Drei Götter suchen nach einem guten Menschen, damit die Welt dieselbe bleiben kann, und werden sehnsüchtig erwartet, denn nur sie seien auch für die Menschen die einzige Hilfe. Am vergangenen Sonnabend, dem 6.10.2018, feierte Bertolt Brechts „Der gute Mensch von Sezuan“ im Hans Otto Theater im Rahmen der zweiten Eröffnung unter Bettina Jahnkes Intendanz Premiere. Auf der Bühne waren viele neue Gesichter zu sehen, die vom Potsdamer Publikum neugierig erwartet wurden. Von Clara Olberding.
Die Suche nach dem guten Menschen findet auf einer überfluteten Bühne statt, die durch einen ebenso gefluteten Steg bis ins Parkett des Zuschauerraums hinein reicht und nach hinten heraus die anwesende Band mit einer sechsstufigen Treppe verbindet. Das Farbschema ist klar düster und wirkt beinahe trostlos – vielleicht ein erster Hinweis auf die eventuelle Ausweglosigkeit der Suche?
Als die Götter, elegant cool gekleidet (Kostüm: Katharina Beth), endlich in Sezuan ankommen, empfängt sie Wang (sehr stark von Moritz von Treuenfels) und sucht für sie aufgeregt nach einer Unterkunft, die er bei der Prostituierten Shen Te (Alina Wolff) schließlich findet. Die Götter sind zufrieden und bedanken sich bei ihr überschwänglich mit Geld und Gaben, glauben, in ihr den guten Menschen gefunden zu haben, nach dem sie so lange suchten.
„Wie soll ich gut sein, wenn alles so teuer ist?“
Shen Te kann sich nun eine neue Existenz aufbauen und kauft einen Tabakladen. Als alte Bekannte (gewitztes Duo: Jörg Dathe und Kristin Muthwill) schnorrend auf den Plan treten, wissend um Shen Tes Aufstieg, kann Shen Te nicht wirklich nein sagen. Schon bald muss sie allerdings erfahren, dass der gutmütige und richtige Mensch nicht immer voranzukommen vermag: Die Hausbesitzerin (Marie-Therése Fischer) will zum Mietkontrakt noch Geld, der Schreiner die längst überfällige Zahlung des Interieurs im Tabakladen.
Die einzelnen Charaktere treten auf und gehen dann wieder ab, immer mitten durch das Nass der gefluteten Bühne, die beispielsweise den energischen Gang der Hausbesitzerin noch einmal stärker unterstreicht (Bühne: Malte Kreutzberg). Ein_e jede_r appelliert an ihre Moral, wohlwissend, dass sie ein gutes und großes Herz hat. So entschließt sich Shen Te, verkleidet in wuchtigem Pelzmantel, Hut und Bart der Götter, den Charakter des geizigen Vettern zu erschaffen, dem es gelingt, dort hart durchzugreifen, wozu sie nicht imstande ist. Das entschlossene Auftreten des Vettern zeigt Wirkung und der Plan geht auf: Es kehrt Ruhe ein.
Die Liebe als der größte Fehler
Als Shen Te einen Flieger, der keine Arbeit findet, vorm Selbstmord rettet und sich rettungslos verliebt, nimmt das Grauen auf der Wasserbühne erneut Kurs auf. Passend dazu beginnt die Szene mit einer Regenwand, hinter der Shen Te sitzt, den Flieger Yang Sun (Guido Lambrecht) beobachtend, und bettelt, er solle sich nicht umbringen. Als sie ihn schließlich überzeugt, beginnen die beiden ihr Liebesspiel und tollen im Wasser herum. Doch auch Sun ist kein guter Mensch, nutzt die Liebe Shen Tes aus, bis diese schließlich auch einsehen muss: Die Liebe sei der größte Fehler –aber man könne sich leider nicht vor allem schützen.
In diesen Zusammenbrüchen Shen Tes agiert Alina Wolff leidenschaftlich dramatisch und theatralisch, wirft sich ins Wasser, bleibt liegen und schluchzt. Dennoch hält sie schließlich zu Yang Sun – trotz aller Vorbehalte. Vor der Pause eine romantische Schlussszene: Die beiden „Liebenden“ gehen mit dem Rücken zum Publikum ab, während Martin Klingeberg auf der Trompete ein melancholisches Solo spielt – wird doch noch alles gut und kann Shen Te den Göttern gerecht werden?
Die Stimmung nach der Pause ist grotesk: Die sonst eher gedeckten Farben von Bühne und Kostümen werden unterbrochen von roten Akzenten an der vermeintlichen Hochzeitstafel, die wiederum eher an das letzte Abendmahl erinnert. Als Shen Te von ihrer Schwangerschaft erfährt, ist sie sich sicher, dass sie das Kind ab nun schützen muss. In einem liebevollen Tanz mit dem noch unsichtbaren Kind, wird sie weich und zärtlich. Zu ihm, es wird von einem Sohn ausgegangen, wird sie gut sein, zu den Anderen jedoch nicht. Was kann ihr dabei besser helfen, als die schizophrene Spaltung in die Figur des Vettern, dem sie immer mehr Raum gibt und in dessen Charakter sie sich immer mehr verliert.
Es hat zum Schluss fast etwas Animalisches wie sich Alina Wolff als der Vetter Shui Ta über die Bühne bewegt, um dann in zarten Momenten wieder ganz die gütige Shen Te zu sein, die an dieser harten und teuren Welt zu zerbrechen droht: „Gut zu sein und doch zu leben, zeriss‘ mich wie ein Blitz in zwei Hälften.“ Der Schluss ist wie eine Anklage ans Publikum, wenn der gewitzte Wang in die Menge sieht, zugibt, dass der Schluss vielleicht nicht das ist, was erwartet wurde, aber dass sie alle betroffen und enttäuscht sind. Und ob es noch gute Menschen gibt auf der Welt? Auch diese Frage bleibt erstmal offen.
Hoffen in der Hoffnungslosigkeit
Malte Kreutzfeldt gelingt mit der gut drei Stunden langen Inszenierung der feinfühlige, gefühlsstarke und dann wieder in den richtigen Momenten komödiantisch überzogene Versuch der Beantwortung der Frage, ob es überhaupt noch einen guten Menschen gibt und geben kann. Die vierte Wand wird mehr als einmal durchbrochen: Was bei Appellen wie beim Schluss hilft, fällt bei direkten Ansprachen Einzelner durch den Flieger Sung dann wiederum etwas aus dem Rahmen. Es bedarf einer besonderen Note, der schweren Stimmung etwas Lustiges abzuverlangen, was Jörg Dathe als Barbier sowie als schnorrendem Mann durchaus wunderbar gelingt, wenn er die drückende Stimmung lockert.
Genauso feinfühlig weiß die musikalische Begleitung, wann das Spiel unterstützt werden kann, und erschafft teilweise mit dem Regen gemeinsam diese ganz spezielle Stimmung, zwischen Melancholie und doch wieder Hoffnung in der eigentlichen Hoffnungslosigkeit. Verdient großer Schlussapplaus: Viele neue Gesichter haben bei Brechts Parabel ihre Potsdam-Premiere gegeben – mit Erfolg!