Kinderwunsch im Studium: Jetzt wird auch noch geheiratet (Teil 2)

Im ersten Teil habt ihr bereits einen Eindruck davon erhalten, was für ein Bürokratieirrsinn auf euch zukommt, wenn euer Partner bzw. eure Partnerin aus dem Ausland kommt und ihr ein Kind bekommen wollt. Im zweiten Teil geht dieser Wahnsinn selbstverständlich weiter. Denn gerade in Sachen Krankenversicherung, Heirat und Kinder kriegen scheint es hier keine Grenzen zu geben. Von Vinzenz Lange.

Gute Frage Nummer zwei: Wie versichern?!

Die erste Staffel ist geschafft. Nun muss ja so eine schwangere Frau ja auch ab und an zum Arzt. Schon komisch, was in einer Schwangerschaft so alles mit dem eigenen Körper passiert. Doch zu dumm, dass ab 2015 von den Arztpraxen nur noch Versicherungskarten mit Chip angenommen werden. Wer die nicht hat, wie meine Freundin, die nur eine tschechische Versichertenkarte ohne Chip besitzt, wird im Gegenzug mit einer Privatrechnung belohnt. Nur in Notfällen kann jemand aus dem Ausland auch ohne diese Karte hier behandelt werden. Die Kosten lässt sich die deutsche Krankenkasse von der ausländischen dann erstatten.

Aber sind eine Geburt und die dazugehörigen Untersuchungen ein Notfall? Wir überspringen an dieser Stelle die sexistischen Witze und sagen einfach zum zweiten Mal: „Gute Frage.“ Fragen wir doch die „Gesundheitsexpert_innen“, doch nach weiteren ratlosen Blicken und Kolleg_innen, die zwar gefragt werden, jedoch in der Mittagspause verweilen, wird die Sache zur Chefsache erklärt.

Nach weiteren Mails und ausgiebiger Ausnutzung unserer Festnetz-Flatrate soll das Formular E 106 helfen, dass speziell für solche Fälle konzipiert wurde. Ah, es ist also doch schon einmal vorgekommen, dass zwei Menschen aus unterschiedlichen Ländern zusammenkommen! Hier mischt sich in dieses Such- und Ratespiel mit heiteren Possen wiederum die tschechische Krankenversicherung ein. Erst wird uns dieses Formular von der einen Sachbearbeiterin zugesagt, ein anderer verweigert es uns wieder. Etwas wirklich wissen, was in unserer Lage zu tun ist, können aber beide nicht. Immerhin sind sie sich in diesem Punkt einig.

Was ist der Grund für dieses Hin und Her? Meine Verlobte hat den dreisten Wunsch, das Kind in Tschechien zu bekommen, da sie die psychisch belastenden Tage im Wochenbett bei ihrer Familie verbringen will. Doch kann die Versicherung in Tschechien gekündigt werden oder soll sie sie behalten, aber doppelt bezahlen? Ein Sachbearbeiter der deutschen Krankenversicherung hat es ganz treffend formuliert: „Europa ist offensichtlich hier doch noch nicht zusammengewachsen.“ Das Gefühl haben wir auch. Jetzt hat meine Verlobte immerhin eine deutsche Versicherung, da sie das Kind doch hier bekommen will. Das ist für alle einfacher und niemand muss seine oder ihre Mittagspause unterbrechen.

Heiraten?!

Bei den Krankenversicherungen wurden wir immer wieder gefragt, ob wir verheiratet sind. Um es vorweg zu sagen: Wir wollten heiraten, ursprünglich aus Liebe. Aber in unserem Fall ist eine Heirat regelrecht vernünftig, da wir rechtlich als Familie viel besser geschützt sind. Da wir aber in der „Disziplin Behördengang“ sehr geübt sind, schütteln wir in den letzten Monaten, bis das Kind kommt, auch noch eine Hochzeit aus dem Arm.

Da nichts ohne Papiere geht, waren wir über die Liste der einzuholenden Bestätigungen als neue Herausforderung hocherfreut. Die meisten dieser Schreiben beschäftigen sich mit der Verifizierung unserer eigenen Existenz, das heißt, sie sind eigentlich hoch philosophisch – ja, sie stellen ontologisch-metaphysische Fragen, wie sie Descartes nicht besser hätte formulieren können. Da auch in der modernen analytischen Philosophie nicht einfach etwas daherbehauptet werden kann, zum Beispiel, dass sie oder ich wirklich geboren wurden und noch nicht geheiratet haben, muss auch bei unseren Formularen alles bewiesen werden.

