Die Jüdische Theologie: Eine deutsche Geschichte

Manchmal sind wir Zeugen historischer Ereignisse und merken es nicht einmal. So ging es vor gut einem Jahr sicher der Mehrheit der Studierenden. Obwohl groß in den Medien berichtet wurde, verlief die eigentliche Sache eher im Hintergrund ab. Ein neues Institut wurde eingeweiht. Aber was ist bisher passiert und warum sind noch nicht alle Professuren besetzt? Kommentar von Angelina Schüler.

Die Jüdische Theologie – ein Studiengang, den es so in Europa kein zweites Mal gibt. Rabbiner_innen und Kantor_innen können erstmals an einer staatlichen Hochschule ausgebildet werden. Was für die einen mit der Beendigung des babylonischen Exils gleichbedeutend war, ist für die anderen nicht mehr als nur das neue Institut, ob nun Religion oder Physik gelehrt wird. Sicher gab es skeptische Stimmen und viele fragen sich, was der Unterschied zwischen dem „neuen Fach“ und den Jüdischen Studien sei. Dennoch kann das kleine Institut nun auf fast drei Semester erfolgreicher Arbeit zurückblicken. Die anspruchsvolle Ausbildung an einer renommierten Universität wirkt attraktiv. Studierende aus zahlreichen Ländern schreiben sich ein. Die Seminare sind bunt gemischt und ganz nebenbei entwickelt sich der interreligiöse Dialog, denn nicht nur Juden studieren hier.

Die School of Jewish Theology (der offizielle Name) wächst stetig. Und sie hat viel zu bieten. Die halbe Welt schaut auf die Handvoll Mitarbeiter_innen, das Studienangebot soll alles zwischen antiker Religionsphilosophie und moderner Bibelexegese beinhalten. Nicht leicht zu stemmen, wenn die Hälfte der Professuren noch nicht besetzt sind. Mittlerweile laufen Berufungskommissionen, doch die Bedingungen erschweren so manchen Prozess.

Wer Professor_in an der School werden möchte, muss neben einer gewissen Qualifikation und guten Leistungen vor allem eines sein: jüdisch. Auch wenn der Zugang zum Studium nicht konfessionsgebunden ist, besteht der Wunsch, dass die Professuren zum Judentum gehören. Sinnvoll, denn auch die christlichen Theologiestudierenden werden von Christ_innen unterrichtet. Das macht die Bewerbungsverfahren jedoch schwierig, denn die meisten möglichen Kandiat_innen leben nicht in Deutschland.

Und da sind wir beim eigentlichen Problem: Auch wenn wir in einer vermeintlich aufgeklärten und toleranten Gesellschaft leben, fragen sich Juden immer noch – oder in diesen Zeiten wieder –, ob sie in Deutschland wohnen wollen. Ist das Skepsis oder gar Paranoia? Schließlich ist der Ruf „Nie wieder!“ nach dem Zweiten Weltkrieg noch deutlich zu vernehmen. Faschismus und Nationalismus dürften nie wieder zur vorherrschenden Ideologie werden. So lautete das Versprechen. In wenigen Monaten gedenken wir dem Ende des „Dritten Reichs“ zum 70. Mal. Wenn wir angesichts dieses Jubiläums auf Deutschland schauen, gibt es leider wenig Grund, zu feiern. Rechtspopulistische Parteien sitzen in Landesparlamente – die AfD besitzt allein in Brandenburg elf Mandate – und gegen die deutsche Asylpolitik wird seit geraumer Zeit protestiert, Zusammenschlüsse wie Pegida und HoGeSa zelebrieren öffentlich ihre Fremdenfeindlichkeit. Und trotz der ersichtlichen antidemokratischen und radikalen Haltung der Demonstrierenden ist die Politik in der Sackgasse. Deutschland ist ein tolerantes Land, auch hinsichtlich dieser Strömungen. Hier zählt die Meinungsfreiheit, eine Errungenschaft, die schon mit der Niederlegung des Grundgesetzes einen fundamentalen Einfluss auf die neue Bundesrepublik haben sollte.

Natürlich ist Fremdenfeindlichkeit keine allgemeine Doktrin in unserem Land und natürlich gibt es mehr als genug Bewegungen gegen die derzeitigen Demonstrationen. Leider schicken sich nun auch wieder die altbekannten Stammtischparolen. Das unreflektierte Wiedergeben einiger Anschuldigungen längst vergangener Zeiten findet sich zwischen den Zeilen der sogenannten Parteiprogramme. Das Interesse an der Aufarbeitung und Erinnerung an die Shoah schwindet zunehmend. Wir verlernen, mit unserer Vergangenheit umzugehen. Dass in naher Zukunft im Land Brandenburg das Schulfach Geschichte als reguläres Fach wegfallen und stattdessen mit Geografie und Politischer Bildung zusammengelegt wird, ist für das allmähliche Vergessen und der Verklärung deutscher Geschichte der perfekte Nährboden.

Einer der negativen Höhepunkte derzeitiger Entwicklungen mussten die Organisierenden des Jubiläums „20 Jahre Jüdische Studien in Potsdam“ erleben, die auf ihrem Plakat rechtsradikale Schmähungen fanden. Angesichts dieser oftmals verletzenden Tatsachen scheinen die Befürchtungen der Kandidat_innen berechtigt. Allein der Umzug in ein fremdes Land stellt so manche Familie in Frage. Und dann noch Deutschland?

Die Einrichtung der School of Jewish Theology spricht in diesem Fall für sich: Jüdisches Leben ist in Deutschland angekommen, es soll gefördert und etabliert werden. Und so soll es auch anderen Gruppen und Gemeinschaften gehen. Wir sind ein buntes Land und wir wollen es bleiben. Trotz aller derzeitigen Wirrungen lohnt sich der Weg nach Potsdam und an die Universität. Wir haben unsere eigenen Wege, mit Fremdenfeindlichkeit und Rassismus umzugehen. Dies beginnt nicht selten mit dem neuen Semester und der Erkenntnis, dass „die Anderen“ uns gar nicht so fremd sind.

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