Nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ ist die Frage nach Pressefreiheit in aller Munde. Wo liegen ihre Grenzen? Was darf publiziert werden? Unsere Redakteurin Natalia ist während des Auslandssemesters in Paris nah am Geschehen und berichtet von ihren Eindrücken und der Diskussion, die sich für sie – und irgendwie für uns alle – daraus ergeben hat. Kommentar von Natalia Oglanova.
In meiner französischen Mensa gerieten eine Freundin und ich kürzlich in eine rege Diskussion über Pressefreiheit. Der Anlass dafür dürfte allen klar sein, die die Nachrichten des Vortages verfolgt hatten: Das bewaffnete Attentat auf Mitarbeiter_innen des französischen Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ ließ viele in Schock und Empörung zurück. Ein französisches Onlineblatt bezeichnet es als „das größte Attentat in Frankreich seit Ende des algerischen Kriegs“ und Journalist_innen der deutschen „Zeit“ fragen sich, ob sie in ihrem Redaktionsbüro aus Glas in einem Erdgeschoss des Berliner Regierungsviertels überhaupt noch sicher seien.
Die Ausgaben vieler Zeitungen erschienen am Donnerstag nach dem Anschlag nicht nur hier in Paris ganz in schwarz. An jenem Donnerstag stolperte ich mitten in eine Schweigeminute, die für die Opfer des Attentats auf dem Campus abgehalten wurde. Der Hashtag #jesuischarlie ziert etliche Posts. Und nun, während die erste Fassungslosigkeit noch andauert, sitzen meine Freundin und ich in der Mensa und diskutieren.
Für sie, die in Prag eine britische Privatschule besucht hatte, sind Pressefreiheit und political correctness untrennbar miteinander verbunden. Und auch für uns als kritische Zeitschrift erscheint die Frage relevant: Darf alles gesagt und veröffentlicht werden? Bis einer weint? Bis sogar Menschen sterben? Meine tschechische Freundin hat vorgeschlagen, den Begriff political correctness einmal probeweise durch Empathie zu ersetzen. Die Frage ist somit nicht, was mensch überhaupt noch sagen darf, sondern simpel – was das mit einer oder einem macht. Doch wie viel Empathie können wir mit Terrorist_innen überhaupt haben? Vielleicht sind Karikaturen für die Angegriffenen manchmal wirklich mehr als Karikaturen. Vielleicht empfinden sie diese teilweise als Spitze des Eisbergs in einer Gesellschaft, in der sie sich prinzipiell belächelt fühlen.
Doch wirkliche Muslim_innen sind nie Terrorist_innen. Und keine Verletzung der Welt rechtfertigt einen Mord. „Charlie Hebdo“ ist ein Satiremagazin, ähnlich der deutschen „Titanic“. Während manche diskutieren, ob Karikaturen, die religiösen Fanatismus durch den Kakao ziehen, im Kommentarteil einer seriösen Tageszeitung gedruckt werden sollten, dürfte sich die Frage besonders bei einem ausgewiesenen Satiremagazin gar nicht erst stellen.
Natürlich erfordert Pressefreiheit auch Respekt vor anderen Weltanschauungen. Aber kann die empathische Alternative wirklich nur darin bestehen, mögliche Provokationen um jeden Preis vermeiden zu wollen? Wir als Schreibende könnten natürlich versuchen, heikle Themen so gut es geht zu umgehen. Aber Kritik muss scharf genug sein dürfen, um in der Überspitzung zu zeigen, was sonst unklar bliebe – um somit vielleicht positive Veränderungen zu bewirken. Vor allem darf darf sie nicht einfach nur zum Selbstzweck geraten.
So wie „Charlie Hebdo“ durch Humor und Satire Kritik übt, so versuchen es auch wir als speakUP in unserem kleinen Rahmen – ob in Fragen der Stadt- und Landespolitik oder direkt hier an der Hochschule. Und diese Möglichkeit sollten wir um jeden Preis schützen. Sonst bleibt ja alles beim Alten.
Auch wenn es frustrierend ist: „Je suis Charlie“ ist vielleicht wirklich das Einzige, was noch zu sagen bleibt.