Fernweh nach Liebe

Fernweh. Das ist die Sehnsucht nach einem Auslandssemester in Spanien, einem einmaligen Praktikum in New York oder nach einem geliebten Menschen, der mehrere hundert Kilometer entfernt an einen denkt. Fernweh hat für jemanden, der eine Beziehung auf Distanz führt, eine ganz andere Bedeutung. Das Gefühl, ständig unterwegs zu sein, zwischen zwei Orten zu pendeln und sich nie ganz vollständig zu fühlen, kann eine Beziehung sehr belasten. Doch was tun, damit die Liebe nicht in der Ferne untergeht? Von Laura Krause.

Mobilität und eine flexible Lebenswei- se werden heute mehr denn je von den Studierenden gefordert und das obligato- rische Auslandssemester erscheint unter den Top-Drei der Einstellungskriterien von Arbeitgebern. Mobilität ist heute also eine Grundvoraussetzung für Erfolg und niemand zieht so oft um wie ein Student oder eine Studentin. Rund ein Drittel der Studierenden lebt während des Studiums eine Zeit lang im Ausland und sammelt hier oft Erfahrungen fürs Leben, wobei die Vorstellungen von Liebe und dem eigenen Lebenslauf nicht selten aufeinandertreffen.

Corinna (22) hat während ihres Auslandssemesters in Madrid den 30-jährigen Adolfo kennengelernt. „Anfangs hatten wir keine Fernbeziehung, in Madrid haben wir 15 Minuten voneinander entfernt gewohnt. Erst seit Anfang März wohne ich wieder in Berlin, weil mein Auslandssemester vorbei war und die Uni hier im April weiterging.“ Seit rund fünf Mo- naten pendeln die beiden nun zwischen Berlin und Madrid. Das sind fast 2000 Kilometer Luftlinie, mindestens 120 Euro und sechs Stunden von Tür zu Tür. Co- rinna beschreibt, dass sie sich persönlich nie eine Fernbeziehung gewünscht hätte: „Bevor ich selbst eine hatte, fand ich es furchtbar. Ich konnte mir das einfach nicht vorstellen und habe auch im Freun- deskreis vor allem die Nachteile einer Fernbeziehung mitbekommen. Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, wir hören oft voneinander und so hält man es dann schon aus.“

Der Videoanruf auf Skype, die morgendliche SMS oder das Gute-Nacht-Telefonat sind also ständige Begleiter. Diese kleinen Rituale machen eine Fernbeziehung wie die von Corinna und Adolfo überhaupt erst möglich. Telefonflatrates und kostenlose soziale Netzwerke wie Facebook, StudiVZ und Co. ermöglichen die Kommunikation über große Entfernungen, wie sie vor einigen Jahrzehnten noch unvorstellbar gewesen wäre. Nur weil Billig-Airlines und Internet das Wiedersehen, zumindest auf dem Bildschirm, stattfinden lassen, ziehen viele Stundent_innen heute eine Fernbeziehung überhaupt in Betracht. Doch gerade weil das Telefonat mit dem Partner ein fester Termin des Fernbeziehungsalltags ist, werden andere soziale Kontakte vor Ort oft vernachlässigt. Die 22-jährige Studentin der spanischen und italienischen Philologie Sophie fasst die Nachteile ihrer Wochenendbeziehung zu André (38), der in Zwickau (Sachsen) lebt, wie folgt zusammen: „Man vermisst den anderen, man kann nicht rausfinden, ob man auch im Alltag klarkommen würde, da man sich in der kurzen Zeit des Wochenendes natürlich besonders anstrengt, keine Streitthemen aufkommen zu lassen. Am Telefon kann man schneller Dinge falsch verstehen, es kann sein, dass man weniger Dinge anspricht, die einen stören, um eben die seltenen Stunden nicht zu belasten und man vernachlässigt andere Berei- che im Leben wie zum Beispiel Familie, Freunde, Hobbies…“. Obwohl André und Sophie das Glück haben, eine Beziehung innerhalb Deutschlands zu führen, und sich fast jedes Wochenende sehen, leiden auch sie unter der Distanz. André ergänzt: „Wie alles im Leben hat auch dies seine Vor- und Nachteile. Die Vortei- le bestehen sicherlich darin, dass man sich immer wieder eine kleine Auszeit vom an- deren nehmen kann bzw. nehmen muss. Man hat dann Zeit, um Dinge zu tun, welche man mit dem Partner nicht oder anders tun würde“. Im romantischen Sinn mögen eine Fernbeziehung und diese seltenen, aber besderen Momente sogar interessanter erscheinen als eine Beziehung vor Ort, in der die Routine überwiegt, doch wie romantisch ist Ro- mantik auf Zeit wirklich? Auch für André überwiegen insgesamt die Nachteile der Beziehung auf Distanz: „Zum einen ist da die fehlende physische Präsenz über einen längeren Zeitraum. Und die Zeit für Zärtlichkeit und Sexualität ist begrenzter. Zudem kann man eben während der Trennungsphasen nicht seinen Alltag und das Erlebte mit dem anderen teilen.“

