Wo kommst du eigentlich her? – „Drittis“ erzählen

Die ersten Tage an der Uni sind voller neuer Eindrücke und Rätsel: Wer sind all die vielen Leuten um mich herum und was wollen sie von mir? Warum kostet die Mayonnaise für Jurist_innen mehr als für Geisteswissenschaftler_innen? Und welche_r Anfänger_in hat bloß dieses „PULS“ programmiert? So ähnlich ging es auch Tilmann aus Potsdam und Francesca aus Berlin, als sie selbst noch „Erstis“ waren. Ein weiterer Teil unserer Reihe „Wo kommst du eigentlich her?“ – diesmal mit „Drittis“, die nach einem Jahr an der Uni Potsdam zurückblicken – und nach vorn schauen. Von Denis Newiak.

Beginnt ein neuer Lebensabschnitt, stellen sich grundlegende Fragen zur per- sönlichen Zukunft: Studieren oder lieber Ausbildung? Was „Künstlerisches“ oder was „Handfestes“? Gleich ranklotzen oder erstmal rumreisen? Solche Fragen hat sich Francesca gestellt, bevor sie sich an der Uni Potsdam eingeschrieben hat. Eigent- lich wollte sie in den Bereich Medien gehen, doch der NC von 1,2 für den Studien- gang „Europäische Medienwissenschaft“ schreckte ab; von 1.400 Bewerber_innen wurden nur knapp 40 genommen.

 

Also startete sie mit Jura – und fand sich am ersten Tag in einem Saal mit 600 fremden Leuten wieder. „Da fühlt man sich erstmal verloren“, erinnert sich die gebürtige Berlinerin. Erst hielt sie sich an einer einstigen Mitschülerin fest, dann beschloss sie aber, dass sie neue Leute kennen lernen muss. Genau wie die Massen von Unbekannten überforderte sie am Anfang auch die Masse von Formalitäten: Welche Kurse wähle ich, was ist wichtig, wohin muss ich gehen? „Erklären kann dir das niemand, da musst du selbst durch. Durchfragen, Durchsuchen, Durchklicken.“

Wer einen neuen Lebensabschnitt beginnt, hat große Erwartungen. Nicht immer werden diese gleich erfüllt. „Ich wusste, dass ich damit nicht glücklich werde“, meint Francesca im Rückblick auf ihr Jurastudium. Nach zwei Semestern gab sie nach und wechselte zur Medienwissenschaft. Auch hier sah es erst anders aus, als erwartet: „Okay, das ist jetzt nicht ganz das, was ich mir vorgestellt habe“, dachte sich die 22jährige, als die philosophisch angehauchten Vorlesungen Überhand zu nehmen schienen. Doch sie ließ es einfach auf sich zukommen – und fand Gefallen an ihrem Fach.

Das Studium ist eine Investition in die eigene Zukunft, schließlich haben Hochschulabsolvent_innen statistisch gesehen eine bessere Aussicht auf Arbeit. Doch Investitionen kosten Geld. Francesca wohnt noch bei ihren Eltern, doch abgesehen von der Miete muss sie für die meisten Kosten selbst aufkommen. Sie ist als Model bei einer Agentur gemeldet. Zuletzt stand sie für zwei große Markentextilien- Onlinehändler vor der Kamera. Weil Internetshops ein großes Sortiment haben, muss viel abfotografiert werden: Täglich zieht sie gute 200 Jeans und Röcke an, posiert in ihnen und schlüpft in das nächste Teil – „Massenproduktion“, harte Arbeit für einen unkalkulierbaren Verdienst. „Im Sommer haben die meisten Agenturen Pause, dann habe ich nur wenige Aufträge. Also muss ich mit dem Geld gut haushalten.“ Vollzeit studieren und nebenbei noch arbeiten kostet Kraft, doch es geht nicht anders. „Einfach mal Mensch zu sein war anfangs schwierig. Als ich noch im Laden gearbeitet habe, lebte ich nur für Job und Uni.“ Nach zwei Semestern sind viele Pflichtveranstaltungen erledigt und Francesca kann sich ihre Zeit freier einteilen: „Die Idee, an der Universität selbst über seine Zeit entscheiden zu können, gefällt mir sehr. Schade, dass dieses Ideal heutzutage nicht mehr viel wert ist.“ – Seit der Bologna- Reform wuchern Punktejagd, unflexible Stundenpläne und Leistungsdruck. Doch die Chance, sich lange und intensiv mit einem komplexen Thema zu beschäftigen, ein_e Expert_in zu werden, bekommen junge Leute nur im Studium.

