Seit dem 30. Oktober 2017 kreisen die Kräne über das Garnisonkirchen-Denkmal. Die Stiftung Garnisonkirche baut den Kirchturm, der am 23. Juni 1968 gesprengt wurde, wieder auf. Das historische Ereignis jährt sich dieses Jahr zum 50. Mal. Obwohl der Beschluss der Stadt Potsdam schon lange feststeht, lässt der umstrittene Bau die Potsdamer Bürger_innen noch lange nicht los. Am Dienstag, dem 19. Juni, fand die Veranstaltung „Freiraum und Friedensforum. Die Heilig-Kreuz-Gemeinde und das Heilig-Kreuz-Haus 1968-1990“ der Martin-Niemöller-Stiftung im Heilig-Kreuz-Haus in der Kiezstraße 10 statt. Die Veranstaltung war gut besucht. Von Eileen Schüler.
Keine hundert Meter von der Garnisonkirche befindet sich das Heilig-Kreuz-Gemeindehaus. Es ist etwas versteckt in einer Seitenstraße der Breiten Straße und findet kaum Erwähnung, wenn es um den Streit des Wiederaufbaus geht. Dabei war die Heilig-Kreuz-Gemeinde die ehemalige Zivilgemeinde der Garnisonkirche und geschichtlich sehr bedeutend. Anlässlich der Sprengung vor 50 Jahren erinnert die Martin-Niemöller-Stiftung durch den Gesprächsabend an die bewegende Zeit zwischen 1968 und 1990. Eingeladen war der Journalist und Autor Matthias Grünzig, der einen Vortrag über die Geschichte der Gemeinde hielt. Außerdem erzählten die Zeitzeugen Dr. Helmut Domke und Joachim Briesemann über ihre Erlebnisse. Den Abend moderierte Gerd Bauz von der Martin-Niemöller-Stiftung.
Entschädigung für die Ruine der Garnisonkirche
Die Heilig-Kreuz-Gemeinde hatte Anfang der sechziger Jahre finanzielle Probleme und war durch die Zerstörung im Zweiten Weltkrieg räumlich eingeschränkt. Doch 1968 „erklärte sich der Rat der Stadt Potsdam bereit, der Heilig-Kreuz-Gemeinde Baukapazitäten in Höhe von 300.000 Mark zur Verfügung zu stellen“, sagte Matthias Grünzig. Mit diesen finanziellen Mitteln der Stadt sollte das Heilig-Kreuz-Haus zu einem attraktiven Gemeindezentrum umgebaut werden. Des Weiteren verhandelte die Heilig-Kreuz-Gemeinde mit dem Rat der Stadt Potsdam über die Entschädigungssumme für die Ruine der Garnisonkirche und bekam einen Betrag von 599.000 Mark. Dies war für die Zeit eine erstaunlich hohe Summe und garantierte eine Sicherung des Gemeindezentrums.
„Gemeindezentren waren in den sechziger Jahren die Hoffnungsträger der Evangelischen Kirche in ganz Deutschland“, so Grünzig. Die Zahl der Kirchenmitglieder und Gottesdienste ging zurück, deshalb „wollten reformorientierte Kräfte in der Evangelischen Kirche durch neue Formen der Gemeindearbeit begegnen“, sagte Grünzig. Es gab folgende Veränderungen: Der Pfarrer sollte einen Dialog auf Augenhöhe mit den Gemeindemitgliedern suchen und nicht mehr von oben herab predigen, es fanden zahlreiche Veranstaltungen wie Konzerte, Lesungen, Filmvorführungen und Diskussionen statt. Die staatlichen Stellen der DDR betrachteten dieses Konzept mit Misstrauen. Sie wollten nur eine Kirche haben, die sich auf den religiösen Bereich beschränkte und keine weltlichen Veranstaltungen anbot.
Evangelische Kirche vs. DDR-Regierung
So entstand ein Streit zwischen der Evangelischen Berlin-Brandenburg und dem zuständigen Rat des Bezirkes Potsdam. Die Kirche wollte weitere Gemeindezentren bauen, jedoch versuchte der Staat dies zu verhindern. „Die Tatsache, dass sich die Heilig-Kreuz-Gemeinde ein Gemeindezentrum bauen konnte, war also ein spektakulärer Erfolg, der damals außergewöhnlich war“, betonte Grünzig.
Schwerpunktthemen der Gemeinde waren Frieden, Ökumene, Dialog zwischen den Religionen und Dritte Welt, für die sich der Pfarrer, Uwe Dittmer, besonders engagierte. Als in der DDR der Wehrkundeunterricht eingeführt wurde, der von friedensorientierten Kräften kritisiert wurde, organisierte die Gemeinde im Gegensatz dazu eine Seminarreihe unter dem Titel „Erziehung zum Frieden“. Außerdem fanden ab 1981 regelmäßig Friedensfeste statt.
Auch zum Thema Ökumene wurden mehrere Veranstaltungen angeboten wie zum Beispiel Informationsvorträge über christliche Gemeinden in Afrika oder Asien. Der Generalsekretär der Bewegung für Kirche und Gesellschaft in Lateinamerika oder die Kirchenvertreter_innen aus Japan, Südkorea, Angola und Südafrika kamen zu Besuch nach Potsdam.
