„Ich habe nie dagestanden und gezählt“

Im Interview mit Mandy Joachim und Denis Newiak von der speakUP erzählt der geschäftsführende Präsident der Uni von seinem neuen Job, dem Datenskandal und hoffnungslos überfüllten Lehrveranstaltungen.

speakUP: Herr Grünewald, wie fühlt sich Ihre neue Position als geschäftsführender Präsident der Universität an?

Grünewald: Sie fühlt sich gut und nicht ungewohnt an, da ich ja auch bekannte Aufgaben erledige. Sie ist aber ein wenig anstrengender, weil wir mit verkleinerter Mann- und Frauschaft arbeiten.

speakUP: Welche Ihrer neuen Aufgaben ist Ihnen besonders wichtig?

Grünewald: Die wichtigste zusätzliche Aufgabe sind Berufungsgespräche und-verhandlungen für neue Professor_innen. Eine weitere, für mich sehr wichtige Aufgabe liegt in der Qualitätssicherung der Lehre. Sie ist der Schlüssel für den Erfolg der Uni. Desto besser das Studienprogramm der Lehre, desto besser und zufriedener können Studierende ihr Studi-um absolvieren.

speakUP: Bleiben Sie denn Präsident der Universität?

Grünewald: Das weiß ich nicht. Ich bin nicht in das Verfahren involviert und auch nicht unter den Bewerber_innen. Ich bin also selbst ganz gespannt, wer ausgewählt werden wird.

speakUP: Würden Sie es denn nicht gerne machen?

Grünewald: Dann hätte ich mich früher für eine Bewerbung entscheiden müssen. Mir war es wichtiger, für einen reibungslosen Arbeitsablauf an der Uni zu sorgen, indem ich die anfallenden Arbeiten übernehme, anstatt Wahlkampf führen zu müssen.

speakUP: Aber Sie bleiben der Uni doch erhalten?

Grünewald: Ja, in jedem Fall. Ich bin bis 2016 gewählt.

speakUP: Welche neuen Impulse bringen Sie in Ihre jetzige Arbeit ein?

Grünewald: Das kommt auf die Dimensionen an – im Kleinen gibt es sicherlich neue Impul-se. Zum Beispiel kann ich in meiner jetzigen Position das gerade entstehende Berlin-Brandenburgische Zentrum für Jüdische Studien begleiten.

speakUP: Vor einigen Wochen gab es ja einen Datenskandal, als eine Datei mit persönlichen Studierenden-Daten im Universitätsintranet offen zugänglich war. Wie konnte das passieren?

Grünewald: Glücklicherweise handelt es sich um keinen wirklichen Skandal. Das Rechenzentrum hat festgestellt, dass nur der Studierende, der die Tatsache dankenswerterweise auf-gedeckt hat, auf die Datei zugegriffen hat. Es kam durch menschliches Versagen zu dem Vorfall, die Datei wurde versehentlich an falscher Stelle gespeichert. Erfreulicherweise sind die Daten nicht in falsche Hände geraten, wir bedauern den Umstand trotzdem sehr. Ich habe während einer Senatssitzung auch eine Entschuldigung an die Studierenden ausgesprochen.

speakUP: Wie nehmen Sie die
Initiative Intelligenzija wahr?

Grünewald: Wir haben viele Gespräche miteinander geführt, bei denen wir aber nicht immer übereingekommen sind. Der Grund dafür liegt meiner Meinung nach in der Frage nach dem Umfang des Einsatzes von Lehrbeauftragten. Ich bin ein Kritiker von Lehraufträgen in der jetzigen Praxis. Sie sollten nicht als Beitrag zum Lebensunterhalt von Doktoranden verstan-den werden, denn Lehraufträge als solche sind kein Instrument der Nachwuchsförderung. Meine eigene Präferenz dahingehend ist eine Nachwuchsförderung über Stipendien und Doktorandenverträge. Wenn Doktoranden in Existenznöten sind, weil sie nichts anderes haben als ihren Lehrauftrag, dann läuft da mächtig was falsch. Es wird dann auch nicht besser, wenn man den Lehrauftrag mit 680 statt 520 Euro entlohnt. Der Lehrauftrag ist nach meinem Verständnis eine Ergänzung zur Lehre.

speakUP: Wo sehen Sie Verantwortungen für die von Ihnen präferierte
Doktorandenförderung?

