50 Jahre 1968 aus der Sicht von Gretchen Dutschke: Rezension von „1968. Worauf wir stolz sein dürfen“

50 Jahre 1968: Jubiläen von wichtigen Ereignissen bieten immer auch die Chance, einen Blick zurück zu werfen und die vergangenen Ereignisse zu reflektieren. Aus dieser Intention heraus hat Gretchen Dutschke, die Frau des berühmten Sprechers der 68er-Bewegung Rudi Dutschke, ihr Buch „1968. Worauf wir stolz sein dürfen“ verfasst. Von Julia Hennig.

In dem Buch beschreibt Gretchen Dutschke aus persönlicher Sicht die Geschehnisse, wobei sie immer wieder geschickt persönliche Gegebenheiten mit dem nationalen und globalen Geschehen verbindet. Gleichzeitig erhalten die Leser_innen eine ungewohnte Perspektive: die Autorin berichtet in ihrem Buch nicht als außenstehende Beobachterin von 1968, sondern als Frau eines Hauptprotagonisten.

Gekommen war sie im Jahre 1964 ursprünglich, um in Deutschland zu studieren und später einmal Immanuel Kant auf Deutsch lesen zu können. Geblieben ist sie schließlich als Frau von Rudi Dutschke und lebt seit 2009 als deutsche Staatsbürgerin in Berlin.

Ein „bürgerliches“ Ehepaar im Zeitalter der Revolution

Nach zwei Monaten in Ebersberg in Bayern, wo Gretchen Dutschke am Goethe-Institut Deutsch lernte, ging sie schließlich auf Vorschlag einer Französin aus dem Deutschkurs nach Berlin. Kurz nach ihrer Ankunft in Berlin traf sie dort im Cafè am Steinplatz in Charlottenburg auf Rudi Dutschke, der alleine mit einem Stapel Bücher in polnischer Sprache am Tisch saß. „Ich denke, es war Liebe auf den ersten Blick“, schreibt die Autorin über die Begegnung in ihrem Buch. Ihre Beziehung wurde kurz danach aber mit einer entscheidenden Frage konfrontiert: Ist im Leben eines Revolutionärs noch Platz für eine Frau?

Rudi beantwortete diese Frage zunächst mit nein, so dass Gretchen nach einigen Wochen für acht Monate nach Amerika zurückkehrte. Schließlich kam jedoch ein Brief von Rudi mit dem Angebot, wieder nach Berlin zurückzukehren, da er nichts dagegen habe. Gretchen hatte auch nichts dagegen; und so kam es, dass beide schließlich im März 1966 in einer alten Berliner Bierkneipe heirateten. Die Hochzeitsrede hielt der befreundete Psychologe Thomas Ehleiter. Was beide damals allerdings nicht wussten: Ehleiter war früher ein Mönch gewesen, beide hatten daher, so Gretchen, „katholisch geheiratet, ohne es zu wissen.“

„Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren!“

Nach dem Prinzip „kleine Anlässe, große Wirkung“ protestierten die Studierenden für mehr Demokratie, mehr Teilhabe, mehr Diskussion. Die Konflikte, die Gretchen Dutschke schildert, unterscheiden sich dabei gar nicht so sehr von heutigen Konflikten von Studierenden: „Drohende Zwangsexmatrikulation nach Überschreitung der Regelstudienzeit, studentische Mitbestimmung in den Hochschulgremien, Vergabe von Räumen für Diskussionsveranstaltungen oder das sogenannte „politische Mandat“ des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA)“. Dabei nutzten die Studierenden Go-ins, Sit-ins und Teach-ins als Protestformen, die sie aus den USA übernahmen. Der erste Sit-in in Deutschland fand im Juni 1966 statt, als 3.000 Studierende gegen die Einschränkungen eines selbstbestimmten Studiums vor und im Henry-Ford-Bau der FU protestierten.

Die Parole, die das erste Mal im November 1967 von Studierenden der Uni Hamburg verwendet wurde (nähere Infos hier) steht dabei metaphorisch für den Generationskonflikt. Während die Mehrheit der Deutschen sich am Aufschwung des Wirtschaftswunder erfreute und sich mit Filmen alter Ufa-Stars wie Heinz Rühmann ablenkte, empfanden die jungen Leute dies als reaktionär-verlogen. Sie forderten eine Aufarbeitung der Verbrechen des Nationalsozialismus, dessen Herrschaft in der Propaganda auch als „1000-jähriges Reich“ bezeichnet wurde.

