Diesmal handelt der kleine MUsische KurzSchluss (MUKS) von etwas, das wir alle hin und wieder gerne mal verbergen: unser Innenleben. Dabei sind es nicht nur Hiobsbotschaften, die wir hinter unseren Vorhängen vermuten sollten. Eine kleine Ode an die Wahrheit und darauf, dass wir mehr zu bieten haben als es von außen scheint. Von Lisa Spöri.
Jedes Fenster ein Auge, denke ich. Im Vorbeifahren kann man nur einen flüchtigen Blick in sie hineinwerfen. Wie es wohl ist, hinter ihnen zu wohnen? Und schauen auch sie zurück, auf uns kleine Ameisen am Boden? All die Glasaugen in einer einzigen Stadt. Hinter jedem von ihnen steckt mindestens eine Welt, mindestens ein Schicksal und eine Geschichte. Aber eben wie menschliche Augen geben auch sie nur Bruchstücke dessen preis. Anonyme Fassaden, Bauch an Bauch, in Reih und Glied, die das wilde Innenleben verbergen.
Da steckt doch mehr dahinter!
Wäre es nicht gut, sich manchmal daran zu erinnern, dass das auch bei uns Menschen so ist? „Warum sind wir nie ehrlich zu einander?“ fragt mich meine Freundin Charlotte später. „Ich verstehe nicht, warum wir solche Angst davor haben, ehrlich zu sein. Warum kann man nicht einfach zugeben, dass man jemanden unglaublich toll findet, dass man gerade enttäuscht oder gekränkt ist?“ Ich denke an unzählige Schwärmereien nach flüchtigen Begegnungen, die sich im Sande verliefen, weil niemand die Initiative ergriff, aber auch an all die unausgesprochenen Flüche, die ich einigen Ex-Freunden am liebsten hinterhergeschmettert hätte.
„Hm, naja, das ist halt wie Schlüpper auszieh‘n, man offenbart sich eben ungern“, witzel ich, aber eigentlich finde ich sehr weise, was sie sagt und ihre Frage absolut berechtigt. Was könnten wir denn schon verlieren? Meine Würde, deine Würde? Ich glaube nicht. Ich glaube sowieso nicht. Ich meine, dass wir unser Leben manchmal leben, als handele es sich dabei um Aktienanteile. Wir spekulieren viel zu viel. Weil auch wir anonyme Fassaden in der Großstadt sind.
Auch hier im Café, in dem ich mit Charlotte sitze, spielt sich viel ab, von dem die Passanten da draußen auf den Bürgersteigen keine Ahnung haben. So wie sie sich vielleicht fragen, warum wir da drinnen so ernste Gesichter machen, wenn sie ihre Blicke im Vorbeigehen durch die Schaufenster werfen, blickt man doch häufig in die Augen anderer. Man erkennt Regungen, aber weiß eigentlich nicht, was gedacht wird oder, noch schlimmer, man fehlinterpretiert. Ich könnte ein paar unserer Gesprächsfetzen aus der Tür des Cafés rufen, um meine nachdenkliche Miene zu erklären und Missverständnisse zu vermeiden. Der ein oder andere würde vielleicht stehen bleiben und horchen und schließlich, dankbar für die Erklärung, lächeln und anerkennend nicken. Oder er würde verdutzt weiter gehen, weil es ihn nicht die Bohne interessiert.
Den Raum des Anderen respektieren
Vielleicht ist das unsere Angst: zu weit zu gehen. Einfach ehrlich sein, ist scheinbar nicht so simpel und überhaupt auch nicht immer erwünscht. Natürlich: Nicht jeder will unsere persönlichen Wahrheiten um die Ohren gehauen bekommen. Kann einen ja auch ganz schön in die Bredouille bringen oder sogar verletzen.
„Aber ist es nicht ok, dass man sich nicht alles erzählt?“ frage ich daraufhin. „Weil der Mensch doch zerbrechlich ist.“ „Angst zu verletzen, meinst du? Ich glaube, es ist meistens eher Bequemlichkeit, die uns dazu veranlasst, das, was uns wirklich durch den Kopf geht, zu verbergen“, sagt Charlotte. Das stimmt, manchmal ist es unbequem. Dabei kann es so aufregend sein, sich die Wahrheit zu sagen, wie eine Mutprobe. Das sollte man nicht meinen, wenn man bedenkt, wie viel wir täglich in den sozialen Netzwerken von uns preisgeben. Aber wahre Authentizität ist wahrscheinlich eben darum etwas so Besonderes.
Ehrlich sein, das neue Blankziehen
Es kann unsere Nerven kitzeln, uns überraschen und uns manchmal ein kleinwenig vom Mikrokosmus unseres Gegenübers offenbaren. Ja, vielleicht ist es tatsächlich wie „Schlüpper ausziehen“! Man sollte es vielleicht nicht überall tun, aber hin und wieder ist es hilfreich und unter Umständen eben aufregend.
Charlotte blickt mich nachdenklich an. Ich glaube, sie hat blaue Augen, schöne Augen, aber ich mag sie nicht deswegen, sondern wegen dem, was sie sagt und wie sie ist. Ich wäre ihr bitterböse, wenn sie mit alldem hinterm Berg bliebe. Aber dennoch: Es ist eine Auswahl, eine Selektion von Gedanken, die sie mir mitteilt und ich glaube, das ist auch gut so. Nur sollten wir uns dieser Selektion bewusst sein. Unser Gegenüber versteht nur so viel, wie wir von uns preisgeben. Vielleicht sollten wir wirklich ein bisschen mutiger sein, was die Ehrlichkeit angeht. Auch wenn wir so tun, als wären wir unbewegte Fassaden: Am Ende sind wir eben doch keine bloßen Betonklötze, sondern Menschen aus Fleisch und Blut.
Der Unterschied ist doch, dass ich, hypothetisch zumindest, in jedes dieser Häuser hineingehen könnte, aber in das Innere eines anderen Menschen eben nicht. Niemand hat Zugang zu unseren stillen Kammern und Hinterzimmern, zu unseren dunklen Nischen oder Abgründen. Das macht die Ehrlichkeit so spannend – und eben unentbehrlich.
Der erste Teil des MUsischen KurzSchluss‘ befasste sich mit Musenküssen und Fantasieausflügen während des Schreibens einer Hausarbeit. Seid gespannt, womit sich der nächste MUKS-Teil befasst.