Geschichten aus dem Nil: Einmal Studentenkeller, immer Studentenkeller

Jede_r kennt ihn, fast jede_r liebt ihn: Den Nil-Studentenkeller am Neuen Palais. Gerüchte um den Namen und über die Geschichte des Studentenklubs gibt es viele – es wird Zeit, sie einmal zu lüften. Eines sei bereits vorab gesagt, der Keller des Nordcommuns ist ein Ort voller historischer Momente, Wandel und Studentengeschichten. Von Katharina Golze.

Die Luft ist warm und stickig. Es riecht nach Schweiß. Es scheint, als würde das Kellergewölbe immer näher zum Erdboden rücken. Doch die tanzende Menge Studierender scheint dies nicht zu stören. Sie wippen im bunt wechselnden Scheinwerferlicht zur Musik – eine Mischung aus Rock, Pop und Charts, die typischen Evergreens. Gelegentlich nippen sie an ihrem Sternburger Bier, welches sie sich zuvor für einen Euro an der Bar gekauft haben. Es ist Donnerstagabend in Potsdam, es ist Nil.

Der Studentenkeller Nil e.V. liegt verborgen unter den Hörsälen von Haus 11 auf dem Campus Am Neuen Palais. Tagsüber werden in dem historischen Gebäude der Universität Potsdam unter anderem Jüdische Studien, Geschichte oder Philosophie gelehrt. Am Abend versammeln sich die Studierenden im darunterliegenden Kellergewölbe: zum Plaudern, Tanzen und Bier trinken. Begonnen hat diese Tradition bereits vor 45 Jahren zu Zeiten der Pädagogischen Hochschule.

Erst entrümpeln, dann feiern

1972 ergriffen Biologie-, Chemie- und Sportstudierende die Initiative. Sie wollten einen studentischen Treffpunkt auf dem Campus errichten und mehr kulturelle Angebote schaffen. Bisher gab es die „Obere Mensa“ sowie die „Kaffeestube“, die tagsüber Cafeteria war und sich am Abend in ein Studentencafé wandelte. Doch diese hatten kurze Öffnungszeiten und waren als Trinkstuben verrufen. Studentische Mitgestaltung war dort kaum möglich.

„Das heruntergekommene Kellergewölbe bot sich an, daraus etwas für das studentische Leben zu machen“, erinnert sich Jürgen Rode, der damals Sport an der Pädagogischen Hochschule studierte. Er und seine Kommilitonen sehnten sich nach einem Ort für ein gemütliches Feierabendbier nach langen Trainingszeiten. Als sich dann die Hochschule dem Bauvorhaben annahm, meldeten sich Rode und seine Freunde freiwillig. Wochenlang schippen sie in ihren Freistunden und an Wochenenden Sand und Schutt aus dem Keller, erinnert sich der heutige Sportmanagement-Professor. Umso mehr freuten sie sich, als sie endlich die Einweihung feiern konnten.

Der größte Bierumsatz Potsdams

Gefeiert wurde viel im Studentenkeller. „Wir hatten den größten Bierumsatz Potsdams, denn die Studenten wollten nur die großen halben Liter“, berichtet Joachim Mückenberger. Der Gastronom bewirtete bis 1987 den „Keller“. Damals war noch die Hochschule für den Raum verantwortlich und stellte Gastwirte an, die dann die Studentenschaft unter anderem mit KiWi (Kirsch-Whiskey) und Strammem Max (Mischbrot, Schinken, Spiegelei) versorgten.

Während Joachim Mückenberger tagsüber Hochzeiten und Empfänge, unter anderem für die damalige Bildungsministerin Margot Honecker, ausrichtete, kamen abends die Studierenden zum Karten spielen und Bier trinken. Manchmal verkaufte der Gastwirt ganze Fässer an die Studierenden. Diese wurden dann im Studentenwohnheim angezapft.

