„Eigentlich ist es ein Wunder“: Bundeskanzlerin Merkel erhält Abraham-Geiger-Preis

Angela Merkel wurde am 02. Dezember 2015 mit dem Abraham-Geiger-Preis für ihre Verdienste um das Judentum und ihrer Solidarität zur jüdischen Gemeinschaft ausgezeichnet. In ihrer Dankesrede fand sie klare, Mut machende Worte für eine pluralistische und demokratische Gesellschaft und gegen Fremdenhass und Antisemitismus. Von Angelina Schüler.

Der Glashof des Jüdischen Museums Berlin war der perfekte Rahmen für diese Veranstaltung. Schlicht und zurückhaltend dekoriert, in angenehmes Licht getaucht und ohne den Prunk, der einem Staatsakt oftmals anhaftet. Obwohl die Verleihung streng nach Protokoll verlief und der offizielle Teil bereits nach einer Stunde beendet war, gewann man nicht den Eindruck, hier handelte sich es um einen weiteren Termin im Kalender der Bundeskanzlerin. Bereits bei der Begrüßung durch den Direktor des Jüdischen Museums Berlin, Prof. Dr. Peter Schäfer, klang das Thema des Abends an: der Wunsch nach friedlichem Zusammenleben von Kulturen und Religionen in Deutschland, Europa und darüber hinaus. Wie fragil und bedroht dieses Zusammenleben ist, zeigen nicht zuletzt die jüngsten Ereignisse in den Kriegsgebieten im Nahen Osten, in Paris und in der Türkei. „Eigentlich ist es ein Wunder“, sagte die Bundeskanzlerin, „dass Juden heute in Deutschland wieder eine Heimat gefunden haben, dass sie in diesem Land eine Zukunft sehen – das ist und bleibt alles andere als selbstverständlich.“

Festredner Prof. Dr. José Casanova griff die Frage nach religiösem Pluralismus in einer postnationalen Demokratie auf und zeigte in seiner Analyse, dass ebendieses Vorhaben – sei es noch so scharf von Fundamentalisten und Terroristen bekämpft – lohnens- und erstrebenswert ist. Gekonnt verknüpfte er die jüngste europäische Geschichte mit dem Westfälischen Frieden, der 1648 zwar die Religionskriege beendete, doch auch keine vollständige und problemlose Lösung für religiösem Pluralismus darstellte. Und auch in seinen Schlussworten drückte er den Wunsch nach einem friedlichen Miteinander aus: „Hoffen und beten wir, dass die drei Glaubensgemeinschaften der Christen, Juden und Muslime lernen werden, eng zusammenzuarbeiten, um ein gemeinsames solidarisches europäisches Haus zu bauen, eines, das als Modell für den Rest der Welt dienen könnte.“ Das Abraham-Geiger-Kolleg, Stifter des Preises, bestehend seit 1999 und erstes Ausbildungsseminar für Rabbiner_innen und Kantor_innen in Kontinentaleuropa nach der Schoa, möchte mit der Verleihung des Preises einen Teil zu diesem Haus beitragen

Das Preisgeld spendet die Bundeskanzlerin

In diesem Sinne möchte die Bundeskanzlerin ihr Engagement für die verschiedenen religiösen Vereinigungen und Einrichtungen fortsetzen. Daher spendete sie das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro dem Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES) für dessen Programm „Dialogperspektiven“, bei dem Stipendiat_innen verschiedenster religiöser und weltanschaulicher Identitäten in Dialog treten. Stipendiat_innen des ELES bedankten sich ganz persönlich für die Verbundenheit der Bundeskanzlerin und zeigten auf ihre Weise, dass das Leben als Juden in Deutschland doch irgendwie eine Selbstverständlichkeit geworden ist. „Ein Leben in Deutschland ist für mich als Jüdin immer wieder eine Entscheidung.“, meinte die Stipendiatin Olga Osadtschy und sieht die jüdische Gemeinschaft als engagierte Bürger_innen mit der Aufgabe, die Zukunft der Bundesrepublik mitzugestalten.

Eine Aufgabe und Pflicht zugleich, denn Merkel kommt auch in ihrer Rede nicht um das allgegenwärtige Thema Flüchtlinge herum. Besonders in Bezug auf die erst wenige Tage alte Erklärung des Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland und die darin geäußerte Sorge um antisemitische Haltung innerhalb der Flüchtlingsgruppen findet die Bundeskanzlerin klare Worte: „Wir brauchen wahrlich nicht immer einig darin sein, welche konkreten Maßnahmen wir für unser Handeln auch in der aktuellen Flüchtlingsfrage als notwendig und richtig erachten und welche nicht. Aber ich werde es immer ernst nehmen, wenn Sie Ihre Sorgen von Antisemitismus zum Ausdruck bringen – auch die, die Sie in diesen Wochen mit Blick auf die vielen Menschen aus Ländern äußern, in denen Antisemitismus und Hass auf Israel Teil des öffentlichen Lebens sind und von Kindesbeinen an vermittelt werden.“ Merkel spricht von einer Bewährungsprobe und wirft Fragen rund um Integration und Bleibeperspektive auf, die sich viele Menschen zurzeit stellen.

Gleichfalls hob sie die Arbeit der Ehren- und Hauptamtlichen heraus, die sich trotz Widrigkeiten, Pöbeleien und Angriffen in ihrem Engagement nicht beirren lassen. Die Bundeskanzlerin dankte in diesem Zuge auch der jüdischen Gemeinschaft für ihre Unterstützung. „Ich weiß, dass Sie die Größe der Herausforderung besonders gut ermessen können, denn Sie haben in den vergangenen 25 Jahren viele Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion aufgenommen und integriert.“, so Merkel. Juden sind Teil der deutschen Bevölkerung, dies zeigte die Veranstaltung deutlich.  Mehr denn je prägen dieser Tage nicht nur Weihnachtsbäume und Adventskerzen, sondern auch Chanukkiot und koschere Lebensmittel das Aussehen deutscher Städte. Die Bundeskanzlerin sieht darin einen wichtigen Schritt zu einer pluralistischen und weltoffenen Gesellschaft und betont gleichzeitig, dass der Preis „Ansporn und Verpflichtung zugleich“ bedeute. Vielleicht ist es noch ein Wunder für diese Generation, aber spätestens die folgende wird – hoffentlich – mit den Worten des ELES-Stipendiaten Arthur Bondarev übereinkommen: „Wir sind angekommen. Hier sehen wir unsere Zukunft.“

Wir gratulieren der Bundeskanzlerin für die Verleihung des Abraham-Geiger-Preises. 

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