. Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert ist dieser Bitte gefolgt. Er informierte und unterhielt das interessierte Publikum knapp 90 Minuten lang über europapolitische Themen. Von Anika Lange.
Um die 150 Studierende und Interessierte fanden sich um 18 Uhr im Vorlesungsaal H05 am Griebnitzsee ein, um der Rede von Herrn Lammert zu folgen und sich in die darauf geplante Diskussionsrunde einzubringen. Joshua Acheampong, Vorsitzender des RCDS Potsdam, leitete die Veranstaltung ein, indem er darstellte, warum Europa so wichtig sei. Außerdem machte er deutlich, dass er es als eine Aufgabe der heutigen Generation ansehe, Europa zusammenzuhalten. Acheampongs Forderungen nach einem Mehr an Europa und einer grenzüberschreitenden kulturellen Vielfalt begleitete den gesamten Abend. Auch Universitätspräsident Prof. Oliver Günther sowie Prof. Norman Weiß vom Menschenrechtszentrum der Universität begrüßten die Interessierten mit den mahndenen Worten, Europas Friedensidee im Hinblick auf das deutsche Erbe nach dem Zweiten Weltkrieg zu wahren.
Was sagte Bundestagspräsident Lammert?
Gegen 19:30 wurde dann das Mikro an den Bundestagspräsidenten überreicht, der in einer 30-minütigen Rede seine Sicht der Dinge darlegte. Nicht ganz ohne Humor beschrieb er Europa als einen „Club der Frustrierten“, in den trotzdem alle reinwollen würden. Nach Lammert gäbe es Frustration auf beiden Seiten: als Mitgliedsstaat und als potenzielles Mitglied. Herr Lammert redete über den schwindenden Optimismus der europäischen Gesellschaft. Dieses Phänomen ließe auch Deutschland nicht unangetastet. Es sei ein „Tal der Skepsis und vielleicht auch der Verzweiflung“ in der Einstellung zur europäischen Verfassung erreicht worden.
Doch er verdeutlichte auch, dass er keinen Zweifel an der Zukunftsfähigkeit des europäischen Gedankens hege und sich wünsche, dass die Mitgliedsstaaten anfangen würden, die komplexen Probleme Europas kooperativ und gemeinschaftlich zu lösen. Kein Land alleine könne Problemen wie dem internationalen Terrorismus oder der allgegenwärtigen Flüchtlingskrise selbständig begegnen. Doch gerade jetzt würden sich viele Staaten auf ihre nationale Souveränität zurückbesinnen – nationale Souveränität sei, so Lammert, jedoch mit der Globalisierung und dem damit verbundenen Fortschritt in den Bereichen Mobilität und Information verschwunden. „Europa ist eine Antwort auf diesen Souveränitätsverlust. Und zwar eine gute.“ Die Zukunft läge in Europa.
Integration vor Erweiterung
Die Rolle der Bundesrepublik Deutschland in Europa sei eine ganz besondere: Aufgrund von historischen, geographischen, ökonomischen und politischen Aspekten sei Deutschland ein wichtiges Mitglied der europäischen Familie. Europa bräuchte auch gegen die Abwehrhaltung anderer Mitgliedstaaten eine Führung – Deutschland würde diese nicht unwesentlich beinhalten. Lammert sei klar, dass das Thema der deutschen Hegemonie hochstrittig sei, doch auch aus Nachbarländern käme der Wunsch einer führenden aber nicht dominierenden Rolle Deutschlands in der Europäischen Union. Bevor es zur Fragerunde überging, erklärte Lammert mit einer guten Portion Ironie, dass Europa eine Staatengemeinschaft sei und kein Staat.
Im folgenden Teil stellte Götz Schulze, Dekan der juristischen Fakultät und Richter am OLG Brandenburg, Herrn Lammert vertiefende Fragen, unter anderem zum Thema Brexit oder den Zielen Europas. Interessant war der Beitrag zum Thema Verbreitung und Vertiefung Europas, in dem der Bundestagspräsident feststellte, dass eine Integration Vorrang vor der Erweiterung hätte, und dass jedes weitere Mitglied die Einigungsschwierigkeit verstärke. Bisher sei es jedoch immer andersherum gelaufen.
Norbert Lammert stellt sich den Fragen des Publikums
Zum Schluss war dann auch das Publikum gefragt: Sieben Wissbegierige bekamen die Chance, um Fragen zu äußern. Besonders wurde hier die Aussage zum Souveränitätsverlust der Mitgliedstaaten kritisiert. Herr Lammert versicherte jedoch, dass die juristische Souveränität bestehen bleibe – in Form der nationalstaatlichen Souveränität von früher sei diese jedoch nicht mehr vorhanden.
Auch wurde die Frage gestellt, welche „Druckmittel“ Deutschland hätte, um seine Interessen in Europa durchzusetzen: Der Bundestagspräsident erwiderte, dass „Druckmittel“ nicht zum gewünschten Ziel führen würden und negative Nebenwirkungen mit sich brächten. Mit viel Applaus bedankten sich die Zuhörer_innen für den interessanten Abend und die investierte Zeit.
Ausdruck unterschiedlicher Meinungen
Eine Veranstaltung wie diese lädt auch zu Kritik und Protest ein. Ausschreitungen wie bei der Diskussionsrunde im Januar, zu der auch Thomas de Maizière erscheinen sollte, gab es glücklicherweise nicht. Doch zu Beginn der Veranstaltung wurde ein Reader der Fraktion des Studienparlaments „Beat!“ verteilt und während der Fragerunde wurden von außen kritische Plakate ans Fenster geklebt, die von der Polizei zügig entfernt wurden.
Außerdem waren auf den Toiletten nach der Veranstaltung negative Aussagen über Europa und Deutschland zu finden. Freie Meinungsäußerung, zu der auch Kritik gehört, sind in einer Demokratie essentiell und auch gewünscht. Es ist jedoch fraglich, ob das Beschmieren von Türen und Spiegeln in Toilettenbereichen in diesem Sinne steht.
Insgesamt war es ein gelungener sowie informativer Abend und wir freuen uns auf den nächsten Besuch eines engagierten Politikers.
Eine Antwort auf „Europa am Scheideweg? Bundestagspräsident Norbert Lammert an der Universität Potsdam“