22. Juni 2017, Hochzeit des Sommersemesters und die Universität Potsdam feiert: 30 Jahre Erasmus+ eingebunden in die Absolventenverabschiedung und das alljährliche Campus Festival. Statt Geburtstagssahnestorte gab es am Campus Neues Palais einen Info-Basar, eine Podiumsdiskussion und viele bunte Luftballons. Von Maria Dietel.
Das Erasmus+ Programm für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport ist eine Erfolgsgeschichte: Schon seit 1987 ermöglicht das Hochschulprogramm der Europäischen Union die grenzüberschreitende Mobilität von Studis, Hochschuldozent_innen und Hochschulpersonal in die 28 EU-Länder. Aber auch Island, Liechtenstein, Norwegen und die Türkei nehmen am Erasmus-Programm teil. Erasmus+ bietet nicht nur die Möglichkeit, für ein oder zwei Semester an einer Gasthochschule zu studieren, sondern unterstützt auch Praktika im Ausland – beide Varianten werden über das Erasmus-Stipendium der Europäischen Union mitfinanziert.
Bis 2020 werden mit Erasmus+ vier Millionen Menschen aus den Bereichen Hochschule und Schule, Berufs- und Erwachsenenbildung, Jugendarbeit und Sport Auslandserfahrungen sammeln, so die offizielle Seite von Erasmus+. Bisher haben 9 Millionen Menschen am Erasmus-Programm teilgenommen und interkulturelle Kompetenzen, verbesserte Sprachkompetenzen und viele Auslandserfahrungen wieder mit in das Heimatland gebracht.
Die Uni Potsdam feiert
Mit umfangreichen Informationen rund um Erasmus+ konnten sich alle Interessierten von 10 bis 14 Uhr bei dem Info-Basar in den Foyerräumen unter dem Audimax versorgen: Ob nach Polen, Italien oder Tschechien, ob ein Hochschulaufenthalt oder doch lieber Praxiserfahrungen über ein Auslandspraktikum. Angenehm gestaltete Infostände mit freundlichen Menschen waren für Eure Fragen gewappnet und hatten viele Informationsflyer, Broschüren, Schlüsselanhänger und Stifte für Euch im Gepäck.
„Wer sich bewegt, bewegt Europa!“
Ein Höhepunkt der Geburtstagsparty war die hochkarätige Podiumsdiskussion zum Thema „Post-Europe – Wie Europa sich seiner Freiheit beraubt“. Zum Gespräch geladen waren Dr. Hilal Alkan, die 2017 erstmalig den „Voltaire-Preis für Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz“ von der Friede Springer Stiftung erhalten wird. Dr. Alkan ist eine türkische Wissenschaftlerin, die sich insbesondere für die Freiheit von Forschung und Lehre, aber auch für die freie Meinungsäußerung einsetzt. Zweiter Podiumsgast war Frau Dr. Dorothea Rüland, die Generalsekretärin des DAAD, die gemeinsam mit unserem Universitätspräsidenten Prof. Oliver Günther und Dr. Alkan über Werte der Freiheit diskutierte.
Eröffnet wurde das Panel durch Prof. Dr. Schweigert, der alle Teilnehmenden zu dem Geburtstagsfest begrüßte und einen besonderen Dank an alle Beteiligten, insbesondere an die Verwaltung der Uni Potsdam und an die Mitarbeiter_innen des International Office, aussprach. Die Erasmus-Erfahrung würde nicht nur interkulturelle Kompetenzen schulen, sondern den gesamten Menschen formen. Erasmus sei eine „Einstiegsdroge“, da viele Studierende später immer wieder Auslandserfahrungen suchen würden. Die Uni Potsdam begleitete bisher 4000 Studierende mit Erasmus in das Ausland und würde zudem den zweiten Platz im Austausch des Personals einnehmen, worauf die Uni Potsdam sehr stolz sein könne.
„Der offene Dialog ist sehr wichtig“
Präsident Oliver Günther startete das Panel mit Ausführungen zum Umgang mit Ländern wie der Türkei und dem Iran, die die Werte der Freiheit der Forschung und Lehre nicht in einer offenen Form mittragen würden. Günther führte aus, dass es wichtig sei, die Kommunikationskanäle offen zu halten, um an einer Verbesserung der Verhältnisse zueinander zu arbeiten. Gleichzeitig dürfte das Überschreiten „roter Linien“ nicht akzeptiert werden. Besonders die Werte, mit denen wir aufgewachsen sind und auf denen sich auch unsere Universität gründet, also die Freiheit der Lehre und Forschung sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung, würden immer häufiger in Frage gestellt, wie in der Türkei oder in China. Positiv sei die Formierung von Bewegungen, um für die eigenen Werte und Rechte einzustehen – dies sei auch Aufgabe der Universitäten. Gleichsam solle und müsse man mit Verschiedenheit und Unterschiedlichkeiten in der Europäischen Union umgehen können und diese auch akzeptieren.
„Inequality is exploding“
Dr. Alkan nahm die Ausführungen von Prof. Günther auf und fragte, wie es möglich sei, unsere Werte zu verteidigen. Auch das Erasmus-Programm und die damit verbunden Wertevorstellungen müssten im Zuge der „Flüchtlingskrise“ hinterfragt werden. Wie könne es sein, dass das Erasmus-Programm für offene Grenzen stünde und grenzüberschreitende Mobilität und der damit verbundene Austausch auf der einen Seite gefeiert werden, gleichzeitig die Flüchtlingskrise, die auch Mobilität und Austausch bringe, so negativ bedacht würde?
