Nicht für die Uni, für’s Leben lernen

Es gibt sie noch, die Klischeestudierenden, bei denen die Anzahl der Semester den durchschnittlichen Kontostand übersteigt. Doch ein Gegenentwurf wird zunehmend beliebter: Gut organisierte Turbostudierende, die ihren Bachelor unterhalb der Regelstudienzeit abschließen und auf dem Weg Richtung Karriere alle anderen links liegen lassen. Wie viel Hektik braucht das Studium an der philosophischen Fakultät? Von Paul Dalg.

Wer in diesem Semester in einem der vielen Mentoringkurse für Erstsemester_innen gesessen hat, der dürfte vor allem eines gesehen haben: Stirnrunzeln. Schließlich ist der Start ins Bachelorstudium nicht einfach: Fachchinesisch mit unzähligen Abkürzungen und ein großer Haufen Pflichtkurse, die alle in ein Sudoku von Studien- und Modulordnungen einsortiert werden müssen. Sich in einem Reflex eng an den Beispielplänen, der Regelstudienzeit und der magischen 30LP-je-Semester-Richtlinie zu orientieren, liegt nahe, ist aber nicht unbedingt für jeden sinnvoll.
Denn gerade die, die nach den neuen Studienordnungen an der philosophischen Fakultät studieren, haben einen vergleichsweise freien Modulplan und verschenken zahlreiche Möglichkeiten, wenn sie sich krampfhaft an alle Empfehlungen klammern. Wer im letzten Jahr als Erstsemestler_in Geschichte streng nach Belegplan studierte, hat im schlimmsten Fall bereits frustriert das Handtuch geschmissen: Geringes Kursangebot in einigen Modulen zwangen die Studierenden zu katastrophalen Stundenplänen und der Belegung von drei Kursen mit über 100 Studierenden je Seminar.

Geisteswissenschaftler_in wird man nicht aus Kalkül, sondern aus Leidenschaft. Lässt man die Lehramtsstudierenden außer Acht, kann niemand behaupten, er oder sie studiere Philosophie, Religionswissenschaften oder klassische Philologie, weil damit die Hoffnung auf einen sicheren Arbeitsplatz verbunden wäre. Allen Überzeugungstäter_innen sei also hier nochmals in aller Deutlichkeit gesagt, was in den Einführungskursen oft nicht erwähnt wird: Studienverlaufspläne und Regelstudienzeit sind eine Empfehlung, keine Pflicht. Auch mit dem schrumpfenden Kursangebot und den Beschränkungen des Bachelors bleibt also vielen Studierenden so ein kleines Schlupfloch, um das Studium ein wenig zu entschleunigen: Etwa, mit einer bewussten Entscheidung für acht statt sechs Semester.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Weniger Leistungsdruck, weniger Prüfungsstress, weniger Kurse, die nur wegen der Leistungspunkte in den Stundenplan aufgenommen werden. Plötzlich gibt es auch die Möglichkeit, sich über mehrere Semester mit einem Thema zu beschäftigen oder einen Kurs rein aus Interesse zu besuchen. Das Studium wird erst durch die zusätzliche Zeit wieder auf den eigentlichen Kern der Geisteswissenschaften zurückgeführt, der durch den Bachelor schlichtweg wegrationalisiert wurde: Das Grübeln.

Wie in jedem vormodulierten und verschulten Bildungssystem führt auch das Bachelor/Mastersystem dazu, dass die Lernenden gerade genug Zeit gegeben wird, Wissen aufzunehmen und wiederzugeben. Kern aller Geisteswissenschaften ist aber nicht das Einschaufeln und Auskotzen, sondern Dinge wie Reflexion, Distanz, Abstraktion und kritische Auseinandersetzung. Ein Bachelorstudium in Regelstudienzeit reicht aber nicht für eine intensive Auseinandersetzung mit komplexen philosophischen, gesellschaftlichen, kulturellen oder historischen Problemen, sondern höchstens für das Wiederkäuen von ein paar Forschungsmeinungen.

Wer also mit einer wissenschaftlichen Laufbahn liebäugelt, kann durchaus von zusätzlichen Semestern profitieren. Dies gilt auch für Berufe in der freien Wirtschaft, denn egal ob Bibliothekar_in, Lektor_in oder Journalist_in – praktische Erfahrung und Schlüsselkompetenzen für das jeweilige Arbeitsgebiet stärken das Gesamtprofil der Bewerber_innen erheblich. Längst haben Personalchef_innen akzeptiert, dass zusätzliche Semester kein Zeichen für Faulheit sind (sofern man nicht faul war).
Und auch die Lehramtsstudierende vergessen einige Aspekte, wenn sie ihr Studium allzu straff abschließen. Wie sollen Lehrer und Lehrerinnen, die ohne Luftholen durch ihren Bachelor gehechelt sind, ihren Schüler_innen später mehr beibringen als wie man Wissen wiederkäut und ausspuckt? Welcher Lehrkörper kann Schüler_innen besser begeistern: Eine junge, fachlich und pädagogisch versierte Lehrkraft mit dem Karriereweg Schule – Uni – Schule oder jemand, der dazwischen ein paar Jahre mit Lebenserfahrung und Selbstbewusstsein gefüllt hat?

Leider gilt hier wie überall: Selbstverwirklichung muss man sich erst mal leisten können. Bei Studierende ohne reiche oder unterstützungswillige Eltern dauert das Studium meist ohnehin länger, sofern sie nicht gezwungen werden, ihr Studium ohne nachhaltigen Wissenserwerb abzuschließen. Für Bafög-Studierende kommt im siebten Semester schnell die kalte Dusche. Wer allerdings die Möglichkeit hat, der sollte sich im Zweifelsfall gegen den graden Lebensweg und für das längere Studium entscheiden.

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