Berühmt sind sie alle. Das kann man nicht leugnen. Die große Frage ist jedoch: wofür eigentlich? Ein Denkanstoß zum Begriff der Einzigartigkeit. Von Nathalie Wiechers
Wir kennen sie alle. Obwohl wir das vielleicht gar nicht wollen. Es sind diese Art Menschen, die auf einmal da sind. Vollkommen aus dem Nichts. Und kaum sind sie da, reißen sich alle um sie: Fernsehen, Film und Firmen. Sie scheinen vollkommen in ihrer visuellen Erscheinung, dank Fake-Lashes, Extensions und Acrylnägeln. Sie feiern ausgelassen an Ibizas Stränden, im Londoner West End und in den Clubs am New Yorker Broadway. Was sie tragen, trinken, tun, all das ist morgen Trend. Wen sie lieben und wen sie hassen, all das ist Thema in Magazinen von San Francisco bis nach Tokio. Die It-Girls.
Und man darf sich dann irgendwann fragen, warum eigentlich? Gehen wir dafür an die historischen Wurzeln des Begriffs, mit dem jene so häufig klassifiziert werden.
Ursprünglich stammt der Begriff aus dem frühen 20. Jahrhundert, genau gesagt aus den 1920er Jahren. Also aus einer Zeit, in der Stummfilm hip und Kaffee, ein Altweibergetränk, flop ist. Der damalige Filmstar Clara Bow gilt heute als das erste It-Girl überhaupt. Verdanken tut sie diesen Titel ihrem Part im Film „It“, den man in Deutschland später mit dem Titel „Das Gewisse Etwas“ übersetzte. Als „It-Girl“ war jene Mrs. Bow also ein junges Mädchen, das sich durch äußere Reize wie Charisma, Schönheit durch strahlung, und Aus eben das „gewisse Etwas“ auszeichnete und durch ständige Medienpräsenz brillierte. Auch heute noch versteht man unter eben dieser Definition, die 2009 als eines der neuen Wörter in den Duden aufgenommen wurde, ein It-Girl.
Kommt es nun zur Übertragung einer eher theoretischen Definition auf den empirischen Tatbestand, ergibt sich folgendes Problem: Ganz anders als es noch in den 1920er der Fall war, wo Clara Bow die einzige ihrer Art war, ist das It Girl heute nicht mehr durch jene unsagbare Einzigartigkeit gekennzeichnet. Es gibt eine nahezu unkontrollierbare Zunahme der sogenannten It-Girls. Sie sprießen aus dem Boden wie Unkraut und ehe man sich versieht, ist diese von jener abgelöst. Sterne gehen auf und gehen wieder unter.
Die Einzigartigkeit geht flöten. Wo also ist das „it“, das gewisse Etwas, bei Charakteren die lediglich durch Alkohol- und Drogenexzesse die Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen? Wo ist es, wenn jene Magersuchtwahn verfallen und Sozialstunden ableisten? Wo ist das „it“, wenn sie für den Style gelobt werden, den sie lediglich als wandelnde Litfasssäule in jeder Lebenslage präsentieren?
Die Frage ist oft, zu oft, wofür sind j ene eigentlich berühmt? Denn bei den Checkpunkten engelsgleicher Stimme, oscarreifem Showtalent und der unglaublichen sportlichen Fähigkeiten, herrscht in der Summe lediglich Fehlanzeige! Dagegen scheinen jedoch dynastische Bande und vielversprechende Nachnamen immer ein Garant für Ruhm und Reichtum zu sein. Es macht aber im Prinzip auch nichts aus, wenn man gar nichts kann. Hauptsache, der gesamte Globus weiß dank Facebook, Twitter und Co Bescheid, was man zum Lunch verzehrte und mit wem man das Bett teilt.
Der Begriff des It-Girl erfuhr eine inflationäre Entwertung, die dem Niedergang des Dow Jones im Jahre 2008 zum Verwechseln ähnlich sieht. Dies gilt auch für jenen der Stil-Ikone, ein Begriff, der einst Menschen galt, die durch Anmut, Eleganz und Stil noch heute als Namensgeberinnen für gewisse Stoffarten, Schnitte und Formen in aller Munde sind. Jackie O., Audrey H. und Marylin M. seien hier ausnahmsweise genannt.
Man könnte so wie im Schema eines Boulevardmagazins angenehmer „Stepby-Step“-Anleitung den Weg vom grauen Mäuschen zur alles überstrahlenden Ikone herleiten. 1. Schritt: Frau betritt Bühne der Öffentlichkeit (wahlweise durch Fernsehen, Film oder Facebook). 2. Schritt: Frau sieht schön aus (dank Designerrobe, schmerzhafter Enthaarungsprozedur, blondierten Strähnchen und kohlenhydratarmer Kost) 3. Schritt: Weltklatschpresse sieht „neues Produkt“, erlebt Aufschrei: DIE (!) STILIKONE!
Sie wird weiter hochstilisiert zur strahlenden Gallionsfigur einer ganzen Generation, die nun aus ihrem Kleidungsgefühl ein neuartigen „Lifestyle“ kreiert, der natürlich mit nichts vergleichbar ist, was es jemals zuvor gegeben hat. Alles andere scheint daneben zu der Eleganz eines alten ergrauten T-Shirts zu verblassen. Hier werden Menschen idealisiert, die dank stundenlanger Make-Up-Behandlungen, Yoga und Pilates doch eigentlich nur von Stylisten von Kopf bis Fuß eingekleidet werden, damit Image und tatsächliches Bild nicht wie zwei gleichgesinnte Pole sich voneinander abstoßen. Die wahre Stil-Ikone ist also demnach, wenn man überhaupt davon sprechen kann, der Stylist selbst. Doch eins wird anscheinend immer und immer wieder vergessen: Dieses
Phänomen tritt nicht etwa alle 20 bis 30 Jahre auf, wie es sich bei der Verknüpfung mit der Generation eventuell annehmen lässt – dieser Vorgang vollzieht sich in jedem Promi-Format, sei es in digitaler oder auch in gedruckter Natur.
So werden Ziele erschaffen, die es zu erreichen gilt. Ziele, die oft unerreichbar sind. Bei dieser Medialisierung des Privatlebens und der Idealvorstellung von Menschen, bleibt der einzigartige Mensch mit seiner Persönlichkeit auf der Strecke. Es zählt nicht das eigentlich „gewisse Etwas“, sondern nur der minimale effekthascherische Moment, der irgend wen aus irgendeinem Grund für irgendeine unbegreiflich hohe Gewinnsumme für unbestimmte Zeit am Himmel der Stars und Sternchen strahlen lässt. So gehen die Individualität von Personen und das Streben nach Beständigkeit verloren an jenen Zeichen der Zeit.