Studieren ist teuer – egal ob mit oder ohne Studiengebühren. Dazu noch die Miete, Strom, Heizung, Essen und ab und zu ins Kino oder mit den Kommiliton_innen ein Feierabendbier trinken. Glück hat, wer einen Nebenjob ergattert. Egal wie und egal was. Hauptsache ist, man hat Geld. Von Angelina Schüler
In einer Zeitschrift las ich unlängst eine Studie über Student_innen, die sich, um ihr Studium und die anfallenden Lebenserhaltungskosten finanzieren zu können, für Geld anbieten. Dem Artikel zufolge kann sich jeder vierte Studierende einen Job im Rotlichtmilieu vorstellen. Tatsächlich arbeitet jeder 27. Berliner Studierende in diesem Bereich. Mehr als 30 Prozent der Befragten gaben an, dass sie verschuldet sind und kaum finanzielle Unterstützung aus der Familie bekämen. Prostitution für einen akademischen Abschluss. Die Thematik sorgte unter meinen Kommiliton_innen für reichlich Gesprächsstoff: „So etwas könnte ich mir nie vorstellen.“ – „Wie tief muss man sinken?“ – „Eklig!“ – „Das gibt es zum Glück nicht an der Uni Potsdam.“
Ich möchte nicht nachfragen, ob und wenn ja, wer es hier doch macht oder sich das wenigstens schon einmal überlegt hat. Ich werde auch keine studentischen Prostituierten suchen und interviewen. Ich möchte darüber nachdenken, nur nachdenken.
Denn anders als meine durchweg ablehnenden Mitstudierenden kann ich die Beweggründe der jungen Frauen und Männer – zumindest ansatzweise – verstehen. In einem System, das dich ausschließlich dadurch definiert, was du trägst, wo dein letzter Auslandsaufenthalt war, wie groß und kiezig dein Zimmer (oder besser: deine Wohnung) ist und wie viele Bio-Artikel in deinem Kühlschrank liegen, werden all diejenigen nicht mitgetragen, die durch das Raster fallen. Du bist nur so viel wert, wie dir am Ende des Monats bleibt. Wenn es dann weder mit dem Stipendium, noch mit dem Job an der Kasse um die Ecke klappt und trotz aller Sparsamkeit dir der Vermieter bereits die zweite Mahnung geschickt hat, greifst du nach jedem noch so dünnen Strohhalm. Und wir wissen alle, dass den Körper zu verkaufen eine der leichtesten Arten ist, an Geld zu kommen. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Niemand fragt eine Frau, die sich bereitwillig feilbietet, nach ihrem Studierendenausweis.
Anbieten oder preisgeben?
Es ist eine gefährliche und herabwürdigende Tätigkeit, es ist schlecht für die Seele und schlecht für die Karriere allemal, es ist ein Tabu, es ist schmutzig, beschämend und fern jeglicher Hollywood-Phantasie, in der eine Prostituierte das große Los zieht und sich nie wieder Sorgen machen muss – und dennoch bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich es tun würde. Einfach nur, um diesen einen, niederschmetternden und fast noch beschämenderen, grausamen Satz nicht mehr sagen zu müssen: „Nein, ich kann mir das nicht leisten.“ Weil diese Worte nicht für sich allein stehen, sondern immer eine Kette von unangenehmen Fragen nach sich ziehen, die ich irgendwann nicht mehr mit einem Lächeln und einer Portion Sarkasmus abtun kann. Die Frage nach dem eigenen Konsumverhalten, die Frage, weswegen man keinen Job an der Uni hat, die Frage nach der finanziellen Situation der Eltern, die Frage, ob es dann nicht besser wäre, erst einmal eine Ausbildung zu machen und den Studienplatz für andere frei zu machen. Denn in ebendiesem System kommt es nicht darauf an, was du im Kopf, sondern im Portemonnaie hast. Woher das Geld darin kommt, fragt dich am Ende keiner mehr.