Der kleine MUKS – Teil 1: Von der Muse geküsst

Der kleine MUsische KurzSchluss aus der Feder eines bescheidenen Studentenlebens. Diesmal: Pünktlich zum Semesterende und der längst fälligen Hausarbeit geht mal wieder die Konzentration flöten und die Phantasie mit einem durch. Von Musenküssen, Schweinehunden und Geistern. Eine neue Kolumne von Lisa Spöri.

Hegel. der dicke Wälzer, liegt alibimäßig vor mir in der Bibliothek – die Nerd-Brille mit Fensterglas quasi – ich muss das lesen, jetzt! Aber die Lektüre bleibt unberührt. Meine Konzentration glänzt mal wieder durch ihre Abwesenheit. „Tut mir leid, Georg Wilhelm Friedrich. Tut – mir – leid!“ Ich höre ihn seufzen und wie er mit hängenden Schultern durch die Regalreihen der Bibliothek schlurft. Jetzt gibt’s Ärger. Dann setzt er sich neben mich auf den Tisch, schlägt die Beine übereinander und schüttelt enttäuscht den Kopf, während er die Hände ineinander faltet. „Ey, sorry, aber…“ denke ich. Es hilft ja alles nichts. „Ich weiß, ich bin faul!“ Er zieht die Brauen hoch. „Ok, ok…“

So geht das immer vonstatten, wenn ich eine Hausarbeit schreibe. Kaum wird es ernst, geht meine Konzentration stiften und die Phantasie mit mir durch. Und bald werde ich von den Geistern sämtlicher Urheber verfolgt. Ihre Phantome tauchen aus dem Nichts heraus auf. Das sind meine zu Phantasmen gewordenen Gewissensbisse. Sie stehen plötzlich im Supermarkt an der Kasse, fahren U-Bahn mit mir oder sitzen auf meinem Fahrradlenker, wenn ich vor der Bibliothek fliehe. Sie verfolgen und terrorisieren mich mit ihren Blicken. Und schließlich habe ich mich so an ihre Gegenwart gewöhnt, dass ich sogar versucht bin, ihnen einen Platz im Hörsaal freizuhalten. Diesmal ist es G. W. F. Hegel, der mir nicht von der Pelle rückt.

Ich frage bei meinen Kommiliton_innen nach, was sie in solchen Situationen machen. Keiner weiß es so recht. Zumindest manifestiert sich ihr schlechtes Gewissen nicht in Form von Phantasmen. Als ich ihnen von meinen übersinnlichen Verfolgern berichte, werde ich belächelt und man verbucht das unter Ulk. „Aber die sind doch nicht wirklich da! … oder?“ Ich wusste das kann gefährlich werden, wenn ich jemandem davon erzähle. „Nein, natürlich nicht, aber ich stelle mir immer vor, wie enttäuscht sie wären, wenn sie wüssten, all die großen Denker!“ Man kichert, aber es stimmt. Ich will gar nicht wissen, wie viel Kopfschütteln und Rotationen im Grabe meine bescheidene Existenz schon verursacht hat. Verzeihung!

Ich glaube meine Muse spinnt

Immer dasselbe. Das Warten auf den Musenkuss, welcher erst den tiefen Wissensdurst wecke. Und endlich, endlich, Licht da oben mache! Scheinbar küsst mich für meinen Teil allerdings eher die Unsinns-Muse. Eine etwas übergeschnappte Muse, die mich mehr dazu inspiriert, Phantasie und inneren Schweinehund ausbrechen zu lassen und so richtig schön am Rad zu drehen.

„Also, was soll ich tun, Monsieur?“, frage ich herausfordernd, als ich nach Hause komme und Hegel bereits gedankenverloren auf der obersten Treppenstufe vor meiner Wohnungstür vorfinde. Ich weiß selbst nicht, ob das eine rhetorische Frage war. Er sieht mich ernst und durchdringend an. „Oh man, wie werd‘ ich den nur wieder los?“ Andere Phantome waren aufsässiger oder wenigstens ungeduldig mit mir, aber Hegel ist ein harter Brocken. Sein hartnäckiges Schweigen bricht mir irgendwie das Herz.

Aber etwas an ihm sagt mir auch: Geduld! Okay, dann versuche ich es mal damit und bin eben geduldig mit mir. Das endet damit, dass ich eine ganze Weile aus dem Fenster starre. Wunderbar. Es fehlt nur noch, dass…oh nein…zu spät. Es folgt die Phase der unsäglichen Ohrwürmer und die Auswahl ist satt. „Cocktailständer“ von Jeans Team, „Last Christmas„: Da tun sich Abgründe auf. Die Palette ist unendlich! Ich bin keine „Cherry Cherry Lady“ und will auch nicht „Atemlos durch die Nacht“ mit meiner Lektüre! Verdammt. Das musste ja kommen!

Legt den Schweinehund in Ketten

Es reicht! Zurück zum Thema und Sing-Verbot für das ganze Gehirn! Ich werde ausharren, bis mein innerer Schweinehund winselnd in Ketten liegt. Ich beschließe, meinem Hegel-Phantom einfach alles zu erzählen, was ich in meiner Erbse finde. Der guckt schon ganz böse. In Gedanken gehe ich meine Fragestellung und meine bisherigen Antworten durch. Und allmählich erbarmt sich tatsächlich meine Konzentration wieder. An jeder Stelle, an der ich merke, dass mein Wissen noch etwas schwammig ist, stelle ich mir vor, wie Hegel den Zeigefinger hebt oder die Brauen hochzieht. „Ok, ok, hier also noch mal…“ Natürlich ist das so ungefähr das Albernste, was man tun kann, aber es hilft. Wham! und das Jeans Team machen den Abflug.

Diese Phantasmen sind also nicht nur meine Gewissensbisse, sondern auch meine eigens heraufbeschworenen Gouvernanten, die mich kontrollieren. Die Lösung: eine Zwiesprache mit meinen Geistern über ihre Werke, als befänden wir uns in einem Dialog. Bombe! Rationale Probleme mit Hilfe der Phantasie lösen. Der Hegel in mir hebt zwar mahnend den Zeigefinger („Ich weiß, ich weiß, das würdest du so nicht unterschreiben…“), aber das stört mich nicht. Es geht also doch! Allmählich kehrt wieder Normalität in meinem Oberstübchen ein und Hegels Phantom hopst beschwingt von dannen.

Vielleicht muss mein Gehirn sich bei all der Paukerei einfach hin und wieder ein bisschen daneben benehmen dürfen, bevor es wieder Herr meiner Schweinehunde werden kann. Meine Bilanz jedenfalls ist: Geduld! Es gibt noch Hoffnung. Denn auch unsinnige Musenküsse müssen manchmal sein.

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