Grünewald: Da gibt es große Chancen auf Mitteleinwerbungen durch Professor_innen. Der Königsweg führt über Stipendien.

speakUP: Wenn jetzt aber – wie zum Beispiel in der Germanistik – ein wesentlicher Bestandteil der Lehre nur durch
Lehraufträge bewältigt wird, wie begegnen Sie dem?

Grünewald: In Bezug auf die ganze Uni schöpfen wir das Maximum an Lehraufträgen gar nicht aus. Das, was Sie jetzt ansprechen, ist vielmehr ein punktuelles Problem, dessen Schwerpunkte sich über einige Fakultäten verteilen. In Einzelfällen muss da ein Umdenken passieren. Dazu führe ich häufig sehr kontroverse Gespräche mit den jeweiligen Verantwortlichen, denn ich bin ein entschiedener Gegner dieser Praxis. Das Personal gibt durchaus auch eine andere Planung qualitätsbewusster Lehre her. Ich spreche mich auch dagegen aus, Pflichtseminare durch Lehrbeauftragte erbringen zu lassen. Ich finde das, offen gesagt, furchtbar.

speakUP: Was aber nun machen Sie mit den „Schwerpunkten“ und mit Seminaren, die mit bis zu 100 Studierenden einfach überbesetzt sind?

Grünewald: Ich sage den Lehrenden gebetsmühlenartig: „Ihr müsst einen anderen Lehrveranstaltungsplan machen!“ Wenn einzelne Seminare großen Zulauf finden, während andere leer bleiben, muss man nach den Ursachen forschen und über die Qualität einzelner Seminare nachdenken. Die Studierenden entscheiden das mit den Füßen – sie gehen dahin, wo sie die beste Lehre erwarten. Und bei den Pflichtveranstaltungen muss das Fach so viele Veranstal-tungen anbieten, das alle einen Platz bekommen. Ein weiteres Problem der Fächer mit hohen Studierendenzahlen – zum Beispiel der Germanistik – ist es, dass sie sich aus Bachelor-Studierenden und vielen alten Magisterstudierenden zusammensetzen, die bis heute keinen Abschluss haben.

speakUP: Aber die alten Magisterstudierenden sitzen doch nicht in den Pflichtveranstaltungen für die frühen Semester des Bachelor…

Grünewald: Doch natürlich, wenn sie ihren Studienplan noch nicht erfüllt haben.

speakUP: Das kann ja aber nicht die einzige Erklärung sein, zumal eine Handvoll Magisterstudierende die Veranstaltungen doch nicht überfüllen kann…

Grünewald: Ich habe nie dagestanden und gezählt. Wenn die Beobachtungen aber so sind und trotzdem alles überfüllt ist, dann ist das Lehrangebot falsch austariert und es gibt offenbar zu wenig von derartigen Lehrveranstaltungen. Die Verantwortung dafür liegt im Fach. Man muss konsequent nach solchen Sardinenbüchsen suchen – und gegen sie hilft nur ein besseres Lehrangebot. Die einzelnen Fächer stellen sich zwar dem Problem, das Ergebnis ist aber noch nicht immer befriedigend.

speakUP: Im kommenden Wintersemester werden durch doppelte Abiturjahrgänge und die wegfallende Wehrpflicht deutlich mehr Erstsemester erwartet. Wie ist dafür Ihre kurz- und langfristige Planung?

Grünewald: Wir werden im Wintersemester für die Uni Potsdam keine spürbar andere Situation haben als in den Vorjahren. Wir haben in jedem Jahr sehr viel mehr Bewerbungen als Studienplätze. Auf etwa 3.400 Ersti-Plätze kommen schon bislang über 25.000 Bewerber_innen. Wenn es jetzt, wie von Ihnen beschrieben, noch mehr werden sollten, dann bliebe die Zahl der Studienplätze hier immer noch gleich, dann wäre die Auswahl immer noch dieselbe. Nur der Wettbewerb würde sich dann noch etwas verschärfen.

speakUP: Also wird das Problem die Uni gar nicht erreichen?

Grünewald: Ich schätze, wir werden wieder 3.400 aufnehmen. Wir schaffen hier seit zwei oder drei Jahren immer eine Punktlandung. Das hört sich aber planerisch schöner an, als es manchmal in der Wirklichkeit ist. Mit Blick auf die großnachgefragten Fächer wie Geschichte oder Germanistik, die in den letzten Jahren nicht mehr Studierende aufgenommen haben, als ihnen laut Kapazitätsrecht nach der vorhandenen Anzahl an Lehrenden zuzumuten ist, muss man das aber differenziert bewerten. Nach meiner Einschätzung ist das Verhältnis dort eher negativ.

speakUP: Sie erwarten also im Großen und Ganzen keinerlei Probleme?

