wider der diktatur der angepassten

Der Bildungsstreik ist aus studentischer Sicht die wichtigste politische Bewegung seit Jahrzehnten. Warum es jetzt weitergehen muss. Von Tamás Blénessy

Irgendwie hat diese Bewegung – und das ist der Bildungsstreik mittlerweile – etwas sehr Putziges an sich: Ein paar Handverlesene schlafen wochenlang zu einem Haufen getürmt im Audimax, sitzen im Kreis und fuchteln auf den Plena wild mit ihren Armen, um Zustimmung oder Ablehnung zu signalisieren. Sie leben zusammen als riesige Wohngemeinschaft Tag und Nacht, essen vegan und diskutieren bis ihnen kollektiv die Augen zufallen.

Dazu kommt der selbst formulierte Zwang zur Hierarchiefreiheit und zu einem möglichst wenig autoritären Verhalten. Mit fortschreitender Dauer der Besetzung konnte der Bildungsstreik diesen Wunsch zwar weder nach außen noch nach innen erfüllen, dennoch sollten die wenigen Kritikpunkte an der Form des Streiks und den Aktionsformen niemals den Inhalt der Proteste in den Hintergrund rücken.

Der Bildungsstreik ist eine notwendige und logische Konsequenz aus den hochschulpolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre: Das, was Lehrenden und Studierenden als „Vereinheitlichung des europäischen Hochschulraumes“ unter dem Decknamen Bologna-Prozess verkauft wurde, führte an den Hochschulen im Zusammenhang mit dem sonstigen neoliberalen Kurs zu einer knallharten Ökonomisierung unseres Studiums. Warum Studienverlaufspläne nicht Stundenpläne heißen, konnte mir jedenfalls noch niemand erklären.

Die Universität Potsdam nahm und nimmt in diesen Fehlentwicklungen den Platz des „master of disaster“ ein. Sie ist es, welche ihren Studierenden mit dem Belegpunktesystem als erste den Rausschmiss stets vor Augen hielt und nachträglich für eine Legitimation dieses Prinzips im Hochschulgesetz des Landes sorgte. Obendrein wurde mit der Einführung der „studienbegleitenden Leistungserfassung“ das Prinzip der Regelschule auf die Universität übertragen. Gut für all diejenigen, die Universität für eine Fortsetzung ihres Schüler_innendaseins halten, schlecht für all diejenigen, die Universität für etwas anderes halten.

Kurzum: Mit der Einführung dieses konkreten Systems an der Universität Potsdam, einer geradezu widerlichen Umsetzung des zweigliedrigen Bachelor-Master-Systems, hat sich im Gegensatz zu den Zeiten unter Diplom, Magister und Staatsexamen nichts verbessert – ganz im Gegenteil: Der Stoff aus acht Semestern Magister findet sich jetzt in sechs Semestern Bachelor wieder. Wir ächzen unter den ewigen Essays, Exzerpten, Referaten und Hausarbeiten, die irgendwie in allen Lehrveranstaltungen zur Pflicht wurden. Keine Luft zum Atmen, kein Platz für Freizeit, Freunde und Familie.

Genau da setzt der Bildungsstreik an: Seit Jahren ist unsere gewählte Studierendenvertretung scheinbar machtlos gegen diese Entwicklungen. Monatelange Proteste und politische Arbeit gegen das neue Hochschulgesetz, jede Ablehnung von Studienordnungen in den akademischen Gremien durch unsere Vertreter_innen blieben ungehört. Deshalb ist der Bildungsstreik so notwendig und wichtig: Er ist laut und tut weh. Er bohrt da weiter, wo unsere „Amtsträger_innen“ aus AStA, StuPa, Fachschaften und Co. aufhören (müssen).

Der Forderungskatalog des Bildungsstreiks aus dem Sommer 2009 liest sich trotz dessen nicht wie ein großes Wünsch-Dir-Was alteingesessener linksradikaler Studierendenvertreter_innen, sondern ist ein realistisches, ja fast schon bescheidenes Schriftstück: Mehr Mitbestimmung, weniger Anwesenheitspflicht, freier Zugang zum Masterstudium, Möglichkeit des Teilzeitstudiums und keine Zwangsexmatrikulationen sowie eine Erhöhung der öffentlichen Mittel für die Hochschulen. Alles nicht weltbewegend und an genau zwei Adressatinnen gerichtet: Die Hochschulleitung und die Landesregierung. Konkreter geht’s nun wirklich nicht.

Die etablierte linke Koalition in unserer Studierendenvertretung wollte schon Feuerwerke abbrennen, als die rot-rote Landesregierung gewählt war. So etwas wie Hoffnung keimte auf – gerade was die Korrekturen im Hochschulgesetz des Landes anbelangt. Der Koalitionsvertrag und die ersten Interviews mit der neuen SPD-Wissenschaftsministerin Dr. Martina Münch bremsten die Euphorie allerdings erheblich: Keine Kurskorrekturen in Sicht. Und selbst die LINKE, einst die zuverlässige Partnerin auf Landesebene, hält brav den Mund.

Über unser Universitätspräsidium, welches stets in vorauseilendem preußischem Gehorsam agiert, wenn es um die Ökonomisierung ihres geliebten Hochschulbetriebes geht, habe ich schon viele Worte verloren. Wer mit Nazis im Audimax auftaucht, um eine entsprechende Drohkulisse zu schaffen und immer wieder an der Ernsthaftigkeit seiner Gesprächsangebote zweifeln lässt, braucht sich nicht wundern, wenn die eigenen Studierenden einfach keine Lust mehr auf einen Dialog auf Marketingebene haben.

Der Erfolg gibt den Aktiven aus dem Bildungsstreik recht: Wochenlange mediale Präsenz und wichtige öffentliche Debatten über die studentischen Forderungen wurden geführt. Die Anwesenheitslisten sind abgeschafft, der „Runde Tisch“ zwischen Studierenden und Hochschulleitung wird zumindest institutionalisiert.

Der entscheidende Faktor in dieser politischen Auseinandersetzung bleibt aber der öffentliche Druck auf eure Hochschulleitung und die Landesregierung. Das, was seit einem Dreivierteljahr gebetsmühlenartig an Forderungen wiederholt wird, braucht euren Rückhalt. Und genau dieser scheint dem Bildungsstreik zu fehlen. Nicht umsonst führten die Audimax-Besetzer_innen mehrfach schier endlose Debatten über die Legitimation ihres Protestes. Sie haben euch vermisst!

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