„Wenn ausverkauft ist, ist ausverkauft“

Getanzt wurde immer dienstags und donnerstags, erinnert sich Anke Daumann an die wöchentlichen Diskoabende. Zu ihrer Studienzeit an der Pädagogischen Hochschule wurden die Studierenden zu Arbeitsgemeinschaften (AG) verpflichtet, sie entschied sich für die AG „Keller“. Mit 20 weiteren Studierenden war sie für die Organisation und Ordnung zuständig: Eintrittskarten verkaufen, die Garderobe verwalten und Studentenausweise kontrollieren.

Dabei wurde schnell klar, woher die Besucher_innen kamen. Ein roter Stempel enttarnte Studierende der damaligen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft (heute Campus Griebnitzsee); auch Bereitschaftspolizist_innen und Schüler_innen der Sportschule mischten sich unter die Studentenschaft. Doch „wenn ausverkauft ist, ist ausverkauft“, berichtet Anke Daumann. Damals wie heute heißt es dann: Schlange stehen. Mehr als 200 Gäste sind in dem kleinen Kellerraum aus brandschutztechnischen Gründen nicht zugelassen. Oft ist bereits gegen 22 Uhr Einlassstopp, eine Stunde nach Öffnung. Dann muss man warten, bis die Ersten wieder heimfahren. Und das kann dauern.

Die Mauer fiel und somit auch der Keller

Doch Anke Daumann erlebte einen Abend, an dem sie schlagartig allein im Studentenkeller war. „Die Gastronomen waren weg, die Kühlschränke standen offen. Bis 3 Uhr nachts waren wir allein“, denkt sie zurück. Es war der 9. November 1989. Zuvor hatten die Studierenden auf dem kleinen Fernseher auf dem Bartresen den Mauerfall miterlebt.

Danach änderte sich vieles: Das Kellergewölbe wurde an selbstständige Gastwirte verpachtet. Aus dem studentischen Rückzugsort wurde ein Restaurant für Touristen. Die Studierenden konnten sich die Preise nicht mehr leisten, lediglich die Lehrenden trafen sich hier gelegentlich zum Mittagessen. „Das ging nie lange gut“, weiß der ehemalige Bauabteilungsleiter Volker Pohl. Es folgten neun Jahre, in denen Leerstand und Gastronomie wechselten.

Alter Keller, neuer Name

Doch 1996 eroberten sich die Studierenden das Kellergewölbe zurück. Die Bauleitung der neu gegründeten Universität Potsdam kam dem Vorhaben gern entgegen, denn der Raum wurde sowieso nicht genutzt. Fair wurde über Miet- und Betriebskosten verhandelt und dabei stets auf die studentische Bezahlbarkeit geachtet, erzählt Volker Pohl. Mittels eines Überlassungsvertrages an den Allgemeinen Studierendenausschuss (AstA) konnte dieser, den Raum an die Studentenschaft weiter vermieten.

Am 3. November 1999 eröffnete der Studentenkeller wieder, mit neuem Namen und neuem Konzept: Nil e.V. Ein Verein mit knapp zehn Mitgliedern hatte sich gegründet, um den Studententreffpunkt wieder zum Leben zu erwecken. Doch entgegen aller Gerüchte verbirgt sich keine aufregende Anekdote hinter dem Namen „Nil“. Heutige Vereinsmitglieder munkeln, dass die damaligen drei Gründer_innen ihre Anfangsbuchstaben verewigt haben. Doch diese sind längst nicht mehr an der Universität, um diese Geschichte zu bestätigen, sodass der Name wohl weiterhin eine Legende bleibt.

Die Beliebtheit erkämpft

Doch aller Anfang ist schwer: Die Besucherzahlen blieben anfangs gering, denn das „Nil“ musste mit dem beliebten „T-Club“ am Studentenwohnheim in der Kaiser-Friedrich-Straße sowie mit dem Erasmus-Studentenklub „HimmeLEIn“ auf dem Campus Golm konkurrieren. Bis 2005 das „HimmeLEIn“ aufgrund von Brandschutzgefährdung abgerissen wurde. Viele Gäste wechselten nun die Location, und das „Nil“ wurde beliebter. Gleichzeitig kamen auch mehr ehrenamtliche Helfer_innen und mehr Veranstaltungen hinzu.

