Eben noch bei der selben Dozent_in die gleiche Klausur geschrieben (und sich vorher in der Cafeteria von fleißigen Mitstudis die wichtigsten Lerninhalte abgeholt) und im nächsten Moment vor eben diesen Kommiliton_innen stehen und unterrichten: Das ist das Leben von Tutor_innen. Von Laura-Maria Kettner.
Wie kommt man eigentlich dazu, noch während des eigenen Studiums zu unterrichten? Und lohnt sich der Aufwand? Wir haben mit jemandem gesprochen, die unsere Fragen rund um das Dasein eines Tutors beantworten kann.
Naghme Zare-Hamedani studiert im 3. Semester Geschichte und öffentliches Recht und hält im kommenden Semester (SoSe 2016) ihren zweiten “eigenen“ Kurs an der Universität Potsdam: „NS-Aufarbeitung im Bundesministerium der Justiz“. Eine Zusammenarbeit zwischen Geschichts- und Jurastudierenden.
Auf dem Weg zum Tutorium
Nachdem Naghmes Tutor sie auf den Kurs “Mentoren-Schulung: Selbstkompetenz für Studium und Beruf“ aufmerksam gemacht hatte (für dessen Belegung es 6 LP gibt), ergriff sie den kühnen Schritt und belegte diesen im SoSe 2015 unter der Leitung von Frau Dr. Kirjuchina , die auch gleichzeitig Ansprechpartnerin ist.
Im WiSe 2015/2016 hielt sie dann ihren ersten eigenen Kurs mit dem Titel „Organisation und Selbstreflexion für Historiker“. Welch eine Autorität! Und dafür weitere 6 LP – fast mit links: „Die Mentoren-Schulung hat eigentlich die wichtigsten Bausteine für eine gute Kursvorbereitung und –durchführung gelegt. Im Wesentlichen musste ich vor jeder Kursstunde festlegen, was genau die inhaltlichen Ziele ebendieser sein sollten und welches Material ich zur Wissensvermittlung nutzen möchte.“
Der erste eigene Kurs an der Uni Potsdam
Über die Frage, wie viele Tutorien tatsächlich angeboten werden, entscheidet alleine die Zahl der Erstsemesterler_innen. Tatsächlich kann es passieren, dass man zwar die Mentor_innenschulung absolviert hat, aber nie die dazugehörige praktische Erfahrung sammelt – ein geradezu verheerendes Szenario, wenn man bedenkt, dass einem damit 6 LP entgehen.
Um ganz eigenständig einen Kurs zu kreieren, meldet sich Naghme über Studiumplus an. Voraussetzung dafür ist die Vorlage eines komplett ausgearbeiteten Kursplans, also Kurszeiten, -inhalt,-dauer, etc. mit Zielen und Aufgaben des Kurses- genau wie in der Mentoren-Schulung erarbeitet. Das Schriftstück und das Votum eines Professors oder einer Professorin werden dann einem Gremium vorgelegt, das darüber entscheidet, ob der Kurs gehalten werden darf.
Freies Sprechen üben und Prüfungsangst bekämpfen
Doch nun einmal weg von der Theorie und hin zum Gemüt: Wie ist es, als “Drittsemesterin“ vor 70 Kommiliton_innen zu stehen? (So viele hatten an ihrem Kurs teilgenommen – sie hatte mit 15 gerechnet.)
Naghme wirkt bei dieser Frage gelöst und amüsiert: „Schlimmer als gedacht“, ist ihre erste Antwort unter lautem Gelächter. Dann relativiert sie sich: „Nein, es macht wirklich Spaß – vorausgesetzt, man ist gut vorbereitet. Wichtig ist, dass man sich und den Kursteilnehmer_innen genügend Zeit zum Nachdenken und Antworten lässt und keine Angst vor ,peinlichen Pausen’ hat.“
Naghme bereitet sich zwei Stunden auf jede Sitzung vor. Sie erstellt eine Präsentation, sucht und wählt Materialien für die Gruppenarbeit aus und kopiert die Texte. Obwohl sie das Gefühl hat, dass der Kurs sehr viel Zeit in Anspruch nimmt, ist es ihr die Mühe wert. Die Entlohnung sei okay, sagt sie mit einem verschwörerischen Grinsen. Was man wirklich davon habe, sei die Übung im freien Sprechen und die Überwindung der Prüfungsangst. „Ab April leite ich ein studentisches Projekt an der Universität. Das hätte ich mich vorher nicht getraut, wenn ich nicht etwas „Dozentenluft“ geschnuppert hätte.“
Symbiose von Studentin und Tutorin
Und wo bleibt das Lampenfieber? Bei Fragen der Studierenden, auf die sie abrupt keine Antwort hat, reagiert sie souverän, wie sie mir erklärt. „Ich sage offen und ehrlich, dass ich es nicht weiß – versuche aber, die Antworten für die nächste Stunde einzuholen bzw. per Mail an die Studis zu schicken.“
Allerdings gab es bei ihr auch Situationen, in denen sie gerne im Erdboden versunken wäre. Diese resultierten hauptsächlich aus Momenten, in denen die Kommiliton_innen nicht über ihre Witze lachten oder in denen sie sich bis in die Unsäglichkeit verhaspelte – ohne Aussicht auf eine Falltür oder die rettende Dozent_innenstimme.
Doch gibt es am Ende des Semestertunnels auch das bekannte Licht: In den Reflexionsberichten, die alle Kursteilnehmer_innen am Ende des Semesters abgeben müssen, wurde zu großen Teilen ausführlich geschildert, wie hilfreich die im Tutorium erlernten Methoden und Tipps bereits jetzt seien – und dass sie, Naghme, offensichtlich alles richtig gemacht habe, eine Tutorenstelle anzunehmen.
Auf die abschließende Frage, ob es Momente während des Dozierens gab, in denen sie sich nicht mehr wiedererkannte, eine Symbiose von der Studentin zur Tutorin stattgefunden habe, antwortet sie: „Wenn manche getuschelt haben und das den Unterricht gestört hat, erkenne ich mich selbst nicht wieder: Ich meckere auf die gleiche Art und Weise, die ich immer so verpönt habe. Das nennt man wohl Karma. Sorry an all meine Lehrer_innen! Man lernt offensichtlich nie aus.“
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