Grünewald: In anderen nichtzulassungsbeschränkten Fächern, die seit geraumer Zeit wenig nachgefragt werden, kann ich die Entwicklung nicht absehen. Im Großen und Ganzen haben wir diese Aufgabe aber in den vergangenen Jahren beherrscht.

speakUP: Nochmal zurück zur Problematik der Lehrbeauftragt_innen. Wie ist die deutlich unterschiedliche Bezahlung von 0 bis zum Teil 900 Euro zu erklären?

Grünewald: Die Bezahlung richtet sich in der Regel nach Qualifikation. Jemand, der woanders Professor sein könnte, wird natürlich anders bezahlt als ein promovierter Wissenschaftler. Und der wiederum anders als ein Doktorand.

speakUP: Was ist aber mit jenen Promovierenden, die gar nichts bekommen?

Grünewald: Das müsste nicht sein! Eine andere Planung innerhalb der Fächer würde hier helfen. Ich bin total gegen unbesoldete Lehraufträge für Promovierende.

speakUP: Heißt das, dass Sie durchaus zur Zusammenarbeit mit der Initiative Intelligenzija bereit sind?

Grünewald: Ja, klar. Ich freue mich im Prinzip über jede Bemühung, Interessen dialogisch festzustellen und zu bündeln. Gerade Doktorand_innen brauchen eine gute Vertretung. Trotz inhaltlicher Differenzen empfinde ich das als Fortschritt.

speakUP: Angesichts der neuen Sparmaßnahmen im Land haben Sie die Debatte über sogenannte Studienkonten neu angeregt. Was verstehen Sie genau darunter?

Grünewald: Ich bin ausdrücklich kein Protagonist von Studiengebühren, sondern von Studienkonten. Studienkonten geben jedem Studierenden ein Guthaben. Nach meiner Vorstellung müsste das so berechnet sein, dass jeder Studierende sein Studium in der 1,x-fachen Zeit kostenfrei absolvieren kann. Nicht verbrauchtes Guthaben kann dann später für life long learning verwandt werden. So entsteht eine Wertschätzung des öffentlichen Guts Studienplatz, der gerade bei uns in Brandenburg von immer weniger Steuerzahlern finanziert werden muss.

speakUP: Was ist aber mit Studierenden, die durch Kind und/oder Nebenjob effektiv weniger Zeit haben als andere?

Grünewald: Ich bekenne mich ganz klar dazu, dass solche Modelle sozial ausbalanciert werden, indem bedürftige Menschen mehr Guthaben bekommen als weniger bedürftige. Das bedeutet aber auch, dass jemand aus wohlhabenderem Hause weniger Guthaben zur Verfügung bekommt, sein Studium also früher kostenpflichtig wird. Stärkere Schultern tragen mehr. Das ist meine tiefe Überzeugung. Durch ein individualisiertes Guthabenmodell kann man viel gerechter geben und nehmen, als wenn ich alles über einen Kamm schäre.

speakUP: Wie erklären Sie sich, dass andere Bundesländer dieses System schon wieder abgeschafft haben?

Grünewald: Das ist meiner Meinung nach aus wahltaktischen Gründen geschehen. Die Projekte in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, an denen ich selbst mitgearbeitet habe, haben sehr gut funktioniert. Nachdem in NRW dann später grundständige Studiengebühren eingeführt wurden, gab es irgendwann keinen Weg mehr zurück zu den Konten – auch nicht für die Gegner der Studiengebühren. Allerdings müssen wir beachten, dass Brandenburg bei weitem nicht die finanziellen Mittel dieser Länder hat. Deshalb war es mir so wichtig, die Diskussion hier anzuregen.

speakUP: Wie lässt sich Ihrer Meinung nach, Hochschulmanagement mit guter Lehre in Einklang bringen?

Grünewald: Hochschulmanagement, das der Hochschule und ihren Bedürfnissen gerecht werden will, ist Feldarbeit in der Qualität der Lehre. Es geht nicht um die Maximierung von Kennzahlen, sondern um Studienprogramme, Modulinhalte und um Lehrbedingungen. Dafür setze ich mich ein. Ich wünsche mir, dass wir unsere Qualitätsversprechen an unsere jetzigen und künftigen Studierenden einhalten können.

speakUP: Vielen Dank für das Gespräch.

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