Des Weiteren fanden Lesungen mit staatlich geächteten Schriftstellern wie Stefan Heym und Rolf Schneider statt. Im Heilig-Kreuz-Haus lag auch Literatur aus, die andernorts nicht angeboten wurde.
Die Evangelische Studentengemeinde
Die Studentengemeinde war ein wichtiger Gesprächskreis für Student_innen und Absolvent_innen, in dem offen diskutiert werden konnte. Durch Arbeitseinsätze auf dem Jüdischen Friedhof wurde die Studentengemeinde in der Öffentlichkeit bekannt. Am 23. November 1983 veranstalteten die Student_innen einen öffentlichen Schweigekreis am Platz der Nationen am Brandenburger Tor. Sie trugen Plakate mit der Aufschrift „Ich schweige für den Frieden“. Jedoch löste die Polizei die Kundgebung auf. Allerdings kamen zwei Jugendliche den Aufforderungen nicht nach und wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Der Friedenskreis Potsdam und die SED
1984 gründete sich der Friedenskreis Potsdam, an ihm waren mehrere Wissenschaftler_innen aus dem Zentralinstitut für Astrophysik und dem Zentralinstitut für die Physik der Erde beteiligt. Ein Mitglied war der Bundessynodaler und Mitglied der Konferenz der Kirchenleitungen der DDR, Helmut Domke. Somit hatten sich im Friedenskreis Potsdam Personen mit Einfluss versammelt, auf die die Staatsmacht nicht so einfach Druck ausüben konnte. Der Friedenskreis Potsdam versuchte einen Dialog zur SED aufzubauen und die Vertreter_innen der SED miteinzubeziehen. Ein wichtiges Prinzip des Friedenskreises sei die Einhaltung der DDR-Gesetze gewesen.
Zum 40. Jahrestag der Potsdamer Konferenz am 28. Juni 1985 wurde eine Tagung im Heilig-Kreuz-Haus veranstaltet. Dazu wurden Geistliche aus den Unterzeichnerstaaten des Potsdamer Abkommens (USA, Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien) eingeladen. Der Kalte Krieg dauerte noch an, aber die Tagung sollte ein Signal der Entspannung sein. Außerdem wollten sie an die Unterzeichnerstaaten appellieren, damit sie das weltweite Wettrüsten aufgaben.
„Das Heilig-Kreuz-Haus bildete einen wichtigen Nukleus für unabhängige Initiativen in Potsdam“, stellt Grünzig fest. Dank der räumlichen und finanziellen Möglichkeiten der Heilig-Kreuz-Gemeinde seien Veranstaltungen zu den Themen Frieden, Demokratie und internationale Verständigung möglich gewesen.
Zeitzeugen berichten
„Innerhalb von 20 bis 25 Jahren hat sich Potsdam von einer Militärstadt zu einer schönen Stadt entwickelt“, sagte Joachim Briesemann. Damals gab es in Potsdam fünf bis sechs Kasernen und viele Truppenübungsplätze. „Aber die Frage war damals – wie bekommt man die Konversion, also die Umwandlung von militärischer zu ziviler Nutzung, hin? Die Abrüstung musste innerhalb kurzer Zeit geschehen“, sagte Helmut Domke, der an dem Prozess der Abrüstung beteiligt war.
Die Kindergärtnerin Rosemarie Scheidemann erinnerte sich an „eine wunderbare Zeit“ in dem „schönen, großen und lichtdurchfluteten“ Kindergarten der Gemeinde. Der Kindergarten wurde schon 1829 gegründet und nach 1945 wurde er weitergeführt. Der Stadt gefiel das zur DDR-Zeit nicht so gut und „ließ hinter unserem Kindergarten einen riesigen Kindergarten bauen, in dem 200 Kinder Platz hatten“, so Scheidemann. Dennoch war der der Heilig-Kreuz-Gemeinde immer gut besucht.
Klaus Hugler, der in der Jugendarbeit der Gemeinde tätig war und Religionslehrer ist, fasst das Bild der Gemeinde zusammen: „Die Gemeinde ist wie eine Insel – du hast hier das Grüne, umgeben von der Stadt.“
Warum wurde das Grundstück nicht der Gemeinde geschenkt?
Zum Abschluss des Abends blieb eine Frage beim Publikum offen: Wie konnte die Stadt Potsdam auf die Idee kommen, das Grundstück der Stiftung Garnisonkirche zu schenken und nicht an die Heilig-Kreuz-Gemeinde zu übergeben? Denn würde das Grundstück der Heilig-Kreuz-Gemeinde gehören, wäre der Wiederaufbau hinfällig.
„Der Wiederaufbau des Kirchenturms entspricht nicht den Friedensvorstellungen der Gemeinde und es wird nur ein kunstvoller „Phallus“ entstehen, den die Evangelische Kirche nicht braucht“, so Gerd Bauz. Außerdem stehe die Heilig-Kreuz-Gemeinde und die Martin-Niemöller-Stiftung hinter den Kulturschaffenden des Rechenzentrums und wolle den Abriss dieses Gebäudes nicht.