Ein neuer Lebensabschnitt bedeutet für viele ein neues Zuhause, manchmal eine neue Wahlheimat. Doch Francesca blieb Berlin treu. „Ich bin nicht der größte Fan von Berlin. Es gibt viel schönere Städte. Aber wenn ich hierher komme, fühle ich mich zu Hause. Ich rufe eine Freundin an – und zehn Minuten später treffen wir uns zum Kaffee. In Potsdam würde ich mich schon sehr einsam fühlen.“ Mit dem Regionalexpress vom Zoo zum Neuen Palais braucht sie 25 Minuten, ein Katzensprung.

Auch Tilmann, der in Kürze seinen zwanzigsten Geburtstag feiert, ist in seinem Geburtsort geblieben. Als Potsdamer fiel ihm das nicht schwer. Nach einem Jahr als Geografie-Lehramtsstudent möchte er Musik als Hauptfach an der Universität der Künste in Berlin (UdK) studieren, aber in Potsdam Geografie weiter machen. Die letzten Monate war er vor allem damit beschäftigt, dafür zu kämpfen, dass er an beiden Unis weiter Mitglied sein kann. Schließlich hat es geklappt.

Ein Jahr ist es nun her, dass Tilmann sein Studium an der Uni Potsdam begonnen hat. Bereuen tut er es nicht, „trotz mancher negativen Aspekte überwiegen klar die Vorteile“. Gerade als Lehramtsstudi lerne man schnell viele neue interessante Leute kennen. Auf wen geht man da als erstes zu? „Meist beschränken sich die Gespräche dann später nur auf Smalltalk. Das ist schade“. Auch sei die Uni viel bürokratischer organisiert als eine Schule. Und: Die Unterrichtsdisziplin sei traurig: „Es kommen immer Leute zu spät oder gehen zu früh. Das färbt ab.“ Die Profs rattern ihr Skript oft nur runter, dabei sind diese doch sowieso wörtlich im Netz nachlesbar. „Macht das Format Vorlesung dann überhaupt noch Sinn?“

Kaum war er Student, beschloss Tilmann, sich um das Referat für Verkehrs- politik im Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA), der „Regierung“ der Studierendenschaft, zu bewerben. Eine Email von Mitgliedern des Studierendenparlaments (StuPa) hatte ihn angesprochen. Kurz vor der Wahl durch das StuPa bekam er es mit der Angst zu tun: Er müsse mit 20 bis 40 Stunden Aufwand pro Woche rechnen, sagten ihm einige „alte Hasen“ aus der Hochschulpolitik. Doch er hat sich zusammengenommen: „Ich habe einfach mein Ding durchgezogen.“ Das Jahr im AStA sei für ihn eine wichtige Erfahrung gewesen: Hier lernte er nicht nur neue Leute kennen, sondern konn- te auch Verantwortung übernehmen. „Es wäre wichtig, wenn jede_r im Rahmen seiner Möglichkeiten aktiv werden würde. Es gibt unheimlich viele Möglichkeiten: im Verein, in studentischen Projekten oder in der Fachschaft“, sagt Tilmann, der sich neben Uni und AStA auch ein Jahr lang mit viel Instrumentalunterricht auf seine Aufnahmeprüfung an der UdK vorbereiten musste.

Studis haben sehr verschiedene Lebens- rhythmen: Manche sind besonders während der Vorlesungszeit beschäftigt, ande- re haben vor allem in der vorlesungsfreien Zeit viel zu tun. „Es gibt einen krassen Wechsel vom 18-Stunden-Tag zum 2-Stunden-Tag“, meint Tilmann. Daran muss sich ein Ersti erst gewöhnen. Wenn Tilmann im Sommer frei hat, geht er gern ins Strandbad Babelsberg, „ein kleiner Geheimtipp“, etwas versteckt im Park Babelsberg.

Auch das Studium ist nur ein Teil vom Ganzen. Studis müssen sich früher oder später die Frage stellen, wie es danach weitergeht. Tilmann ist sich da noch nicht sicher: „Ich lass das erstmal auf mich zukommen, schließlich ist ja noch genug Zeit“. Für Francesca geht es nach dem Studium zum Master oder ins Praktikum, das hängt derzeit leider noch von der Abschlussnote ab. „Nach dem Abschluss wollen die meisten sofort losarbeiten, weil sie denken, dass es viel einfacher ist als an der Uni. Ihnen wird aber schnell auffallen, wie schön eigentlich die Studienzeit war.“

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