Heute gibt es an jedem Wochentag etwas zu erleben: Montags lockt das „Kellerkino“ mit gratis Popcorn und ausgefallenen Filmen, mittwochs werden Karten und Brettspiele aufgetischt und am Freitag gibt es wöchentlich wechselnd eine bunte Mischung aus „Metal-Keller“, Hip-Hop-Parties und Poesie auf der „Lesebühne“. Florian Rumprecht organisiert den „Nil TV“, bei dem an jedem ersten Dienstag des Monats mit kleinen Fernsehausschnitten die vergangen vier Wochen resümiert werden.

Raum für Vielfalt – ohne viel zu bezahlen

„Im Nil soll viel Freiheit zum Verwirklichen sein“, sagt Florian Rumprecht. Er ist mittlerweile seit fünf Jahren im Verein ehrenamtlich aktiv und mit ihm weitere 60 Studierende, auch Absolvent_innen. Sei es beim Cocktail mixen an der Bar, beim Organisieren einer neuen Veranstaltung oder beim Bestellen der nächsten Ladung Sternburger Bier – jeder kann der Tätigkeit nachkommen, die ihm gefällt. „Wir sind bunt, denn wir haben den Anspruch, dass für jeden etwas dabei ist. Diversität zeigt sich in unseren Veranstaltungen, Vereinsmitgliedern und Gästen“, sagt Rumprecht.

Aber auch kostengünstig soll es sein, denn „es gibt Studierende, die nicht viel Kohle in der Tasche haben und schon beim Mensaessen überlegen müssen“, erklärt der Ehrenamtliche. Im Nil wird nicht auf Gewinn gewirtschaftet, sondern nur die anfallenden Kosten gedeckt. Finanzielle Unterstützung für Umbauten wird beim AStA und beim Studierendenparlament (StuPa) beantragt. Gelegentlich gibt auch die Universität selbst eine Finanzspritze. „Auch die Unileitung freut sich über eine kulturelle Dimension am Neuen Palais“, berichtet Rumprecht. So kommt es, dass das Sternburger nur einen Euro kostet und auch der Eintritt zum Diskoabend nicht teurer als zwei Euro wird. Bei Mottoparties kommt man mit Verkleidung sogar ganz um den Eintrittspreis herum.

Der Donnerstag bleibt legendär

Apropos Disko: Der Donnerstag ist und bleibt der beliebteste Tag im Studentenkeller. Dort finden die  legendären „Länderabende“ statt. In Kooperation mit dem „Erasmus Student Network“ (ESN) steht der Abend mal unter italienischem, mal türkischem oder spanischem Motto. Neben landestypischer Musik gibt es dann auch selbst gemachte Pasta oder Tapas. Doch irgendwann werden dennoch die Evergreens von „La Macarena“ bis hin zu „Wannabe“ von den Spice Girls herausgeholt, und die Tanzfläche bebt.

Auch an der Bar ist dann Hochbetrieb. Kurz nach Mitternacht ist bereits der hauseigene Mexikaner getilgt. Jetzt wird auf Apfelstrudel (Kokos-Rum, Apfelsaft, Sahne und Zimt) umgestiegen. Barkeeper Merlin Wagner nimmt das gelassen und gibt jedem Schnapsglas eine Sahnehaube. Er übernimmt gern die Mitternachtsschicht, denn da kommen viele Leute an die Bar: trinken und plaudern. Einmal versuchte ihn sogar ein fremdes Mädchen über den Tresen zu küssen, erinnert sich der Ehrenamtliche. Auch sowas macht das Nil aus. „Niemand muss allein nach Hause gehen, wenn man will“, berichtet eine der Besucher_innen. Sie holt sich gerade ihr nächstes Sternburger Bier an der Bar, um gleich danach wieder auf die Tanzfläche zu stürmen und zwischen all den anderen wild tanzenden Studierenden ihre Hüfte zu schwingen.

Noch mehr Hintergrundinfos zur Geschichte des Nils findet ihr im Magazin „Portal alumni“ Heft 13/ 2016.

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