Noch ist das viel zitierte Chlorhühnchen nicht auf den Tellern der Potsdamer Mensen gelandet. Doch schon seit Beginn der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen TTIP wird den Menschen in den Medien die Verwerflichkeit von chemisch behandelten oder gentechnisch manipulierten Lebensmitteln aufgetischt. Auch einigen Studierenden der Universität Potsdam schmeckt die mögliche Aussicht darauf wenig. Von Merle Janssen und Mia Teschner
Nach über zweijährigen Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und der US-Regierung ist ein Vertragsabschluss über TTIP für 2016 geplant. Von dem transatlantischen Abkommen wären 800 Millionen Menschen betroffen – nicht zuletzt die Studierenden der Universität Potsdam, unter denen sich speakUP umgehört hat. Und dabei ging es nicht nur um die Bedeutung der vier Buchstaben TTIP, sondern auch um die Rolle der Studis in politisch brisanten Zeiten.
Die Uni bietet viele Möglichkeiten, um mit Politik in Kontakt zu kommen
Zwar konnten mit der Abkürzung TTIP alle von uns Befragten treffsicher etwas anfangen, doch das impliziert nicht zwangsläufig auch Interesse an dem Thema. Während die einen dem allgemeinen politischen Geschehen kaum etwas abgewinnen können oder sich auf Regionales konzentrieren, ist die Aufmerksamkeit anderer momentan zum Beispiel auf die Flüchtlingskrise gerichtet. Aber auch TTIP-Interessierte hat speakUP gefunden. Angemerkt sei hier die Tendenz, dass besonders Politikstudierende TTIP aktiv diskutieren, wohl weil sie sich täglich mit Politik auseinandersetzen. Beispiele aus Golm zeigen jedoch, dass sich Studis auch außerhalb der vier Hörsaalwände rege damit beschäftigen.
Inwieweit die Universität hier eine Rolle spielt, zeigt sich auch an anderer Stelle: So hält die 24-jährige Geowissenschaftsstudentin Julia die Uni für einen Ort, an dem man schnell mit aktuellen Themen in Berührung kommt und an dem mit vielen anderen Studierenden ein reger Austausch möglich ist. Franzi ist 22 und studiert Erziehungswissenschaften und Englisch. Sie würde sich mehr Informationen zum Beispiel in Form von Aushängen oder auch kleineren Veranstaltungen wünschen. Doch wo das Angebot da ist, muss es auch genutzt werden. „Man muss sich interessieren“, findet Julia.
Viele Studierende verunsichert
Mangelnde Information mag einer der Gründe für Sorgen und Befürchtungen im Zusammenhang mit TTIP sein. Mehrere Studierende äußerten Bedenken zu genmanipulierten Lebensmitteln aus den USA. Laut Bundesregierung sollen diese allerdings unbegründet sein, da auch in Zukunft alle importierten Lebensmittel die strenge Kontrolle der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit unterlaufen würden. An keinem der bestehenden Handelsabkommen zwischen Deutschland und Drittstaaten seien Änderungen zu befürchten.
Ebenfalls wenig bekannt scheint die Tatsache zu sein, dass Faktenblätter und konkrete Textvorschläge zu TTIP auf der Internetseite der Europäischen Kommission veröffentlicht wurden und damit für jeden einsehbar sind. Stellen sich die Verhandlungen am Ende als transparenter dar, als häufig angenommen? Das bleibt angesichts eines Statements des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert fraglich. Er halte es „für ausgeschlossen, dass der Bundestag einen Handelsvertrag zwischen der EU und den USA ratifizieren wird, dessen Zustandekommen er weder begleiten noch in alternativen Optionen beeinflussen konnte“, so Lammert im Oktober 2015 gegenüber der Funke Mediengruppe.
Studis demonstrieren, um ihre Meinung zu zeigen
Wer sich trotz der Beschwichtigung von der Bundesregierung, das Chlorhühnchen werde in der EU keine Akzeptanz finden, so wie sich ungeachtet des Vorschlags der EU-Kommissarin Malmström zur Reform der umstrittenen Schiedsgerichte, nicht von TTIP überzeugen lässt, kann sich den vielen Demonstrant_innen anschließen. An der letzten TTIP-Demo in Berlin im Oktober 2015 nahmen knapp eine viertel Million Menschen teil – unter ihnen Studierende der Universität Potsdam.
Einer von ihnen war Till. Der 21-jährige studiert Politik und Wirtschaft. Zuerst in Münster und jetzt an der Universität Potsdam. Doch seit Beginn des Studiums ist es ihm wichtig, zu zeigen, dass er daneben auch eine private politische Meinung hat – und die richtet sich klar gegen Intransparenz. „Politik zu studieren heißt für mich, sich auch politisch verantwortlich zu zeigen. Deshalb gehe ich zu Demonstrationen, um zu zeigen, dass wir in einem Land leben, in dem die Politik von seiner Bevölkerung bestimmt wird.“
Für den 24-jährigen Biowissenschaftsstudent Moritz, der im Oktober zwar selbst nicht dabei war, sind Demos vielleicht nicht die beste Methode, um Forderungen durchzusetzen, aber eine gute Möglichkeit, auch andere Bürger zu politischem Einsatz zu motivieren.
Politisches Engagement in sozialen Netzwerken
Julia, Till und Moritz sind keine Einzelbeispiele. Viele Studierende sehen sich, wie schon in den 70er Jahren, im Hinblick auf Verantwortung in der Gesellschaft bei politischen Themen in der Vorreiterrolle. Als ein Faktor wird zum Beispiel genannt, dass Studierende mehr Zeit als Erwerbstätige oder Alleinerziehende hätten. Gleichzeitig sehen sich viele Studierende noch immer als jene, deren Aufgabe es ist, sich eine Meinung zu politischen und gesellschaftlichen Themen zu bilden.
Hannah ist 25 und macht ihren Master in Verwaltung, vorher studierte sie Politik. Ihrer Meinung nach sind Studierende heutzutage nicht weniger engagiert als früher, sie zeigten es nur anders. Auch wenn Parteien generell unter Nachwuchsmangel litten, engagierten sich heute viele junge Leute bereits zu Beginn ihres Studiums in einer Partei. Der wesentliche Unterschied sei, dass Politik zunehmend in und über Medien stattfinde. „Das Internet schafft Anonymität und Spontaneität. Natürlich beteiligen sich viel mehr Personen auf diese Weise an politischen Diskursen, als es früher der Fall war. Viele meiner Kommilitonen sind engagiert und interessiert, wir zeigen es nur anders, als vielleicht unsere Eltern und Professoren.“
Politisches Engagement in sozialen Medien scheint tatsächlich immer mehr ein Thema zu sein, das Studierende beschäftigt. Aus der ARD/ZDF Onlinestudie 2015 geht hervor, dass 2015 mehr als 97 Prozent der 20 bis 29-Jährigen regelmäßig online sind. Informationsbeschaffung findet zunehmend über Medien und soziale Netzwerke statt und genauso leicht ist es auch, die eigene Meinung via Facebook und Twitter mit anderen zu teilen.