Hier würde eine Unterscheidung zwischen den Menschen gemacht, denen es erlaubt sei, grenzüberschreitend Erfahrungen zu sammeln. Insbesondere die Unterscheidung von „verschiedenen Menschen“ aus „verschiedenen Herkunftsländern“ gehe einher mit dem Auseinanderdriften der Werte. Dies zeige sich in den aufgekommenen nationalen Bewegungen in den Niederlanden, Großbritannien, den USA, der Türkei, aber auch in Deutschland. Besonders die wachsende Schere zwischen Arm und Reich würde die Wertevorstellungen noch weiter auseinanderbringen.
„Democracy is a process“
Frau Dr. Rüland begrüßte, dass viele anwesende Studierende das Erasmus-Programm nutzen: „Because it is your future and you will come back as a different person. Everyone will be much more open-minded.“ Sie merkte an, dass die Demokratie in einer bestimmten Art und Weise in einer Krise stecken würde. Auf der anderen Seite sei Demokratie ein Prozess „we need to fight for“. Sie betonte die Erfolgsgeschichte der Europäischen Union als längste Periode des Friedens und der Freiheit auf dem europäischen Kontinent und lobte Bewegungen wie den „Scientific March“ sowie „Pulse of Europe“. Diese würden als starke akademische Gesellschaft sowie als starke Zivilgesellschaft für die Demokratie und unser Werteverständnis eintreten.
„Was ist zu tun?“
An dem Demokratie- und Werteverständnis müsse etwas mit Perspektive getan werden. Für Deutschland wurde insbesondere die Ungleichheit als Ursache für divergierende Werteeinstellungen hervorgehoben, was nach Prof. Günther über eine gerechtere Steuerverteilung korrigiert werden könne. Dr. Alkan führt hier auch die Möglichkeit der Besteuerung der Reichsten an, um Armut und Ungleichheit entgegenzuwirken. Für Rüland ist der Schlüssel die Bildung, welche aus Ihrer Sicht weltweit als Paradigma gilt. „Bildung ist der einzige Weg, um das Leben zu ändern.“ Bildung dürfe nicht als gegeben angesehen werden, sondern als ein wichtiger Wert.
Rüland sieht neben der Ungleichheit die Angst als großes Problem. Viele Menschen würden Veränderungsprozesse wie die Globalisierung nicht verstehen und fühlten sich damit alleingelassen. Diese Ängste sollten ernst genommen werden und die Aufgabe der Wissenschaft sei es, hier aktiv den Dialog zur Öffentlichkeit zu suchen. Dr. Alkan schloss sich dem Punkt der Wichtigkeit der Bildung an und betonte, dass der „Glaube an Absurditäten“ auch mit Auslandsaufenthalten aufgebrochen werden könnte.
„Ausbruch aus der akademischen Blase“
Besonders das Auseinanderdriften von Fakten und Meinungen sei problematisch, so Rüland. Es sei ein besonders wichtiges Feld, diese Lücke zu schließen und hier spiele die Wissenschaft eine übergeordnete Rolle. Akademische Diskurse und Fakten müssten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden und zwar dort, wo die Menschen sind – in und über die Sozialen Medien. Zudem sollte sich jeder Studierende auch die Frage stellen, was man selbst tun könne, um Wissen zu teilen. Insbesondere das Bild junger Europäer_innen in Großbritannien sei ein trauriges Beispiel, da diese überwiegend in der Europäischen Union verbleiben wollten. „Warum sind diese Menschen dann nicht wählen gegangen?“ Junge Menschen müssen aktiv partizipieren, wählen gehen, ihre Meinung vertreten und ihr Wissen teilen, so Rüland.
Der Brexit, aber auch Trump als Präsident seien ein „wake up call“ für die akademische Welt gewesen, so Günther. Die akademische Community sei in der Pflicht, als Korrektiv zu wirken und gegen Missverständnisse aufzustehen. Frau Dr. Rüland erinnerte zuletzt daran, dass das Erasmus-Programm auch aus einer Krise in den 70er Jahren entstanden sei. Insbesondere die jetzige Erasmus-Generation, aber auch die Generation nach 2020 mache Hoffnung, Wissen in die Gesellschaft zu tragen und für eine offene und tolerante Gesellschaft einzustehen.
„Party auf dem Campus Festival“
„Geburtstagskuchen“ gab es dann doch noch auf dem jährlich stattfindenden Campus Festival. Ursprünglich geplant war mit dem Café Europe ein Austausch zwischen Incomings, Outgoings und Alumnis. Darüber hinaus wollte der Hochschulsport mit mehreren Workshops und Ständen zu sportlichen Aktivitäten anregen, wie beispielsweise mit dem Fußballteam „Erasmus“. Aufgrund des schlechten Wetters musste sowohl die Geburtstagsfeier wie auch das Campus Festival nachmittags abgesagt werden. Zum Abendprogramm ab 19 Uhr haben sich dann aber viele Studis auf den Weg zum Festival gemacht und Akrobatik, Poetry Slam, Live Band und Party genossen.