Der ständige Wechsel zwischen Abschied und Wiedersehen, Nähe und Distanz fordert nicht nur die Gefühle beider Partner heraus, sondern benötigt auch eine langfristige Terminplanung, Zuverlässigkeit und Vertrauen. Trotzdem ist es unabdingbar, die Freiheit des anderen und dessen Entscheidungen zu akzeptieren, um so auch das zweite Auslandssemester oder eine kurzzeitige Ausdehnung der Distanz aus beruflichen Gründen gemeinsam zu überstehen. Die Frage, wie man die zahlreichen Widersprüche einer Fernbeziehung löst und zusammen glücklich wird, stellt sich für alle Paare gleichermaßen. Experten unterstreichen, dass man nicht alles – eine Beziehung auf Distanz, den Nebenjob, das Studium, den Freundeskreis und den Sportverein – mit gleicher Intensität pflegen kann und früher oder später Prioritäten setzen muss, denn sonst ist das Risiko groß, dass man weder das eine noch das andere bekommt oder alles nur ein wenig tut, sich aber nichts voll und ganz widmen kann. Wirklich zu überstehen scheint eine Fernbeziehung nur zu sein, wenn man sich gemeinsame Ziele setzt, auch wenn dies zuweilen große Kompromisse beinhalten kann. Seien es die nächsten Wochenenden, der gemeinsame Sommerurlaub oder die große Frage, wie lange man das Ganze noch mitmachen will. André erklärt dazu: ,,Auf eine bestimmte Zeit begrenzt kommt man damit ganz gut zurecht, bleibt aber langfristig immer auf einen Zustand des dauerhaften Miteinanders fixiert, welcher absehbar, auch erreichbar sein muss.‘‘ Auch für Corinna und Adolfo ist ein Ziel in Sicht: ,,Wir wollen, wenn alles klappt, ab August in Berlin für sechs Monate zusammenziehen. Danach geht‘s wahrscheinlich wieder nach Madrid.‘‘ Voraussetzung für ihre gemeinsamen Pläne ist, dass Adolfo vorübergehend von seinem Job als Wirtschaftsingenieur beurlaubt wird und Corinna nach dieser Zeit einen Masterstudienplatz in Madrid erhält.

Lisa (22) hat vor rund sechs Monaten den Franzosen Francois (29) während ihres Auslandsaufenthaltes in Granada kennengelernt. Nach eineinhalb Monaten entschied sie sich für eine Verlängerung des Auslandssemesters im drei Stunden entfernten Murcia. Trotz ihrer Entscheidung für die Wochenendbeziehung sagt sie: „Es ist für mich die erste Beziehung auf Distanz und ich finde es manchmal ziemlich anstrengend, dass man seinen Freund nicht einfach sehen kann, wann man will. Klar nutzt man die gemeinsame Zeit dann intensiver, aber ich würde es besser finden, immer die Möglichkeit zu haben, sich zu sehen, wenn man es gerade möchte.“ In den Semesterferien haben Lisa und Francois vorläufig die Chance, wieder zusammen zu leben: „Demnächst wohne ich für drei Monate bei ihm und dann wird es eine Fernbeziehung Granada-Potsdam werden. Bin mal gespannt, wie das wird!?“

Liebe, Hoffnung, Kompromissbereitschaft und natürlich die Vorfreude auf einegemeinsameZukunftsindes,die die drei unterschiedlichen Paare ihre schwierigen Lebenssituationen gemeinsam mit vielen anderen Studierenden überstehen lassen. (Von den rund 57% der Studie- renden, die in einer festen Beziehung leben, führt immerhin jede bzw. jeder Vierte eine Fernbeziehung.) Letztlich kann der Verzicht auf die persönlichen Wünsche eine Liebe genauso gefährden, wie eine vorübergehende Beziehung auf Distanz, wichtig ist aber, dass ein Ende der räumlichen Trennung in naher oder etwas ferner Zukunft in Sicht ist und als gemeinsamer Bezugspunkt dient.

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