Einen ganz vorzüglichen Einfall bereiteten uns zum Beispiel die tschechischen Behörden. Sie forderten, dass eigentlich die Dame, die Mitte der achtziger Jahre in der kommunistischen Tschechoslowakei die Geburtsurkunde meiner Verlobten ausstellte, diese auch beglaubigen müsse. Kein Problem. Wir waren schon halb auf dem Weg nach Tschechien um die Beamtin in ihrem Pflegeheim zu besuchen und sie um ihren Beglaubigungsstempel zu bitten, auch vor einem Wiederauferstehungsritual zu diesem Zwecke auf ihrem Friedhof wären wir nicht zurückgeschreckt, da sagte uns die Tschechische Botschaft, dass sie hier nur in die Kalauerkiste ihrer Scherze gegriffen hätte und die Beglaubigung auch anders organisieren könne.

Wem kann man glauben?!

Allerdings müssten einige Beglaubigungen in Tschechien selbst beglaubigt werden. Da kommt doch gleich die Frage auf: Wem wird da eigentlich geglaubt? Menschen, die ein enormes Geld dafür bekommen, dass sie einen Stempel bewegen, sind anscheinend vertrauenswürdiger als wir. Wir, die diese Beweise über unsere eigene Existenz erbringen müssen, werden in diesem Sinne zunächst als Betrüger angesehen, bis der Nachweis erbracht wird, dass wir es ernst meinen.

So ist es übrigens auch, wenn Gelder beantragt werden. Zunächst wird vorausgesetzt, dass die Antragstellenden Staat und Gesellschaft um die hart und ehrlich erarbeiteten Löhne, für die man extra aufgestanden ist, betrügen wollen. Ich brauche sicherlich nicht zu erwähnen, dass diese Nachweise für die deutschen und tschechischen Behörden in die entsprechenden Sprachen übersetzt werden müssen. Dabei versteht es sich von selbst, dass nur ein staatlich beglaubigter Übersetzer über diese mystischen Kräfte verfügt, dass nur er allein vertrauenswürdig ist.

Jetzt sind alle entsprechenden Papiere auf eine lange Reise in die tschechische Republik unterwegs, die satte zwei Monate dauern kann. Bevor sie diese Reise antreten konnten, brauchten wir in der Botschaft natürlich noch einen Termin, da wir niemanden mit der Arbeitsbelastung der bloßen Entgegennahme von Unterlagen einfach so überraschen und schockieren dürfen. Behörden-Mitarbeiter_innen sind immerhin sensible Pflänzchen, die schnell in Panik geraten, wenn sie unangekündigt mit Anträgen überrumpelt werden.

Und wofür das Ganze?!

Ein weiteres lustiges Spiel ist das Zuständigkeits-Bingo, in dem alle Beteiligten mitraten müssen, wer für welches Papier zuständig ist, ein Spiel, das uns ganze Stunden beschäftigt hat und immer abwechslungsreich bleibt. Neulich las ich, dass Franz Kafka, der für seine unvergleichlichen Romane berühmt geworden ist, in denen der Bürokratiewahnsinn des Österreich-ungarischen Reiches kritisiert wurde, in Prag von seinem Friedhof aufgestanden sei und Besitz an Erdöl, auf das er beim Rotieren in seinem Grab gestoßen sei, geltend mache. Die Untersuchungen laufen derzeit noch, da Kafka noch nicht die nötigen Urkunden erbracht habe. Sie laufen noch, wie unser Warten auf die Hochzeitspapiere oder unsere Suche nach einer Wohnung und einer Arbeit.

Auch, wenn das alles ein guter Grund wäre, den ganzen Frust in Beziehungsstreitigkeiten abzulassen, hat uns das gemeinsame Abarbeiten der Behörden noch enger zusammengebracht und wir halten auch weiterhin zusammen. Bei solchen Unternehmungen heißt es, ruhig zu bleiben und alles kleinschrittig anzugehen. Der kühle Kopf ist wichtig, um den Überblick zu behalten. Bei aller Kritik sind wir aber doch dankbar für jede Unterstützung, die uns zu Teil wird, ja wir können froh sein, über alles, was wir bekommen, da es uns sonst schlechter ginge und wir bald auf der Straße säßen. Immerhin wissen wir im Hinblick auf die Geburt unserer Tochter auch, wofür wir das alles tun.

Den ersten Teil von „Wie Kafka auf Erdöl stieß“ verpasst? Dann holt die Lektüre schnell nach!

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