Die Wende: der 2. Juni 1967

Zwar werden die Geschehnisse rund um das Jahr 1968 meist unter dem Begriff der „68er-Bewegung“ subsumiert, jedoch kommt dem 2. Juni 1967, den die Verfasserin als „dramatische Wendung der Protestbewegung“ bezeichnet, dabei eine entscheidende Rolle zu. Der Tag stehe dabei für die „Konfrontation zweier Welten, zweier Lager, zweier Generationen“. Der Tod des 26-jährigen Romanistikstudenten Benno Ohnesorg, der am 2. Juni das erste und letzte Mal in seinem Leben demonstrierte, sollte die Mehrheit der Revolte vor allem in einer Frage spalten: Ist Gewalt als Mittel der Rebellion erlaubt?

Die Polizei zögerte bei ihrem Vorgehen gegen die Demonstrant_innen, die gegen den Schah von Persien protestierten, am 2. Juni 1967 in dieser Frage hingegen nicht. Während der Schah in der Oper Mozarts Zauberflöte sah, sollte der Polizeipräsident Duensing auf Anweisung des Regierenden Bürgermeisters Heinrich Albertz die Demonstrant_innen vor der Oper vertreiben. Hierbei wurde Benno Ohnesorg, in einem Parkhof von Polizisten in die Ecke gedrängt, vom Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras erschossen.

Es wird lebensgefährlich: Gründonnerstag 1968

Im Jahre 1968 wurde Rudi Dutschke in den Medien immer mehr als „der Führer“ der Studentenbewegung dargestellt, was auf Seiten seiner Gegner_innen zu regelrechten Progromstimmungen gegen ihn führte. Rudi habe aber in einem Fernsehinterview, das erst nach dem Attentat auf ihn ausgestrahlt wurde, dennoch versichert: „Er habe keine Angst, aber Freunde passten auf ihn auf“ und hinzugefügt „normalerweise fahre ich nicht alleine rum“.

Am Gründonnerstag, dem 11. April 1968, fuhr er aber dennoch alleine mit dem Fahrrad zur Apotheke am Kurfürstendamm, um Nasentropfen für seinen drei Monate alten Sohn Hosea Che zu kaufen und dann zu einem Treffen im SDS-Haus weiterzufahren. Während er vor der noch geschlossenen Apotheke wartete, schoss der 23-jährige Hilfsarbeiter Josef Erwin aus München drei Schüsse auf ihn, davon zwei in den Kopf.

Was bleibt: Stolz sein auf die 68-er Bewegung

„Stolz“ sein auf Deutschland: Gretchen Dutschke weiß, dass dies für viele, insbesondere viele Linke, durch die deutsche Nazivergangenheit nach wie vor nicht infrage kommt. Sie argumentiert aber, dass man gerade wegen der 68er-Bewegung stolz auf Deutschland sein könne. Nur durch die intensive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in den vergangenen 50 Jahren sei eine Demokratisierung der Gesellschaft möglich gewesen. Heute stünden wir jedoch vor neuen Problemen: Klima und Umwelt, wachsende Armut und Gewalt.

Fazit und Gewinnspiel

In ihrem Buch „1968. Worauf wir stolz sein dürfen“ nimmt die Autorin die Leser_innen mit auf eine Zeitreise in die 68er. Gerade diejenigen, die die Zeit nicht miterlebt haben, bekommen so das Gefühl, dabei gewesen zu sein. Dabei schafft es Gretchen Dutschke, ihre persönlichen Erlebnisse mit dem nationalen und globalen Geschehen zu verbinden. Durch Zitate von Zeitzeug_innen und Schlagzeilen der Presse wird das Erzählte noch lebendiger und wirkt vor dem eigenen Auge fast wie ein Film.

Zugleich thematisiert Gretchen Dutschke damit die große Rolle und Wirkung der Presse sowie die starke nationale und internationale Vernetzung ihres Mannes. Das Buch setzt den Fokus auf die Geschehnisse zwischen 1966 und 1969, thematisiert im letzten Kapitel aber auch die Jahre bis zum Tod Rudi Dutschkes und der zeitgleich stattfindenden Atomkraftbewegung hin zur Gründung der Grünen. Ich empfehle das Buch daher allen, die sich einmal abseits von wissenschaftlicher Literatur mit der 68er Bewegung aus der Perspektive einer Zeitzeugin und Protagonistin beschäftigen möchten.

Wenn ihr das Buch „1968. Worauf wir stolz sein dürfen“ gewinnen wollt, dann schreibt uns bis zum 15.05.2018 per Mail an redaktion@speakup.to oder als Kommentar unter dem Facebookpost, was ihr mit dem Jahr 1968 verbindet!

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